Machtkampf um die Zukunft von Opel: Während die deutschen Opel-Beschäftigten an allen vier Standorten gegen befürchtete Einschnitte protestieren, gibt sich die alte und neue Mutter General Motors (GM) betont selbstbewusst. Der US-Konzern droht der Belegschaft offen mit Insolvenz, sollten die Betriebsräte nicht zu Zugeständnissen bereit sein. Und GM ist sich der Staatshilfe aus Deutschland und den anderen europäischen Opel-Ländern sicher: "Wenn sie den Magna-Plan mögen, mögen sie auch den GM-Plan", sagte Vize-Präsident John Smith.
Tausende Beschäftigte demonstrierten an diesem Donnerstag (5. November) gegen befürchtete Werkschließungen und massive Stellenstreichungen. Sie haben Angst vor harten Einschnitten, nachdem GM nach monatelangem Poker den Verkauf von Opel an den österreichisch-kanadischen Zulieferer Magna und russische Investoren abgeblasen hat. In Deutschland arbeiten mehr als 25.000 Menschen für Opel.
Nach Smiths Darstellung ist die Sorge unbegründet. GM wolle rund 10.000 der insgesamt gut 50.000 Opel-Arbeitsplätze in Europa streichen. Das wären in etwa genauso viele wie von Magna vorgesehen. Dies sei nötig, um die Kosten um 30 Prozent zu senken und Opel zu einem profitablen Unternehmen zu machen.
Über die Pläne des Mutterkonzerns ist ansonsten noch wenig bekannt. Sie beruhen in weiten Teilen auf einem früheren Konzept, das aber noch aktualisiert werden soll. So muss das Werk in Bochum entgegen der früheren GM-Planung möglicherweise nicht geschlossen werden. Es könne eine attraktive Lösung geben, sagte Smith. Das sei aber noch nicht entschieden. In Nordrhein-Westfalen stehen im kommenden Jahr Landtagswahlen an. Hingegen droht dem Werk in Eisenach weiter eine zweijährige Stilllegung, das Werk im belgischen Antwerpen steht vor dem Aus.
GM will den Plan möglichst bald ausarbeiten und den europäischen Regierungen und den Betriebsräten vorlegen. Der Autobauer ist zuversichtlich, trotz aller Kritik auch von Deutschland Staatshilfen zu bekommen. Smith sagte: "Ich bin hoffnungsfroh, dass die Bundesregierung unseren Plan, wenn sie ihn gesehen hat, gut finden und uns genauso unterstützen wird wie die Regierungen aus Spanien, Polen und Großbritannien." Sollte Deutschland die Unterstützung verweigern, müsse GM einen "Plan B" ziehen.
Das "Wall Street Journal" (WSJ) zitierte informierte Personen, wonach der Autobauer aus den eigenen "unbegrenzten Barreserven" schöpfen könne, um die Restrukturierung selbst zu schultern. Das war in Deutschland bezweifelt worden.
Rasches Konzept gefordert
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) forderte GM unterdessen auf, unverzüglich ein Konzept vorzulegen. "Wir erwarten jetzt einen Plan, wie Opel wieder fit und flott gemacht werden kann", sagte er im ZDF-"Morgenmagazin". "Wir erwarten von Opel und von GM, dass die Arbeitsplätze in Deutschland gehalten werden." Erst wenn dieser Plan vorliege, könne man darüber reden, welche staatlichen Hilfen möglich seien. "Die Amerikaner dürfen nicht glauben, dass sie Deutschland in irgendeiner Form erpressen können."
Die Gewerkschaft IG Metall sieht derzeit keine Veranlassung, neue Verhandlungen mit GM voranzutreiben. "Es ist den Arbeitnehmern und damit ihren Gewerkschaften überhaupt nicht zuzumuten, nach diesem Paukenschlag aus Detroit, der auch ein Schlag ins Gesicht war, jetzt mit neuen Plänen aufzuwarten", sagte der Frankfurter IG-Metall- Bezirksleiter Armin Schild, der Mitglied im Opel-Aufsichtsrat ist, im ZDF-"Morgenmagazin".
