Der SPÖ-Kanzler über die Auswirkungen von Trump auf Europa und die Regierung.
ÖSTERREICH: Der Sieg von Donald Trump hat auch Europa geschockt. Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie für uns?
Christian Kern: Ein US-Präsident Trump wird weitreichende Auswirkungen haben. Einiges kann man noch gar nicht abschätzen. Aber in der Sicherheitspolitik, in der Wirtschaftspolitik und in der Umweltpolitik wird sich durch Trump vieles verändern. Einiges zu unserem Nachteil. Dass er aus dem Pariser Klimaschutzvertrag aussteigen will, ist ein Problem. Selbst die OPEC-Staaten wollen diesen umsetzen. Wir bleiben natürlich auch dabei.
ÖSTERREICH: Und die Wirtschaftspolitik? Er plant das Aus von Freihandelsverträgen …
Kern: Bezüglich TTIP ist mit Trump die Luft draußen. Das ist zumindest etwas Gutes. Die Frage ist aber, ob er die US-Wirtschaft wirklich abschotten will. Das könnte dann auch unsere Exportwirtschaft negativ betreffen. Und die USA – das hatten sie zuletzt ohnehin bereits zurückgeschraubt – werden nicht mehr den Weltpolizisten geben. Da kommt mehr Verantwortung auf Europa zu. Eine EU-Armee, wie sie Jean-Claude Juncker vorschlägt, ist aber mit unserer Neutralität nicht vereinbar. Sehr wohl aber mehr europäische Kooperation, um die Grenzen zu schützen.
ÖSTERREICH: Wie erklären Sie sich den Sieg von Trump?
Kern: Bemerkenswert ist, dass er nicht nur von den Hauptbetroffenen der Krise, sondern von der Mittelschicht gewählt wurde. Das war der Tag der Abrechnung. Die Mittelklasse hat ihre Frustration gegen die Eliten ausgelebt. Da gibt es Abstiegsängste. Globalisierung und technologischer Fortschritt haben viele reich gemacht. Noch mehr sind dabei auf der Strecke geblieben. Arbeitsplätze sind verloren gegangen, die Einkommen gesunken. Medien haben diese Stimmung auch bei jenen, die noch gar nicht betroffen waren, verstärkt. Selbst eine Zeitung wie die Washington Post hat zwar im gesamten Wahlkampf sehr kritisch über Trump berichtet, aber gleichzeitig die US-Wirtschaft in den düstersten Farben beschrieben. Oft entgegen den Fakten. Das hat ihm sehr geholfen. Das kennen wir auch aus Österreich.
ÖSTERREICH: Ein dominantes Thema im US-Wahlkampf – das wir auch von uns kennen – war die Migrationspolitik. Die Angst, dass Ausländer US-Bürgern die Arbeit wegnehmen.
Kern: Auch hier geht es stark um reale Probleme und um die Stimmung, die produziert wird. Wir brauchen eine klare Sprache und verständliche Entscheidungen. Keine Verharmlosungen und Ignoranz. Deswegen sagte ich etwa, dass wir die Beitrittsgespräche mit der Türkei abbrechen müssen. Jeder Bürger weiß, was los ist, trotzdem verhandelt die EU pro forma weiter. So verliert man das Vertrauen der Menschen. Da muss man umdenken. Trump nachzuahmen ist ein Fehler. Aber er hat viele Probleme richtig angesprochen, aber die falschen Antworten gegeben. Trump und die europäischen Rechtsdemagogen wollen einen Brand mit Benzin löschen.
ÖSTERREICH: Was konkret wollen Sie, soll die EU machen, um gegen Rechtsdemagogen noch punkten zu können?
Kern: Wir brauchen eine klare Sprache, eine klare Politik. Raus aus dem Konferenzsaal. Hin zu Menschen aus Fleisch und Blut. Wenn ich in Österreich unterwegs bin, reden mich die Menschen auf ganz andere Dinge an als jene, die in Wien, im Regierungsviertel, Politiker, Spitzenbeamte und Journalisten diskutieren. Politik muss für die Menschen arbeiten. Zaubertricks und Sensationen darf man dabei nicht erwarten. Aber einen Schritt nach dem anderen. Die Herausforderungen sind nicht einfach, aber lösbar. Wir sind ein starkes Land mit allen Chancen.
ÖSTERREICH: Die heimische Regierung agiert aber gerne gegeneinander. Nicht vertrauenserweckend, oder?
Kern: Das Ergebnis des US-Präsidentschaftswahlkampfes sollte die Emotionen in den Regierungsparteien runterkühlen. So ein Ergebnis wie in den USA brauchen wir in Österreich nicht. Das war ein weiterer Weckruf. Meinungsunterschiede wird es aber immer geben.
Interview: Isabelle Daniel