Gastspiel der Münchner Kammerspiele vereint Trauer, Trennung und Theater.
Der Friedhof ist vielleicht nicht der beste Ort, um einer vor längerer Zeit zerbrochenen Ehe nachzutrauern. In "Gift. Eine Ehegeschichte" der niederländischen Autorin Lot Vekemans, die als Gastspiel der Münchner Kammerspiele seit 27. Mai im Wiener Theater Akzent zu sehen ist, liegen die Dinge anders. Zum einen treffen einander die ehemaligen Ehepartner am Grab ihres bei einem Autounfall getöteten Sohnes, dessen Tod der Anfang vom Ende ihrer Beziehung gewesen ist. Zum anderen wäre die Produktion ohne einen Todesfall nicht ins Festwochen-Programm gekommen: Regisseur Johan Simons hatte nach dem plötzlichen Tod des Schauspielers Jeroen Willems die ursprünglich geplante Bearbeitung von Michel Houellebecqs Roman "Karte und Gebiet" absagen müssen.
Vom NTGent über München nach Wien
"Gift" wurde bereits im Dezember 2009 am NTGent uraufgeführt und später an die Münchner Kammerspiele, deren Intendant Simons seit der Saison 2010/11 ist, übernommen. Es ist eine rund 100-minütige schmerzhafte Aufarbeitung einer Partnerschaft, die am unterschiedlichen Umgang mit dem Schock über den Unfalltod des einzigen Kindes zerbrochen ist. Besonders leidvoll: Im Verlauf des von der Frau mittels eines Tricks eingefädelten Gespräches stellt sich heraus, dass der Ex, der neun Jahre zuvor am Silvesterabend völlig überraschend abgehauen war, mittlerweile wieder verheiratet und ein Kind unterwegs ist. Die Exgattin dagegen kämpft gegen Medikamentensucht und Einsamkeit. Sie sucht ebenso verzweifelt wie vergeblich nach einem Mittel, ihren innigsten Wunsch zu verwirklichen: "Ich will, dass ich wieder glücklich bin."
Bühnebild spielt zentrale Rolle
Johan Simons lässt die beiden Geschiedenen vor und auf einem roh gezimmerten Holzgestell aufeinandertreffen. Einzelne darauf angebrachte schwarze Sitze erinnern an die Grabsteine eines Friedhofshügels (Bühne: Leo de Nijs). Dazu gibt es mehrfache Verfremdungseffekte. Die längste Zeit bleiben die Türen zum Zuschauerraum geöffnet und die Saallichter an. Mitten im Publikum sitzt Countertenor Steve Dugardin, der zwischendurch traurige Lieder des englischen Komponisten John Dowland anstimmt und schließlich unvermittelt die Bühne erklimmt, die Holztribüne im Kreis dreht, während von oben Sprühregen einsetzt. Was allerdings ebenso aufgesetzt wirkt wie das abschließende Bekenntnis des Gatten, seine Hinwendung zum Gesang habe ihn aus dem Tief gerettet.
Gegen das Rad der Zeit
Gespielt wird überaus glaubwürdig und intensiv. Steven van Watermeulen und Elsie de Brauw lassen bald vergessen, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist und kämpfen einen beklemmenden Kampf der alten und neuen Gefühle und gegen die Erkenntnis, dass sich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen lässt - vor allem dann nicht, wenn es sich für beide unterschiedlich schnell weitergedreht hat. Elsie de Brauw ist übrigens die Ehefrau von Johan Simons. Der 66-Jährige hatte kürzlich erklärt, er wolle seine Münchner Intendanz 2015 auslaufen lassen, um wieder näher bei seiner Frau und seinen beiden Kindern in Holland sein. Just wenige Stunden vor der Wien-Premiere von "Gift" wurde bekannt, Simons werde 2015 neuer Intendant der Ruhrtriennale. Zwar um einiges näher, aber wieder nicht zuhause. Auch diese "Ehegeschichte" klingt einigermaßen kompliziert.
Info
"Gift. Eine Ehegeschichte" von Lot Vekemans, Regie: Johan Simons, Bühne: Leo de Nijs, Kostüme: An de Mol, Mit Elsie de Brauw, Steve Dugardin und Steven van Watermeulen, Wiener Festwochen, Gastspiel der Münchner Kammerspiele im Theater Akzent, Weitere Vorstellungen: 28., 29. Mai, 19.30 Uhr, Karten: 01 / 589 22 11, www.festwochen.at.