Zudem hält Schild die von GM genannte Investitionssumme von 3 Mrd. Euro für nicht ausreichend. "Das reicht genau, um die Sozialpläne und die Schließungskosten zu finanzieren. Das reicht eben nicht, um neue Autos zu bauen und um neue Märkte zu erschließen."
Der Autoexperte Stefan Bratzel warnte die Opel-Belegschaft, den Bogen mit den Protesten nicht zu überspannen. Die Betriebsräte müssen aufpassen, "dass sie das Tischtuch mit GM nicht vollständig zerschneiden", sagte er der Tageszeitung "Die Welt". Das Verhältnis zwischen der US-Konzernmutter und den Belegschaftsvertretern ist ohnehin schwierig. Unter anderem Opel-Betriebsratschef Franz hatte sich in den vergangenen Monaten eindeutig auf Magna als Investor festgelegt. Nach der GM-Entscheidung, die europäische Tochter doch nicht zu verkaufen, sprach er von "einem schwarzen Tag für Opel".
Bei deutschen Politikern war die GM-Entscheidung auf heftige Kritik gestoßen. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sagte: "Das Verhalten von General Motors ist völlig inakzeptabel sowohl den Arbeitnehmern als auch Deutschland gegenüber". In Wien kritisierte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (V) an dem geplatzten Deal, dass wertvolle Zeit verloren gegangen sei. Er forderte ein Ende "des Pokerspiels um Finanzierungsmittel der beteiligten Standorte".
Hingegen wurde der Beschluss in anderen europäischen Ländern mit Opel-Standorten wie Polen oder Großbritannien positiv aufgenommen. Dort war wegen der Staatshilfen aus Berlin befürchtet worden, Magna könne die lokalen Standorte gegenüber den deutschen benachteiligen.
Brüssel für gemeinsames Vorgehen
EU-Industriekommissar Günter Verheugen rief die Europäer zu einem gemeinsamen Vorgehen auf. Es komme jetzt darauf an, einen Bieterwettbewerb unter den EU-Staaten mit Opel-Standorten zu vermeiden, sagte er dem "Hamburger Abendblatt". "Wenn jeder für sich mit Detroit verhandelt, werden sich die Amerikaner die besten Angebote aussuchen können." Ob das die wirtschaftlich Tragfähigsten wären, stünde in den Sternen.
Der deutsche Regierungssprecher Ulrich Wilhelm kündigte für die nächsten Tage ein Gespräch der Bundesregierung mit der US-Regierung an. Berlin sei enttäuscht und verwundert über das Vorgehen von GM. Auch beim Antrittsbesuch von Außenminister Guido Westerwelle bei US-Amtskollegin Hillary Clinton könnte es um die GM-Pläne gehen.
Aus Sicht der EU-Kommission muss die deutsche Regierung GM nicht automatisch die gleichen Staatshilfen anbieten wie dem Zulieferer Magna. "Das muss jetzt die deutsche Regierung entscheiden", sagte der Sprecher von EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes. "Wir können den Mitgliedstaaten nicht vorschreiben, Staatshilfen anzubieten. Wir können und werden Staatshilfen aber darauf abklopfen, ob sie den EU-Staatshilfe- und Binnenmarktregeln entsprechen."
Thema bei Faymanns Besuch in Berlin
Das Thema "Opel" wird beim Berlin-Besuch von Bundeskanzler Werner Faymann (S) anlässlich der Feiern zum Fall der Berliner Mauer am Montag, 9. November, "auf der Tagesordnung stehen", hieß es aus dem Bundeskanzleramt in Wien zur APA. Was die Zukunft des Motorenwerkes in Wien-Aspern betrifft, zeigte man sich erneut optimistisch: "Unter den bestehenden Plänen gibt es eine gute Zukunft für Aspern", sagte Kanzler-Sprecher Leo Szemeliker. Sollte General Motors (GM) aber mit der Insolvenz seiner Tochter Opel drohen, "kann es Probleme geben".
