Schriftsteller definierte Anerkennung als "vorläufiges Missverständnis"
Kritik und deren Widerlegung, dazu jede Menge tote philosophische Hunde und am Boden liegende, widerständige Vögel: Robert Menasse, der Donnerstag Vormittag, 15.4., im Rathaus das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien durch Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny überreicht bekam und Anerkennung als "vorläufiges Missverständnis" definierte, machte für die Anwesenden in seiner dialektisch angelegten Dankesrede klar, dass die Auszeichnung nicht primär seinem literarischen Schaffen, sondern dessen anerkannten intellektuellen Einmischung gilt. Auch die Germanistin und Literaturkritikerin Daniela Strigl ("Ihr gehört längst schon das Verdienstzeichen in Platin", Menasse) hob in ihrer werkgenauen Laudatio Menasses Gespür für die längst tot geglaubte Hegelsche Dialektik hervor, die durch ihn wieder in literarischen Rang gesetzt wurde. Ebenso wie sie daran erinnerte, dass Menasse, neben seinem literarischen Schaffen, das bereits sämtliche Romanformen durchdekliniert habe, vor allem auch ein "Meister der Repräsentation" sei. Als Schriftsteller und Essayist sei er nicht nur "der natürliche Feind jeder Floskel", auch die Schlussfolgerungen seiner früheren Essays seien bis heute "erstaunlich haltbar". Ähnliches merkte auch Mailath-Pokorny an, der an die vielen von Menasse "ausgefochtenen Sträuße mit der Sozialdemokratie" erinnerte. Für ihn sei Menasse ein unbestechlicher Kritiker, wie auch ein scharfzüngiger Intellektueller, der für Wien und das Land nicht wegzudenken sei. "Menasse fordert nicht nur seine Leser, er fordert immer auch sich selbst."
Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny überreicht Robert Menasse das Goldene Verdienstzeichen
Foto: (c) APA Pfarrhofer
Menasses Dankesrede
Und der Vogel? In Menasses Dankesrede kam die
Fabel zwischen einer Katze und einem am Boden liegenden Vogel vor, der seine
beiden Füße gegen den Himmel streckt. Auf die Frage, warum er dies mache,
antwortete der Vogel, dass der Himmel herabzustürzen drohe. Daraufhin die
Katze, ob er denn glaube, mit seinen dünnen Füßen den Himmel aufhalten zu
können. Der Vogel: "Irgendetwas muss man doch tun." Menasse, der für sich
das Bild übernahm: Zumindest ein Bein würde er gegen den Himmel halten, das
andere bräuchte er, um aufzustampfen, sprich: auch zukünftig gehört zu
werden.
Vita des Preisträgers
Robert Menasse wurde am 21. Juni 1954
in Wien geboren. Er studierte Germanistik, Philosophie und
Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina und promovierte 1980 bei
Wendelin Schmidt-Dengler mit einer Arbeit über den Typus des Außenseiters im
Literaturbetrieb am Beispiel Hermann Schürrers. Seine erste Erzählung
"Nägelbeißen" wurde 1973 in der Zeitschrift "Neue Wege" veröffentlicht. 1981
bis 1988 lehrte Menasse als Lektor und Gastdozent am Institut für
Literaturtheorie in Sao Paulo österreichische Literatur. Dort hielt er vor
allem Lehrveranstaltungen über philosophische und ästhetische Theorien ab,
u. a. über Hegel, Lukács, Benjamin und Adorno.
Wichtigste Werke
Seit seiner Rückkehr aus Brasilien lebt Robert
Menasse als freier Schriftsteller, Übersetzer und kulturkritischer Essayist
in Wien. Zu den wichtigsten literarischen Werken zählen die Romane "Selige
Zeiten, brüchige Welt" (1994) und "Schubumkehr" (1997) - die beiden Texte
bilden gemeinsam mit der Nachschrift "Phänomenologie der Entgeisterung" die
in Brasilien begonnene "Trilogie der Entgeisterung". Von Menasses
kulturpublizistischen Arbeiten sind die österreichkritischen Essaysammlungen
"Das Land ohne Eigenschaften" (1993) und "Erklär mir Österreich" (2000)
genannt. Zuletzt ist von Menasse dessen erster Erzählband "Ich kann jeder
sagen - Erzählungen vom Ende der Nachkriegsordnung" (2009) erschienen.
Aktuell arbeitet er an einem Zukunftsroman, der sich mit der EU beschäftigt.
Preise und Auszeichnungen
Für sein literarisches und
essayistisches Schaffen erhielt Menasse eine Reihe von Preisen und
Auszeichnungen, u. a. den Heimito von Doderer-Preis (1991), den
Hugo-Ball-Preis (1996), den Österreichischen Staatspreis für
Kulturpublizistik (1998) und den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad
Homburg (2002). 2003 wurde ihm der Erich Fried-Preis zugedacht.