Geschwister sollen jahrelang gequält worden sein, Arzt wurde freigesprochen.
Die Kinder des oststeirischen Arztes haben sich nach dessen Freispruch am Freitag nun bei einer Pressekonferenz in Wien verzweifelt gezeigt. "Für mich war es die Hölle auf Erden", beschrieb am Mittwoch der 19-jährige Sohn seine Kindheit, während seine Schwester die Tränen kaum zurückhalten konnte. Unterstützt von ihrer Anwältin Andrea Peter gingen zwei der vier Kinder an die breite Öffentlichkeit.
Die Geschwister, die - so der Vorwurf - von dem Mediziner jahrelang gequält worden sein sollen, fühlten sich nach dem Freispruch am Freitagabend vom Gericht in Stich gelassen. Eine der Schwestern, eine 23-Jährige, musste gar ärztliche Behandlung in Anspruch nehmen, nachdem sie suizidale Gedanken geäußert hatte, berichtete der 19-Jährige. Seitdem ist die junge Frau im Krankenhaus: "Ich war gestern den ganzen Tag bei ihr." Zunächst überlegten die Geschwister rechtliche Schritte gegen den Richter, was ihnen von Anwältin Peter abgeraten wurde. Die Rechtsvertreterin betonte bei der Pressekonferenz, dass sie keinem Medium gegenüber die Absicht geäußert habe, gegen den Richter Klage wegen Amtsmissbrauchs einbringen zu wollen.
Staatsanwaltschaft beruft gegen Urteil
Die Familie hofft nun auf die Staatsanwaltschaft Graz, die angekündigt hat, gegen den Freispruch zu berufen. Denn Anwältin Peter kritisierte, dass ihre "mehrfach gestellten Beweisanträge unverständlicherweise seitens des Gerichts allesamt abgewiesen wurden". Dabei handelte es sich um Zeugen, die den Angeklagten "massiv belastet" hätten. Auch das Gutachten der Psychiaterin Adelheid Kastner, die den Angeklagten untersucht hatte, wurde von der Anwältin als mangelhaft bezeichnet. Zum Beweis dafür habe sie im Verfahren Fachexpertisen vorgelegt, ein Antrag auf ein weiteres Gutachten zur Beurteilung der Persönlichkeit des Beschuldigten sei jedoch ebenfalls abgelehnt worden. "Die noch dazu unbegründete Ablehnung sämtlicher Beweisanträge lässt sich mit den Prinzipien eines fairen Strafverfahrens in keiner Weise vereinbaren", meinte Peter.
Mit Unverständnis reagierte die Opferanwältin auch auf die Urteilsbegründung von Richter Andreas Rom, es habe sich um einen "verspäteten Rosenkrieg nach der Scheidung" gehandelt, es gebe keinen Anhaltspunkt für strafbare Handlungen. Der angeklagte Tatzeitraum beginne jedoch im Jahr 2000, also zwölf Jahre vor der Scheidung. Die Kinder hätten massive psychische Traumata erlitten. Hier zu behaupten, die Handlungen des Angeklagten wären "nicht kausal", und diese seien in ihrer Intensität nicht gravierend gewesen, sei unvorstellbar. "Wir haben einen Rechtsstaat", meinte Peter, aber sie wolle das Vertrauen in die Justiz nicht verlieren, "und ich habe es noch nicht verloren".
"Sollten die Alarmglocken läuten"
Kriminologin Katharina Beclin von der Universität Wien zeigte sich bei der Pressekonferenz erstaunt, dass das Verfahren nach kolportierten Interventionen - der Bruder des Angeklagten ist ein prominenter Politiker - nicht an ein anderes Gericht delegiert worden ist. "Wenn so etwas vorkommt, sollten die Alarmglocken läuten", meinte Beclin. "Die Optik ist eine schlechte."
Das Justizministerium betonte auf Anfrage der APA, dass zu Einzelfällen keine Stellungnahmen abgegeben werden. "Es wird zunächst einmal die schriftliche Urteilsausfertigung abzuwarten sein; danach hat die Staatsanwaltschaft Graz zu entscheiden, ob das Rechtsmittel ausgeführt wird." Zudem stünde im Fall der Abweisung von Beweisanträgen den Privatbeteiligten noch offen, eine Berufung wegen Nichtigkeit zu erheben.
Psychische Gewalt wird häufig nicht erkannt
Die Österreichischen Kinderschutzzentren betonten in einer Aussendung, dass psychische Gewalt in der Familie in Gerichtsverfahren häufig nicht erkannt werde. Für solche Fälle brauche es auf Traumafolgen spezialisierte Gutachter und Richter, "die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen bzw. sich weiterbilden".
Trotz vieler Fortschritte werde in der Begleitung von Kindern und Jugendlichen durch Gerichtsverfahren wegen Gewaltdelikten immer wieder sichtbar, dass psychische Gewalt, obwohl gesetzlich als strafbar verankert, nicht als solche identifiziert werde, auch wenn sie durch Sachverständige beschrieben und bestätigt wird. Maria Rösslhummer vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser zollte den Geschwistern bei der Pressekonferenz "großen Respekt", sich erneut in der Öffentlichkeit gegen ihren Vater auszusprechen.