Ein Kommentar von ÖSTERREICH-Herausgeber Wolfgang Fellner.
Die erste Bilanz nach zwei Wochen Christian Kern fällt bei den meisten Kommentatoren nicht mehr ganz so begeistert aus wie die allererste Reaktion auf den Amtsantritt – man spürt: Der neue Kanzler hat ein Umsetzungsproblem: Den goldrichtigen Worten folgen keine Taten.
Die Ansagen: Alle richtig
Kerns Polit-Ansagen sind durchwegs richtig – und sprechen den Wählern aus der Seele. Ein „New Deal“ wäre samt Aufschwung wichtig für das Land, mehr Zusammenarbeit statt Streit will jeder – Kern hat Visionen, will die Zukunft gestalten.
Die Umsetzung: Matt
Von jeder Umsetzung seiner schönen Worte ist der neue Kanzler aber weit entfernt. Die ersten Versuche waren dilettantisch: Bei der Asyl-Obergrenze geriet dem Kanzler alles durcheinander.
Das Team: Enttäuschend
Mit ein Grund für die erste Enttäuschung ist das Team, mit dem Kern ins Kanzleramt eingezogen ist. Alle erwarteten ein Team der besten Köpfe – doch Kern kassierte fast nur Absagen. So sitzt er im Kanzleramt derzeit ziemlich alleine – und seine Minister sind Greenhorns.
Regierung: Abgemeldet
Die Folge dieser personellen Schwäche: Die Regierung wirkt auf SPÖ-Seite wie „abgemeldet“ – es regiert die VP: Schelling dominiert das Budget, Kurz ist weiter omnipräsent, Sobotka bestimmt die Asyl-Zahlen – die SPÖ ist nicht zu sehen: Leichtfried ist noch nicht aufgetaucht, Stöger still, Bildungsministerin Hammerschmid erfreut uns mit Sätzen wie: „Es geht ums Wohl der Kinder!“
Die ÖVP verstärkt Druck
Der Regierungspartner hat deshalb das Feuer auf Kern bereits eröffnet. Als Erster hat Wiens VP-Chef Blümel den Rücktritt des 14-Tage-Kanzlers gefordert – Blümel ist der engste Vertraute von Mitterlehner und Kurz.
Die wirklich Mächtigen in der ÖVP – Lopatka, Pröll, Kurz – wollen Neuwahlen, bevor Kern als Kanzler ansatzweise erfolgreich wird.
Die Nagelproben kommen
Vier Gelegenheiten gibt es schon in den nächsten Wochen, bei denen die ÖVP Kern entzaubern will:
Die Wahl des Rechnungshof-Präsidenten kann erstmals eine schwarz-blaue Mehrheit und FPÖ-Kandidatin Helga Berger bringen. Faymann hatte den SPÖ-Mann Steger bereits paktiert – wenn die ÖVP jetzt putscht, einen schwarz-blauen Kandidaten wählt, wäre das ein Bruch des Koalitionsabkommens und ein Fall für Neuwahlen.
Bei der ORF-Wahl könnte der nächste schwarz-blaue Putsch kommen: Grasl statt des roten Wrabetz.
In der Schulreform wird die ÖVP alle Hammerschmid-Vorhaben blockieren …
Und in der Asylfrage wird die ÖVP Ende August auf der Umsetzung der Obergrenze bestehen.
Die Entzauberung Kerns?
Die Frage ist: Wird es der ÖVP damit gelingen, Kern bis Ende August zu entzaubern? Oder schafft Kern die ersten Reformen bei Schule, Wohnen, Aufschwung?
Neuwahl: Wer traut sich?
Klar ist: Aus der Defensive und aus der ÖVP-Blockade kommt Kern nur mit Neuwahlen. Doch die traut sich derzeit weder Kern noch sein Vize Mitterlehner.
Bei Neuwahl: Wer gewinnt?
Im Moment wäre Kern wohl Neuwahlsieger. Strache ist persönlich zu unbeliebt, um als Kanzler voran zu sein.
Mittelfristig spricht alles für Sebastian Kurz – aber wenn Griss antritt, Kern Tritt fasst und die FPÖ Hofer gegen Strache tauscht, ist alles offen …