Prinzipiell stehe GM als Eigentümer der Zugang zu österreichischen Garantieinstrumenten offen, so Szemeliker. Was einen eventuellen "Solidaritätsbeitrag" der GM-Wien-Mitarbeiter betrifft, stellte Arbeiterbetriebsrat Renate Blauensteiner heute klar, dass es "keine Zusagen" betreffend Einsparungen an Löhnen und Gehältern gegeben habe. Das Verzichtsangebot stand noch unter der Perspektive einer Übernahme durch Magna und beruhe auf Einzelverträgen, das "kann nicht kollektiv verhandelt werden". Mit Magna als Eigentümer hätten die österreichischen Mitarbeiter jährlich auf 10,6 Mio. Euro verzichtet - für alle Opel-Mitarbeiter wären es 265 Mio. Euro gewesen. Diese Übernahmevariante ist nun gestorben.
Aspern: Gehaltsverzichtszusage war an Magna gebunden
Nach dem Platzen des Opel-Verkaufs an Magna ist der "Solidaritätsbeitrag" der Mitarbeiter Geschichte: "Diese Zusage eines Gehaltsverzichts war an Magna gebunden", sagte Renate Blauensteiner, Arbeiterbetriebsrat im GM-Werk in Wien im "WirtschaftsBlatt". Die Opel-Mitarbeiter hätten jährlich auf 265 Mio. Euro verzichtet, das österreichische Werk hätte pro Jahr 10,6 Mio. Euro beigesteuert.
Die Leitung der Opel-Mutter General Motors (GM) forderte die Belegschaft allerdings bereits auf, auch unter dem Dach von GM einen Sanierungsbeitrag zu leisten. Der Gehaltsverzicht der Mitarbeiter war wenige Stunden bevor GM den Opel-Verkauf an Magna abgeblasen hatte, vereinbart worden.
Österreichische Opel-Händler erwarten keine Veränderungen
GM versucht nun die Wogen bei den eigenen Händlern zu glätten: In einer Telefonkonferenz wurden die europäischen Opel-Händler über die derzeitige Situation informiert. Mit dabei Helmut Günther, Chef des österreichischen Opel-Händlerverbands. GM-Europa Chef Carl-Peter Forster habe sich bei den Händlern bedankt, so Günther im Gespräch mit der APA. Es werde laut Günther keine Veränderung der Händlerstruktur geben. Die Insolvenz von Opel sei für ihn "absolut unwahrscheinlich".
GM habe die überraschende Entscheidung damit begründet, dass man eine Marke, die sich wieder erholt, nicht abgebeben wolle, sagte Günther. Für die Händler sei es nicht so wichtig, wer Eigentümer von Opel sei, vielmehr dass erkennbare deutsche sowie europäische Fahrzeuge hergestellt werden. In der Vergangenheit sei da manches schiefgelaufen.
Deutliche Veränderungen erwartet Günther in der Organisationsstruktur von General Mototors und Opel. "Manche Herren in Detroit haben abgehoben agiert", sagte Günther. Wichtig sei es jetzt "näher am Kunden" zu sein sowie die Entscheidungswege zu verkürzen und zu beschleunigen.
Putin enttäuscht
Der russische Regierungschef Wladimir Putin hat sich enttäuscht über den Rückzieher von General Motors (GM) beim geplanten Opel-Verkauf geäußert. Mit seiner Entscheidung stelle GM alle Beteiligten trotz der zuvor getroffenen Vereinbarungen vor vollendete Tatsachen, kritisierte Putin. Seine Regierung werde zwar in Russland weiter mit GM zusammenarbeiten, aber den "eigentümlichen Geschäftsstil (von GM) im Umgang mit europäischer Konkurrenz" berücksichtigen, warnte der Ex-Kremlchef nach Angaben der Agentur Interfax. Putin hatte sich wiederholt öffentlich für ein Gelingen des Geschäfts stark gemacht.
