In Salzburg herrscht der Ausnahmezustand. Alle wollen die Opernweltstars sehen.
Dienstag (6. August), Nachmittag, 16.00 Uhr, es ist brütend heiß in Salzburg. Wer kann, liegt am Wasser. Nicht aber die Opernfans. Die stürmten an diesem Wochentag die Felsenreitschule. Seit Jahren wurden nicht mehr so viele "Suche Karte"-Schildchen hochgehalten, von Leuten, die keine Karte mehr ergattern konnten. Der Grund: Placido Domingo und vor allem wohl Anna Netrebko.
Welt-Opernstars im ausverkauften Haus
Drin, im bis auf den allerletzten Platz vollen Haus, wurde Verdi gegeben. Dieser Verdi gehört bestimmt nicht zu den bekanntesten. "Giovanna d`Arco" heißt das selten gespielte Frühwerk des Meisters, und konzertant war die Aufführung obendrein. Dafür besteht das Stück aus einer furiosen Schluss-Arie nach der anderen. Und samt und sonders sind sie jahrmarkttauglich. Akkordeon und Marschtrommel inklusive. Ja, Verdi hatte ein Gefühl für's Populäre.
Richtiger Riecher
Die Salzburger Festspiele auch. Sie haben mit Anna Netrebko und Placido Domingo zwei Ikonen der Gesangskunst engagiert. Da spielt es keine Rolle, dass weder das Stück noch der Dirigent (kunsthandwerklich tadellos: Paolo Carignani) noch den Chor und das Orchester (nur mittelmäßig präzis: Der Philharmonia Chor Wien und das Münchner Rundfunkorchester) zu der sonst in Salzburg üblichen ersten Interpretengarde zählen. In diesem Fall war Oper - in bester Italianita - ein Fest für Sänger.
Netrebko verführte Publikum
Tatsächlich hat Netrebko wunderbar gesungen. Nicht so unvergleichlich wie der "Run" auf ihre Karten, aber wunderbar. In allen Lagen gewohnt kraftvoll, makellos in der Intonation, musikalisch einfühlsam und klug und vor allem mit einer goldenen Patina in der Stimme. So golden wie ihr Kleid an diesem Nachmittag und die Nase der Konzertmanager.
Genesener Domingo betörte Mozart-Stadt
Aber das Publikum war glücklich über die ebenso sentimentalen und in bester Belcanto-Tradition schmachtend geschmetterten Arien der "schönen Anna". Und auch der 72-jährige Domingo, dieser tatsächlich unvergleichbare Tenor, hat viel beigetragen zum Sängerfest in der Felsenreitschule. Sein Schmelz ist ungebrochen schön, seine Kraft wirkt schier unendlich, seine theatralische und gesangstechnische Trickkiste ist ein Universum für sich - da haben sich zwei getroffen.
Francesco Meli rundete Trio ab
Der Dritte im Bunde darf nicht ungelobt bleiben. Denn auch er ist ein Top-Sänger. Er heißt Francesco Meli, und er gab die große Partie des "Carlo" ebenfalls mit strahlendem Timbre und technischer Brillanz. Und die drei Solisten stachelten sich gegenseitig auf und rissen ihr Publikum mit. Laut Festspiele hätten dafür um ein Vielfaches mehr Leute Eintritt bezahlt als die Felsenreitschule Platz bietet. Salzburg, was willst du mehr?
Info
"Giovanna d'Arco", Dramma lirico in drei Akten von Giuseppe Verdi. Libretto von Temistocle Solera nach Friedrich Schiller. Musikalische Leitung: Paolo Carignani. Es musizierten das Münchner Rundfunkorchester und der Philharmonia Chor Wien. Die Solisten: Anna Netrebko als Giovanna, Francesco Meli als Carlo, Placido Domingo als Giacomo, Roberto Tagliavini als Talbot und Johannes Dunz als Delil. Die Aufführung wird am 10. und 13. August wiederholt. www.salzburgfestival.at.