17 Stunden rangen die 19 Euro-Regierungschefs. Wie der Grexit noch verhindert werden konnte.
Um 4.15 in der Früh glaubte kaum noch ein Euro-Regierungschef an eine Einigung mit Griechenlands Premier Alexis Tsipras. „Wir bewegen uns auf einen Grexident zu“, befürchteten SPÖ-Kanzler Werner Faymann, Italiens Premier Matteo Renzi und Frankreichs Präsident François Hollande gestern im Morgengrauen.
Zwölf Stunden hatten die 19 Euro-Regierungschefs bereits im achten Stock des Kommissionsgebäude um einen Kompromiss gerungen.
Erst nach 17 Stunden – dem längsten Euro-Gipfel der Geschichte – sollte es zur Einigung kommen: Griechenland erhält 86 Milliarden Euro, um die Staatspleite abzuwehren. Dafür muss Tsipras am Mittwoch harte Sparmaßnahmen im Parlament in Athen beschließen.
© Reuters, APA, AFP
© Reuters, APA, AFP
© Reuters, APA, AFP
© Reuters, APA, AFP
© Reuters, APA, AFP
© Reuters, APA, AFP
© Reuters, APA, AFP
© Reuters, APA, AFP
© Reuters, APA, AFP
© Reuters, APA, AFP
Streit um 50 Milliarden aus Privatisierungen
Stundenlang hatten der niederländische Premier Mark Rutte und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel Tsipras da „bereits brutal in die Mangel genommen“, berichten Sitzungsteilnehmer. Das konservative Duo wollte, dass die linke Syriza einen Privatisierungsfonds in Höhe von 50 Milliarden Euro einrichtet und diesen in Luxemburg ansiedelt.
Hollande, Renzi und Faymann lehnten ab. Und Merkel und Rutte wollten sämtliche Maßnahmen der Tsipras-Regierung rückgängig machen. „Das würde auch die Essensmarken“ für Arbeitslose, unterernährte Kinder und Unversicherte betreffen, konterte Tsipras.
Streit um zwei Uhr früh: Renzi platzt der Kragen
Italiens impulsivem Renzi platzte gegen 2 Uhr morgens der Kragen: Merkel fordert, dass griechische TV-Sender nicht mehr mit Beamten und Gebühren arbeiten. „Dann muss ich nach Italien zurück und sagen, wir steigen auch aus dem Euro aus“, sagt Renzi. Merkel lenkt ein. Immer wieder tippt sie SMS in ihr Handy.
Fronten bleiben starr: Vierer-Teams starten
Dreimal wird die Sitzung unterbrochen. EU-Ratspräsident Donald Tusk, Hollande, Merkel und Tsipras verhandeln stundenlang zu viert. Die Fronten bleiben starr: Von Mitternacht bis 7.30 morgens scheint der Grexit – der Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone – immer wahrscheinlicher.
Merkel blieb lange hart, tsipras lenkt ein
Merkel bleibt hart. Beharrt auf dem 50 Milliarden-Euro-Privatisierungsfonds. Faymann schickt ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner Sigmar Gabriel ein SMS. Dieser erhöht den Druck auf Merkel. Hollande bearbeitet Tsipras. Dessen linke Parteifreunde melden sich via Athen: „Brich die Gespräche ab.“ Tsipras lenkt doch ein. Merkel merkt, dass sie die Buhfrau zu werden droht, und wird ab 7.30 Uhr konzilianter. Nach 17 Stunden fliegen alle in ihre Länder zurück und hoffen, dass Tsipras die Abstimmung im Parlament gewinnt. Der Krimi geht weiter …
SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann:
›Es wird schwierig für Tsipras werden‹
ÖSTERREICH: Der Euro-Gipfel hat 17 Stunden gedauert. Wie dramatisch war es?
Werner Faymann: Streckenweise habe ich geglaubt, dass kein Ergebnis mehr möglich sein wird. Aber dieser harte und kontroversiell geführte Gipfel zeigt, dass Europa nicht einfach ist, aber in Krisenmomenten Lösungskompetenz hat.
ÖSTERREICH: Aber wird der griechische Premier Tsipras den Deal in Athen überhaupt durchbringen?
Faymann: Es wird sicher schwierig für den Premier, der kürzlich aus mir unverständlichen Gründen ein Referendum gegen die Reformen gemacht hat. Das wird er jetzt erklären müssen.
ÖSTERREICH: Hat diese Griechenland-Rettung in letzter Sekunde nicht gezeigt, wie gespalten die EU ist?
Faymann: Die überwiegende Mehrheit der EU-Regierungschefs wollte auf Augenhöhe diskutieren und kein Einziger – auch nicht Deutschlands Kanzlerin Merkel – hatte den Vorschlag von Finanzminister Schäuble, Griechenland temporär aus der Eurozone rauszuwerfen, verteidigt. Das war ein entwürdigender und unnötiger Vorschlag von Schäuble.
ÖSTERREICH: Worüber wurde dann so lang gestritten?
Faymann: Schäuble wollte, dass Griechenland in den kommenden drei Jahren 50 Milliarden Euro durch Privatisierungen für die Schuldentilgung einbringt. Das war ein Vorschlag, der nichts mit der Realität zu tun hat und ökonomisch unsinnig gewesen wäre. In Krisenzeiten unter Zeitdruck zu privatisieren, wäre negativ. Das konnten wir abwenden.
ÖSTERREICH: Aber der Grexit ist noch nicht abgewehrt?
Faymann: Wir können noch nicht wissen, wie das griechische Parlament am Mittwoch über das Paket befindet und wie sich die Lage in Griechenland in den kommenden drei Jahren entwickeln wird. Wir haben jetzt einen Zusammenbruch verhindern können, aber die Einigung ist erst der Start eines schwierigen Weges.
ÖSTERREICH: Österreich haftet jetzt mit zusätzlich 1,8 Milliarden Euro, nicht?
Faymann: Wir haften im Rahmen des Schutzschirms von 500 Mrd. Euro mit einem Anteil von 2,7 Prozent. Es geht nicht um zusätzliches Geld, aber ich habe nie gesagt, dass die Griechenland-Hilfe ein Geschäft für Österreich ist. Aber eine stabile Eurozone ist für Länder wie Österreich und Deutschland unterm Strich von Vorteil.
ÖSTERREICH: Am Donnerstag entscheidet das österreichische Parlament über die Haftungen. Wird es Ärger geben?
Faymann: Ich erwarte Diskussionen, aber eine klare Mehrheit dafür. Für ein exportorientiertes Land wie uns wäre ein Grexit negativ gewesen.
Auf Seite 2 befindet sich der Live-Ticker zum Nachlesen.