Russlands Regierungschef sagte, Moskau habe für den Deal 250 Mio. Euro Staatsgarantien bereitstellen wollen. "Damit sollten (bei dem Opel-Geschäft) auch die deutsche Regierung und die deutschen Finanzinstitute entlastet werden."
Der geplante Einstieg der russischen Sberbank zusammen mit dem österreichisch-kanadischen Zulieferer Magna bei Opel sei wegen des Zugriffs auf westliche Technologien eine Chance für die russische Autoindustrie gewesen. Putin kündigte nach dem geplatzten Opel- Geschäft eine weitere Finanzspritze für die marode Autobranche des Landes an. Der Staat investiere fünf Mrd. Rubel (115,5 Mio. Euro) in den Hersteller Avtovaz (Lada).
Becker: "GM kann Opel selbst sanieren"
Der deutsche Autoexperte Helmut Becker, der bereits im August erklärt hatte, GM spiele auf Zeit und werde Opel nicht an Magna verkaufen, ist überzeugt, dass der US-Konzern seine europäische Auto-Tochter selbst sanieren kann: "Möglich ist es. Hinter GM steht die US-Regierung, 60 Prozent gehören den USA und Kanada. Vor diesem Hintergrund kann GM Opel neu aufstellen", erklärt Becker im Interview mit den "Salzburger Nachrichten" (SN, Donnerstag). Im Opel-Management sollten Köpfe rollen, da gegen GM gearbeitet werde, so Becker.
Die alte Opel-Führungsmannschaft "muss weg", sagt Becker und zitiert Albert Einstein: "Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind." Für ihn als Ökonomen sei es nicht einsichtig, dass die Belegschaft für Magna einen Beitrag leisten wolle, für den Uralteigentümer GM aber nicht. "Da müssen die Köpfe rollen. Als GM würde ich ein derartiges Verhalten nicht tolerieren."
GM habe nun - nachdem der Opel-Verkauf an Magna abgeblasen wurde - eine andere taktische Ausgangsposition. In dieses Konzept passe Opel als strategisch wichtiger Baustein unverzichtbar hinein. Erstmals seit 80 Jahre brauche GM Opel und nicht umgekehrt, so Becker. Beim Opel-Betriebsrat sei diese Erkenntnis freilich noch nicht angekommen. Opel-Führung, Betriebsrat und Belegschaft sollten "nicht lamentieren und mit Streiks drohen, sondern positiv an die neue Situation herangehen". Opel sei jetzt ein Asset geworden. Opel habe die Technologie, die GM brauche.
Bei der Neuaufstellung von Opel denkt der Autoexperte, der das Münchner Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation leitet, an eine neue Kapital- und Eigentümerstruktur. Die Belegschaft sollte mit mehr als zehn Prozent beteiligt werden. Eine Sperrminorität hätte laut Becker Sinn, "denn Opel muss sich selbst retten und darf nicht fremdbestimmt sein, weder aus Graz, Detroit noch aus Moskau".
Für Magna sei die Absage des Opel-Deals positiv, meint der Autoexperte: "Magna wäre als Opel-Eigentümer in Schwierigkeiten gekommen, weil alte Kunden davongelaufen wären." Magna könne nun vielleicht mit Ausnahme der Verhandlungsführer mit erhobenem Haupt aus der Sache gehen "und sich wieder um sein Hauptgeschäft kümmern", wo man marktbedingt genug Schwierigkeiten habe. Vor allem am Standort Graz werde es sehr schwierig werden, die Kapazitäten aufzufüllen.