Die Deutsche Börse setzt angesichts der Flaute an den europäischen Finanzmärkte verstärkt auf Asien. In absehbarer Zeit werde bedeutsames Wachstum nicht in Europa und Nordamerika, sondern in Asien stattfinden, sagte Konzernchef Reto Francioni am Mittwoch in Frankfurt. Um das Wachstum in der Region zu beschleunigen, hat Deutschlands größter Börsenbetreiber eine "hochrangige Task Force Asien" ins Leben gerufen. Details über deren Arbeit wolle Francioni aus Wettbewerbsgründen nicht verraten, betonte aber: "Die weitere Erschließung der Märkte in Asien ist auf mittlere Sicht erste Priorität."
Im vergangenen Jahr ging der Gewinn der Deutschen Börse um rund ein Viertel auf 645 Millionen Euro zurück. Das Unternehmen und andere Börsenbetreiber leiden darunter, dass sich Investoren wegen der Euro-Schuldenkrise und härterer Auflagen der Aufseher zurückhalten. Besonders Banken handeln wegen der strengeren Eigenkapitalanforderungen weniger, das Zocken auf eigene Rechnung haben viele Institute ganz eingestellt. Die Deutsche Börse, deren wichtigste Kunden Banken sind, hat dies in den vergangenen Jahren deutlich zu spüren bekommen. Die Umsätze im Aktienhandel sind auf das Niveau von 2005 zurückgefallen, im Derivate-Geschäft auf das Level von 2007.
Angesichts des unsicheren Marktumfelds wagt die Börse derzeit keine konkrete Prognose für 2013. Sollte sich das Umfeld nicht weiter bessern, würden die Umsätze auf dem Niveau des zweiten Halbjahres 2012 verharren, sagte Finanzchef Gregor Pottmeyer. Bessert sich die Lage, könnten die Nettoerlöse moderat auf über zwei Milliarden Euro steigen.
Die Deutsche Börse hat angesichts des schwierigen Marktumfelds vor zwei Wochen ein 70 Mio. Euro schweres Sparprogramm angekündigt. Bis 2016 sollen dabei 250 Stellen wegfallen, davon 50 Führungspositionen. Etwa die Hälfte der Arbeitsplätze werden in Frankfurt gestrichen, die andere Hälfte in Luxemburg. Einen großen Aufschrei des Betriebsrats hat es bisher nicht gegeben, weil der Konzern keine betriebsbedingten Kündigungen plant und viele Mitarbeiter Interesse an den Abfindungsangeboten signalisiert haben.
Durch die Einsparungen will das Unternehmen auch Mittel für die Expansion in Asien freischaufeln. Unter den westlichen Anbietern sei der Konzern mit seiner Wertpapier-Verwahrtochter Clearstream schon heute die einzige Börsenorganisation, die bedeutende Erlöse in der Region einfahre, sagte Francioni. Derzeit trägt die Region allerdings lediglich rund fünf Prozent zum Umsatz des Gesamtkonzerns bei.
In den nächsten drei bis fünf Jahren sollen die Erlöse in Asien um über 100 Mio. Euro steigen, kündigte Pottmeyer an. Da es in der Region kaum Übernahmemöglichkeiten gibt, will die Deutsche Börse dort vor allem aus eigener Kraft und durch Kooperationen wachsen, betonte Francioni. Seiner Ansicht nach wird die chinesische Währung Renminbi in den nächsten fünf Jahren weltweit deutlich an Bedeutung gewinnen. "Wenn man da als Börsenorganisation nicht vertreten ist, hat man ein Problem."
Große Übernahme strebt Francioni nach der geplatzten Fusion mit der New York Stock Exchange (Nyse) nicht mehr an. "Wir haben das Kapitel abgeschlossen", sagte der Schweizer. Auch an der Mehrländerbörse Euronext hat Francioni kein Interesse, sollte diese zum Verkauf gestellt werden. "Das ist für uns kein Thema."
Die EU-Kommission hatte die Fusion von Deutscher Börse und Nyse vor einem Jahr verboten, weil beide Unternehmen aus ihrer Sicht eine marktbeherrschende Stellung im europäischen Derivatemarkt eingenommen hätten. Francioni ärgert sich über die Entscheidung noch heute - besonders, weil die Nyse nun wohl vom US-Konkurrenten ICE geschluckt wird. Er könne nur staunen, "mit welcher Blauäugigkeit hier von Bürokraten Chancen vergeben werden", schimpfte Francioni.
Bei der Derivate-Börse Scoach muss die Deutsche Börse künftig ohne den Partner SIX auskommen. "Unser Schweizer Partner hat sich entschlossen, die Partnerschaft einseitig zu kündigen", sagte Andreas Preuß, der Vize-Chef der Deutsche Börse. Bisher betreiben die Deutsche Börse und die Six die Scoach, einen der weltgrößten Handelsplätze für strukturierte Produkte, gemeinsam.