Ein Kommentar von ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner.
Montag um 20.15 Uhr stellt sich Bundeskanzler Christian Kern auf oe24.TV seinem ersten Bilanz-Interview. Das wird spannend – denn Kern wird erstmals die Frage zwischen Theorie und Praxis beantworten.
In der Theorie ist die Mehrheit der Wähler von der Politik des neuen Kanzlers angetan – das führt zu steigenden Werten sowohl für die SPÖ (stieg seit Kerns Amtsübernahme von 23 auf 27 %) als auch für den Kanzler (er liegt mit 40 % gegen Mitterlehner mit 17 % überlegen voran).
Die Wähler wünschen den Neustart, den Kern versprochen hat, und einen Wirtschaftsaufschwung, den sie nur einem Politiker mit Management-Erfahrung zutrauen. So wie Kern in Rekordzeit die ÖBB zum modernen Unternehmen gestylt hat – so hätten wir gern die Republik: als Railjet mit 200 km/h und WLAN-Anschluss.
Die Praxis sieht leider anders aus: Nix geht weiter in diesem Land – auch unter Kern. Die Regierung blockiert sich, streitet mehr als je zuvor, hat keine Visionen. Zugegeben: Das Problem der Flüchtlinge wurde (schon unter Faymann) nach langem Chaos professionell gelöst, auch die kleine Steuerreform hat gut funktioniert – aber von Schulreform und vom Wirtschaftsaufschwung ist nichts zu sehen.
Christian Kern läuft Gefahr, sein so positives Image als „Kanzler des Neustarts“ zu verlieren. Er selbst hat sich für den Neustart eine Deadline Oktober gesetzt – das, was bis jetzt zu sehen ist, kann nicht einmal eine bezahlte PR-Agentur als Neustart verkaufen.
Deshalb wird es Montagabend spannend, wenn sich die Frage stellt: Will der Kanzler mit dieser kaputten Regierung weitermachen? Oder wagt Christian Kern am Montag eine erste vage Andeutung in Richtung Neuwahlen?
Von den Umfragewerten her könnte Kern Neuwahlen riskieren. Und der kluge Stratege Kern weiß ganz genau: Weitere Monate voll Blockade, Streit und Nicht-Erfolgen hält auch sein Strahler-Image nicht aus.
Bevor die Wähler sauer werden, muss Kern wählen. Es wird spannend zu hören, wie er die Lage sieht.