Der Besitz von Musik könnte bald zunehmend der Vergangenheit angehören: Von den großen Hits kommender Jahre werden jene Kids, die Musik nicht ohnehin illegal downloaden, weder eine CD noch eine Musikdatei erwerben - sondern die Lizenz zum Hören. Und damit das Recht, den jeweiligen Song auf Handys, MP3-Player, Computer, schlicht: auf allen Geräten und an jedem Ort über Soundstreaming zu hören. Die Musik selbst bleibt hingegen in der "Wolke" gespeichert, in leistungsstarken Computerfarmen irgendwo auf der Welt. "Alles zeigt in diese Richtung", sagten Experten zum Auftakt der Musikmesse MIDEM.
Auf dem begleitenden Kongress MIDEMNET sucht das Musikbusiness seit Samstag zum elften Mal nach neuen Wegen, im Zeitalter von illegalen Downloads Geld zu verdienen. Nach langen Geburtswehen im Umgang mit Filesharing und sonstigen nichtlizensierten Verbreitungswegen von Musik, die seit Jahren für einen rasanten Rückgang bei den CD-Verkäufen sorgen, hat die Branche erkannt: "Es ist nicht unser Geschäft, Plastikscheiben zu verkaufen", wie Simon Wheeler vom britischen Label "Beggar's Group" sagt. Überhaupt hat das Musikbusiness "ein bisschen ein Problem: Das, was wir verkaufen wollen, kauft keiner mehr", sagte Hal Ritson von der Band The Young Punx.
Denn Musik selbst "hat zwar Wert", wie zahlreiche Diskutanten bei den Diskussionsveranstaltungen und Reden des ersten MIDEMNET-Tages betonten. Aus diesem jedoch Kapital zu schlagen, verlangt Kreativität (und auch Spaß, wie Radiohead-Musiker Ed O'Brien forderte).
Auf der für viele dennoch offenbar wenig spaßigen Suche nach neuen Einnahmequellen wird so manches Vorurteil über den Haufen geworfen: Das am stärksten wachsende Segment des Musikbusiness etwa war 2009 die Vinyl-Schallplatte, sagt Terry McBride vom kanadischen Label Nettwerk Music. Und mehr Menschen haben im vergangenen Monat Musik über eine legale Streaming-Plattform gehört als Musik über Filesharing getauscht haben, so Jasper Donat von "Music Matters".
Viel Hoffnung wird daher in Abo-Systeme gesteckt. Dabei kann gegen eine monatliche Gebühr unbegrenzt Musik gehört und, bei manchen Angeboten, auch heruntergeladen werden. Der Nachteil: Man ist zumeist an ein Gerät gebunden, das Abo lässt sich selten auf PC, Handy und Mp3-Player gleichberechtigt nutzen.
Das widerspreche jedoch den Nutzerbedürfnissen: Sie wollen ihre Musik "auf allen Geräten hören", sagte Michael Paull, bei Sony Music verantwortlich für das digitale Business. Zwar hat die Musik den Schritt vom Produkt (CD) zum Service längst vollzogen. Doch dieses Service ist nach wie vor eingeschränkt, nicht der Nutzer, sondern die Musikdatei steht im Zentrum. Das stößt vielen Konsumenten sauer auf.
Entgelt für "Hör-Lizenz" statt für Datei
"Die Welt geht in Richtung eines Nutzungs-basierten Modells", sagt daher Wheeler. "Das wird passieren. Wir müssen unser Business danach ausrichten." So soll das Business auf den Kopf gestellt werden: Nicht mehr die Datei wird verkauft, sondern der Käufer erhält gegen Entgelt die Lizenz zum Hören. Wie er diese einsetzt, bleibt ihm überlassen: Der jeweilige Song soll aus der dezentralen "Wolke" des sogenannten Cloud Computing über "so viele Angebote wie möglich" zum Kunden kommen. Nach Asien soll etwa demnächst auch in Europa die Handynutzung als "Fernsteuerung des Lebens" rasant zunehmen.
Doch auch wenn man dem Musikbusiness Innovationswillen längst nicht mehr absprechen kann: Die Lösung der eigenen Probleme wird trotz allem gern anderen überlassen, seien es Regierungen (wie im Falle der umstrittenen Urheberrechts-Forderungen) oder ein Gerätehersteller. Auch wenn das vorläufige Resümee der Diskussionsrunde alle zu überraschen schien ("Niemand hat den iPod erwähnt", sagte Musikproduzent Richard Gottehrer, "dabei galt der als das Wunder aller Zeiten"), blickt die Musikindustrie gespannt auf den iPod-Hersteller Apple.
