Kanzler Kern ist verärgert über „Teile der ÖVP“, die einen „anderen Plan“ verfolgen.
ÖSTERREICH: Die Bestellung der Rechnungshofpräsidentin: War das der neue Stil der Regierung?
Christian Kern: Nein, das war sicher eine vergebene Chance. Das hätte anders laufen können, vor allem wenn sich die Regierung auf unseren Vorschlag geeinigt hätte, gemeinsam mit der Opposition eine geeignete Persönlichkeit zu suchen. Da gab es Teile in der ÖVP, die das nicht wollten, und ich muss zur Kenntnis nehmen, dass es anders gekommen ist. Im Ergebnis ändert das natürlich nichts daran, dass Margit Kraker eine kompetente Persönlichkeit ist – aber der Weg zur Bestellung war sicher eine vergebene Chance.
ÖSTERREICH: Können Sie es nachvollziehen, wenn ich den Eindruck habe, dass sich die beiden Regierungsparteien wie Lemminge auf den Abgrund zubewegen?
Kern: Für einen neuen Stil braucht’s immer zwei Seiten. Und es ist schwierig, wenn sich wichtige Teile zu diesem neuen Stil bekennen und andere Teile einen anderen Plan verfolgen.
ÖSTERREICH: Diese anderen Teile wollen eine Neuwahl?
Kern: Das hoffe ich nicht. Ich kann nur hoffen, dass wir aus dieser Geschichte lernen und so etwas nicht mehr vorkommt.
ÖSTERREICH: Die nächste Geschichte könnte der ORF werden. Ist das die nächste Machtbastion, die an die ÖVP fällt?
Kern: Da werden sich mehrere Kandidaten vor dem Stiftungsrat bewerben. Mit Sicherheit wird es hier keine Absprachen außerhalb des Stiftungsrats geben, oder irgendwelche Deals. Ein derartiges Schauspiel wie um den Rechnungshofvorsitz wäre inakzeptabel.
ÖSTERREICH: Wrabetz wäre Ihr Lieblingskandidat?
Kern: Er hat sehr gute Arbeit im ORF geleistet. Man wird sehen, wer sich sonst noch bewirbt. Aber Wrabetz ist sicher in einer Favoritenrolle.
ÖSTERREICH: Haben Sie eigentlich vor Ihrer Bestellung gerechnet, dass die Hackeln so schnell und so tief fliegen werden?
Kern: Nein. Wir haben einen sehr guten Start gehabt und mein Verhältnis zum Vizekanzler ist nach wie vor ausgezeichnet. Allerdings sehe ich keinen Sinn in diesem Spiel, sich dauernd hinunterzuziehen. Leider ist das so – wenn wir das fortsetzen, kann der Herr Strache beruhigt einen langen Sommerurlaub antreten und muss nur zuschauen.
ÖSTERREICH: Halten Sie nach der Anfechtung der FPÖ eine Neuwahl um die Hofburg für möglich?
Kern: Das ist einerseits eine juristische Frage und da ist jede Prognose voreilig. Das Problem ist andererseits, dass das natürlich den Glauben in die Rechtmäßigkeit und Transparenz der demokratischen Prozesse schwächt.
ÖSTERREICH: War es verantwortungslos von der FPÖ?
Kern: Natürlich ist das der Versuch, daraus politisches Kapital zu schlagen. Ob tatsächlich Fehler bei den Verantwortlichen passiert sind, wird geprüft, und man wird sehen, wie schwer sie wiegen.
ÖSTERREICH: Aber es ist peinlich, dass wir international jetzt nicht nur als Rechtsradikale, sondern auch als Bananenrepublik dastehen?
Kern: Da kann ich Ihnen nur recht geben.
ÖSTERREICH: In der Flüchtlingsfrage kommt Ihnen mit Christian Konrad ein wichtiger Verbündeter abhanden. Versuchen Sie, Ihn zurückzuhalten?
Kern: Ich habe nach seiner Entscheidung mit ihm telefoniert und er hat mir zugesagt, dass er uns weiter zur Verfügung stehen wird, er hat ja wirklich hervorragende Arbeit geleistet.
ÖSTERREICH: Aber nicht mehr als Regierungskoordinator?
Kern: Wir setzen uns noch zusammen und überlegen gemeinsam, wie uns Christian Konrad und Ferry Maier auch weiter helfen können.
ÖSTERREICH: Inbrünstig abgelehnt wurde von der ÖVP auch Ihre Forderung nach einer Maschinensteuer. War das Wording unglücklich?
Kern: Digitalisierung und Automatisierung bedeuten große Chancen, aber auch, dass im großen Rahmen Jobs verschwinden. Wenn Sie heute in einem Hotel im Silicon Valley wohnen, ist die einzige Bedienstete, die sie dort sehen, die mexikanische Reinigungskraft. Wenn wir wissen, dass so etwas kommt, müssen wir uns rechtzeitig anschauen, wie wir trotzdem Beschäftigung schaffen und sichern.
ÖSTERREICH: Aber es geht nicht ohne neue Steuern?
Kern: Die Steuer- und Abgabenquote darf dabei natürlich nicht steigen. Mir geht’s um einen Beschäftigungsbonus. Und darum, wie wir unser Sozial- und Gesundheitssystem in Zukunft erhalten können. Das wird nämlich ausschließlich aus der Lohnsumme finanziert. Schlüsselsektoren wie Einzelhandel, Maschinenbau oder Tourismus könnten profitieren. Zur Kasse gebeten würden Unternehmen, die mit besonders wenig Personal besonders hohe Gewinne erzielen, Unternehmensberater etwa.
ÖSTERREICH: Sie haben angekündigt, dass es mehr Netto vom Brutto geben soll. Eine neue Steuerreform?
Kern: Es gibt die Notwendigkeit für eine gerechtere Verteilung. Laut EU gehen jährlich mehr als 1.000 Milliarden Euro durch legale oder illegale Steuervermeidung verloren. Da müssen wir eingreifen, denn es ist eine ungeheure Ungerechtigkeit, wenn ein internationaler Großkonzern relativ weniger Steuer zahlt als der Wirt bei mir ums Eck. Der zweite Spielraum muss sein, dass wir unser Land effizienter gestalten und verwalten. Diesen Spielraum müssen wir dann nutzen, um vor allem kleinere Einkommen stärker zu entlasten.
ÖSTERREICH: Wann ist so eine Steuerreform denkbar?
Kern: Grundsätzlich immer, aber realistisch, nachdem die SPÖ gestärkt aus der nächsten Wahl hervorgeht.
ÖSTERREICH: Was würde ein Brexit für uns bedeuten?
Kern: Das wäre eine extreme Irritation der Wirtschaft und würde die Stimmung sehr negativ beeinflussen. Die kleine zarte Hoffnung auf eine Erholung der Wirtschaft wäre damit sehr schnell wieder zunichtegemacht. Ich hoffe, dass sich die Engländer für den Verbleib entscheiden, und fände es dann sehr gerecht, wenn sie dafür Fußball-Europameister würden.
Interview: Werner Schima