Helms glasklare Psychostudie als Satire auf US - Literaturbetrieb begeisterte.
Sie tut es viermal hintereinander: Couchpolster abklopfen, Boden schrubben, Fenster putzen. Mittendrin, immer an der selben Stelle, geht der perfekten Hausfrau Annie die Luft aus. Sie sinkt zu Boden, robbt zu einem kleinen, orangen Döschen, wirft eine Pille ein. Begleitet von einem Sound, der in Computerspielen die Auffüllung des Energiehaushalts der Spielfigur anzeigt. Und weiter geht's. Es ist nur eine der vielen Szenen in Zach Helms Stück "Speed", die am 21. März im Theater in der Josefstadt die Scherben eines gläsernen Frauenlebens widerspiegelten. Das Publikum würdigte den rasanten, schmerzvollen Abend unter der Regie von Stephanie Mohr mit lang anhaltendem Applaus.
Wenn der Alltag zum Irrsinn wird
Die Rollen zwischen Jack, dem Autor (Raphael von Bargen), und Annie, der Hausfrau auf Speed (Sandra Cervik), scheinen klar verteilt. Er liegt ihr zu Füßen, sie stärkt ihm den Rücken. Doch als ein großer Verleger zu einer Dinner-Party lädt, um den Schriftsteller für seinen Verlag zu gewinnen, gerät der Alltagstrott aus den Fugen. Annie, die ihre Tage mit kotzen, putzen und Speed einwerfen verbringt, kann sich in der Öffentlichkeit nämlich nicht mehr so benehmen, wie es die Gesellschaft von braven Hausfrauen erwartet. Und so öffnet sich ein Abgrund, über den die beiden eigentlich gerne gemeinsam springen würden. Auf dessen anderer Seite eine Welt voller Geld und Ruhm wartet.
Deutschssprachige Uraufführung
Mit der deutschsprachigen Erstaufführung von "Speed" hat Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger seinem Haus einen großen Gefallen getan. Das von John Malkovich unter dem Originaltitel "The Good Canary" 2007 in Paris uraufgeführte Werk des 38-jährigen Drehbuch- und Theaterautors Zach Helm, der etwa das Drehbuch zu "Stranger than Fiction" verfasste, ist glasklare Psychostudie, Satire auf den amerikanischen Literaturbetrieb und abgründige Drogenphantasie in einem. Eine große Stärke sind die scharf gezeichneten Figuren, die oft ineinander übergehenden Erzählebenen bilden eine Herausforderung für jeden Regisseur.
Großes Theater in der Josefstadt
Stephanie Mohr, die zuletzt für die Produktion "Woyzeck & The Tiger Lillies" der Vereinigten Bühnen Wien mit dem Regie-Nestroy geehrt wurde, gelang die Umsetzung des herausragenden Textes nicht zuletzt dank des ausgeklügelten Bühnenbilds von Miriam Busch. Der ständige Wechsel zwischen Innen- und Außenraum, die oft intendierte Gleichzeitigkeit von Handlungsabläufen oder der Fortgang der Geschichte in Form von Telefonaten sind eindeutig der Filmsprache geschuldet. Mithilfe eines in der Mitte der Drehbühne platzierten Kubus', dessen Wände aus Plastikfolie sind und die im Laufe des Abends mit Stanley-Messern zerschnitten werden, werden sämtliche Hürden gemeistert. So sieht das Publikum die immer wahnsinniger werdende Annie etwa beim Putzen und Drogen einwerfen, während ihr Mann draußen mit seinem Verleger debattiert, ob man Annie denn auf die Dinnerparty mitnehmen könne. Diese gerät denn auch völlig aus dem Ruder, wenn Annie die gealterte Barbiepuppen-Ehefrau des Verlegers beleidigt ("Wie alt waren Sie, als Sie vergewaltigt wurden?"), den anwesenden Literaturkritiker wüst beschimpft und schließlich noch vor dem Dinner hinausgeworfen wird. Erst in der folgenden Szene wird klar, warum Jack sich all das antut: Er und Annie teilen ein Geheimnis, das den Ausgang dieser Geschichte noch gehörig beeinflussen wird.
Cervik glänzte in ihrer Rolle
Sandra Cervik geht in ihrer Rolle mehrfach an die Höchstbelastungsgrenze eines Schauspielers, changiert im Laufe des fast dreistündigen Abends mühelos zwischen hervorragend gelaunt und zu Tode geschunden. Ihr zur Seite steht mit Raphael von Bargen ein etwas junger, naiver und vor allem liebender Ehemann, der alles tun würde, um seine Frau vom Speed wegzubekommen und ihr wieder einen Lebenssinn jenseits von Putzorgien zu verschaffen. Als "Mann auf dem Dach" fungiert Wolfgang Schlögl von den Sofa Surfers, den Mohr gekonnt in das Spiel integriert und der mit seinem mobilen Mischpult live den Soundtrack einspielt, der stets auf das Innenleben der Figuren reagiert und umgekehrt. Mit Christian Futterknecht als etwas grobschlächtigem Verleger Stuart, Peter Scholz als schmierigem, geldgierigen Kleinverleger Charlie und Dominic Oley als aalglattem, arrogantem Literaturkritiker hat Stephanie Mohr einen dynamischen Cast gefunden, an dem Annie ihren Wahnsinn abarbeiten kann. Das Zusehen bei dieser Selbstzerstörung schmerzt bisweilen. Aber gesehen haben sollte man diesen Höllentrip allemal.
Info
"Speed" von Zach Helm wird im Theater in der Josefstadnoch am 22., 27., 28. März, 10., 13., 14., 16., 18., 22., 26., 27. und 28. April aufgeführt. Alle Informationen sowie Tickets erhalten Sie unter www.josefstadt.org.