Dieser hat ja eine Produktpräsentation (nach allgemeinen Erwartungen eines Tablet-Computers) angekündigt. Hand in Hand mit dem Gerät könnte eine neue Form der Musiklizenzierung gehen, so die Gerüchteküche auf der MIDEM. Und nicht nur Paul Brindley (von Music Ally) glaubt: "Alles zeigt in Richtung Wolke. Apple kann das durchsetzen - und Apple muss diesen Schritt machen."
Branche will anderes verkaufen als Musik
Das Musikbusiness selbst wird künftig immer weniger Augenmerk auf den Verkauf von Musik legen. Denn das Geld liegt anderswo: 19 Prozent der Fans würden alles geben, um ihrem Star nah zu sein, in den USA und Großbritannien sogar ein Drittel, zeigt eine Umfrage von "Music Matters". Und dieses "alles" soll vor allem jenes Geld sein, das die Fans nicht mehr in den Erwerb von Tonträgern investieren. Nicht mehr der Content, sondern der Kontext soll künftig verkauft werden.
Musik ist überall - aber "was sind die 15 Songs, die ich mir heute am Abend anhören will? Mir diese zu zeigen, darin liegt viel Geld", beschreibt Ted Cohen von TAG Strategic einen jener Bereiche, die künftig Geld bringen sollen: Musikempfehlungen. "Unlimitierten Zugang zu Musik zu haben, ist fast so wie keinen Zugang zu haben", sagt auch Paull. Zunehmend wichtiger werden daher Möglichkeiten sein, Musik zu entdecken, ohne dabei Millionen von Songs durchackern zu müssen. Empfehlungen von Freunden auf Social Networks, automatische Analyse des eigenen Musikgeschmacks, der Austausch von Playlists - derartige Angebote können "Musik mit Wert anreichern", sagt McBride.
Zunehmend übernehmen auch "Blogs die Vorreiterrolle" in Fragen des Musikgeschmacks, sagt Ritson, der gemeinsam mit Amanda Palmer von den Dresden Dolls die Sicht des Künstlers vertrat. "Als Künstler muss man sagen: Verkäufe sind keine Kennzahl für Erfolg mehr. Junge Menschen teilen Musik. Wir müssen uns andere Orte suchen, an denen Geld zu machen ist." Er betreue eine junge, aufstrebende Band, zu der "gibt es 10.000 Kommentare online, wie genial ihre Musik ist. Und ihre digitalen Verkäufe? 300 Einheiten." Nicht nur Palmer hat die Erfahrung gemacht: "Meine Fans sind sehr gemeinschaftsorientiert." Über Blogs, Twitter, soziale Websites versuchen daher die Musiker, den Kontakt zu ihren Fans zu pflegen.
Online-Präsenz als Karriere-Turbo
Dies sei eine neue Herausforderung für viele Musiker, sagte Gina Bianchini von der sozialen Website Ning. "Viele Schauspieler haben den Übergang von der Stumm- zur Tonfilmzeit nicht gut gemeistert. Das selbe passiert heute: Musiker müssen nun Gastgeber in einer Party werden, die rund um die Uhr dauert." Dazu seien nicht alle geeignet. Eine erfolgreiche Online-Präsenz könne auch abseits der herkömmlichen Erfolgsfaktoren - Verkäufe, Radio-Einsatz - eine Karriere aufbauen. Nur müsse man den Menschen Möglichkeiten geben, etwas zu zahlen: "Wenn den Menschen etwas wichtig ist, dann wollen sie dafür etwas ausgeben", so Bianchini.
Dass dieses Lied vom "Context is King" bereits im Vorjahr bei der MIDEM angestimmt wurde und die Fortschritte seither bescheiden waren, wurde in der Diskussion nicht thematisiert. Die Musikbranche ist jedenfalls wahrlich nicht alleine in den Übergangsproblemen ins digitale Zeitalter. "Die Welt hat sich nicht nur im Musikbereich verändert, sondern alles hat sich verändert", sagt Gottehrer.
Davon konnte auch Gastredner Jeffrey Hayzlett ein (unterhaltsames) Lied singen, denn sein Unternehmen hatte mit mindestens so großen Umwälzungen zu kämpfen wie das Musikbusiness: Kodak hat sich innerhalb weniger Jahre vom Filmhersteller zum Service-Anbieter gewandelt. Hayzletts Tipp an das Musikbusiness: "Überzeugt die Menschen, dass die besten Jahre noch vor euch liegen. Und beeilt euch mit den Veränderungen. Denn ihr werdet Fehler machen. Und es ist immer besser, Sachen schnell in den Sand zu setzen."