Österreich könnte vom Atomausstieg der Deutschen profitieren.
Die vorzeitige Schließung seiner Atomkraftwerke dürfte Deutschland etwa 6 Mrd. Euro pro Jahr kosten, die zusätzlichen Abschreibungen betragen 70 Mrd. Euro. Auch für Österreich habe der Atomausstieg Deutschlands langfristige Folgen, sagte der Chef der Regulierungsbehörde E-Control, Walter Boltz, am Mittwochabend bei einem Pressegespräch in Wien. Nach Berechnungen der E-Control könnten die Kosten für Österreichs Volkswirtschaft etwa 600 Mio. Euro pro Jahr betragen.
"Das Problem ist nicht der Ausstieg an sich, sondern dass das ein Hüftschuss ist und die Sache ein paar Monate mehr Vorbereitung vertragen hätte", sagte Boltz. "Faktum ist, wir werden alle mitzahlen."
Chance für heimische Betreiber
Für die heimischen Kraftwerksbetreiber sei der deutsche Atomausstieg aber auch eine Chance, weil die Großhandelspreise dadurch um 10 Euro je MWh steigen dürften. "Der Verbund lässt die Sektkorken knallen, weil bei gleichen Kosten die Erlöse steigen." Bestehende Wasserkraftbetreiber könnten ihre Profite um ein Fünftel steigern. Gleichzeitig sinke der Förderbedarf für Erneuerbare um 10 Euro je MWh. Für Kleinwasserkraft könnte das bedeuten, dass sie ohne Förderungen auskommen könnte.
Das verändere auch die Rentabilitätsrechnung für das Verbund-Gas-Dampf-Kraftwerk Mellach in der Steiermark. "Vor dem Atomausstieg Deutschlands wäre die Chance durchaus groß gewesen, dass Mellach die nächsten paar Jahre Verlust macht. Jetzt sieht das wieder anders aus", meint Boltz. Jeder Preis, der deutlich über 50 Euro pro Megawattstunde liegt, werde dazu führen, dass die thermischen Kraftwerke in Österreich länger in Betrieb sind, und Österreich könnte zum Nettoexporteur von Strom werden, glaubt man in der E-Control. "Wir haben rein technisch massig Kapazität für den Export." Mit den aktuellen Kraftwerken könnte man ca. 10 TWh Strom mehr produzieren. Der Importbedarf beträgt etwa 3 TWh.
Kehrseite
Die Kehrseite der Medaille sei natürlich, dass die heimischen CO2-Emissionen durch Gaskraftwerke um rund 6 Mio. Tonnen pro Jahr steigen könnten. Die stärkere Auslastung der Gaskraftwerke sowie der Zubau von beispielsweise 3 GW könnten einen Zusatzbedarf von etwa 3 Mrd. m3 Gas bedeuten.
Produktionseinbuße
Die vorzeitige Schließung der acht deutschen Atomkraftwerke bedeute eine Produktionseinbuße von 140 TWh, die allerdings auf andere Atomkraftwerke übertragen werden dürften. Dennoch könnten die CO2-Emissionen - bei Substitution durch Gas - um über 70 Mio. Tonnen steigen, wenn die Erneuerbarenpläne nicht erhöht werden. "Das ist fast die komplette Emission Österreichs", sagte Boltz. "Im Moment kann mir niemand sagen, wie die Deutschen ohne Atomkraftwerke ihr CO2-Emissionsziel erreichen können. Die Mengen sind einfach zu groß, da dürften sie nicht mehr Auto fahren."
Derzeit sind in Deutschland Zubauten bis 2013 von 1.700 MW Erdgas und 7.000 MW Steinkohle vorgesehen. Wenn der Neubau von Kraftwerken in Deutschland nur zögerlich vorangeht, könnte es um 2016 herum zu einem gewissen Engpass kommen, warnt die E-Control. Die besten Standorte für neue Kraftwerke wären jene der jetzigen AKW. Die Stromleitungen seien schon da und die Leute an Industrieanlagen schon gewöhnt. "Im Vergleich zu einem Atomkraftwerk ist ein Gaskraftwerk ja herzig", meint Boltz. Zu den Gewinnern der deutschen "Energiewende" zählen auch die Anlagenbauer. Laut E-Control besteht ein Investitionsbedarf von 20 GW an zusätzlicher Kraftwerksleistung, das bedeute ein Investitionsvolumen von 10 Mrd. Euro bei Gaskraftwerken oder 20 Mrd. Euro mehr für Windinvestitionen, wobei für die gleiche Energiemenge die dreifache Windkraft-Kapazität notwendig wäre.
Vorläufig keine steigenden Preise
Die Endkunden in Österreich müssen kurz- und mittelfristig nicht mit steigenden Preisen rechnen, sagte E-Control-Vorstand Martin Graf. Zwar habe es einen Preisanstieg am Großhandelsmarkt gegeben, doch wegen der langfristigen Beschaffungspolitik der Energieversorger seien unmittelbare Auswirkungen durch die aktuellen politischen Entscheidungen in Deutschland nicht zu erwarten. Bei Strom sind die Spotpreise seit Mitte März um etwa 15 Euro je MWh höher (+23 Prozent) als vor einem Jahr, die Forwardpreise sind jedoch deutlich weniger gestiegen.
Bei Gas sind die österreichischen Endkunden seit Wochen mit Preiserhöhungen konfrontiert, die nach Ansicht des Regulators "recht großzügig" ausgefallen sind. Die Senkungen der letzten zwei Jahre seien nicht weitergegeben worden.