Deutschen Banken droht Konkurrenz im Online-Privatkundengeschäft vom größten US-Geldhaus JPMorgan.
Die Bank will offenbar in Deutschland expandieren und sucht deshalb Beschäftigte mit Expertise im Retail Banking. Das legen rund 80 Stellenausschreibungen nahe, mit denen der US-Marktführer derzeit um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Berlin und Frankfurt wirbt. In ihnen formuliert die Bank konkrete Ziele für den deutschen Markt.
So sucht sie etwa einen Compliance Officer in Berlin, der die "internationale Verbraucher-Expansion in Deutschland" unterstützen soll. Für andere Jobs wird Expertise im Bereich Privatkundeneinlagen, Verbraucherkredite oder Digital Banking verlangt. "Die in Berlin von JPMorgan ausgeschriebenen Stellen sprechen ganz klar für eine Wachstumsstrategie im Bereich Retail Banking", sagt Nils Wilm, Recruiting-Berater für die Bankenbranche in Frankfurt.
Die Bank selbst hält sich bedeckt. Fragen zum Aufbau des Online-Privatkundengeschäfts in Deutschland wollte sie nicht kommentieren. Ein Insider aus der Führungsebene sagte, vor einem weiteren Markteintritt wolle das Institut zuerst die Entwicklung des Retail-Geschäfts in Großbritannien beobachten. Dort ist die Bank seit September 2021 mit einem digitalen Banking-Angebot für britische Privatkunden unter dem Markennamen Chase am Start, das mittlerweile rund 500 Millionen Nutzer zählt.
Per App können die Kunden Giro- und Sparkonten führen, kostenlos ins Ausland überweisen oder ihre Ausgaben kontrollieren. "Das ist ein Geschäftsfeld, das wir nicht nur für Großbritannien aufbauen, sondern hoffentlich für den Rest der Welt", hatte Sanoke Viswanathan, bei JPMorgan für internationale Wachstumsprojekte verantwortlich, zu Reuters im Dezember 2021 gesagt.
US-Banken suchen schon länger nach Wegen, um dem lukrativen, aber sehr volatilen Investmentbanking die stabileren Einnahmen aus dem Privatkundengeschäft zur Seite zu stellen. Doch in den lokalen Märkten treffen sie häufig auf etablierte Rivalen und die Margen sind dünn. In Deutschland ist JPMorgan bereits zu einer der größten Beraterbanken bei Fusionen und Übernahmen aufgestiegen. Auch in der Payment-Branche konnte die Bank, die ihre EU-Geschäfte aus Frankfurt heraus steuert, Fuß fassen: JPMorgan ist seit sieben Jahren der führende Zahlungsabwickler für Online-Transaktionen in Europa. Die mittelständischen Unternehmen in Deutschland hat die US-Bank schon länger im Visier. Im Mai hatte der Leiter des Firmenkundengeschäfts, Bernhard Brinker, mittelfristig eine Verzehnfachung des Geschäfts in Aussicht gestellt.
Schaut man sich die Stellenanzeigen der Bank in der Europäischen Union an, ist der deutsche Markt ganz vorne dabei - in Polen oder Irland hat sie jeweils mehr als 100 Stellenanzeigen geschaltet, überwiegend im IT-Bereich. In Deutschland stellte die Bank allein heuer schon 200 neue Mitarbeiter ein. Aktuell sucht JPMorgan für die Umsetzung von "Cash and Card Operations" Mitarbeiter, die "Kenntnisse und Verständnis von Kartensystemen und Retail-Banking-Plattformen" und Erfahrung mit Girocard-Regeln mitbringen. Ein Produktmanager soll "Aufbau und Management des deutschen Kartenportfolios" verantworten und die Girocard-Integration "von Grund auf für den deutschen Markt" steuern. "Wir glauben, dass das Privatkundengeschäft ein sehr aufregender Bereich ist", heißt es in mehreren Job-Postings.
Traditionell herrschte bei JPMorgan die Ansicht, dass Banken sich mit dem Aufbau eines Privatkundengeschäfts außerhalb ihrer Heimatmärkte schwertun. Konzernchef Jamie Dimon hatte am Investorentag im Mai klargemacht, dass JPMorgan kein Interesse am klassischen Filial-Geschäft hat. "JPMorgan wird keineswegs hundert Filialen in Mumbai, Hongkong oder London eröffnen und in den Wettbewerb steigen", erklärte er. Allerdings habe die Digitalisierung vieles verändert. "Weltweit findet gerade eine massive digitale Disruption statt und diese bietet uns eine Chance", erklärte Viswanathan bei derselben Veranstaltung.
Innovation und Fintech-Lösungen sollen offenbar eine wichtige Rolle im Aufbau des Online-Privatkundengeschäfts spielen. Künftigen Mitarbeitern in Deutschland verspricht die Bank eine "Start-up-Atmosphäre, unterstützt von einem der weltweit führenden Finanzdienstleister." Passend dazu führen zunächst die Kontaktadressen aus den Stellenanzeigen in Berlin zu Coworking-Büros. "Berlin ist nunmehr seit über einer Dekade Europas Gravitationspunkt für junge und erfahrene Talente, die in Berlins digitaler Finanzwirtschaft arbeiten wollen," sagt Achim Oelgarth, Chef des Ostdeutschen Bankenverbands.
Außerdem bietet ein Standort in Berlin weitere strategische Vorteile für das Institut: "Viele Investmentbanken buhlen um Regierungsaufträge", erklärt Headhunter Wilm. "Die Hauptstadt mit ihren politischen Entscheidungsträgern ist sicherlich von zentraler Bedeutung für das weitere Wachstum von JPMorgan in Deutschland."