Der neue deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger setzt in der Energiepolitik auf enge Kooperation mit Russland. Die strategische Partnerschaft der Europäischen Union mit Russland müsse einerseits die Lieferung von Gas und Öl zu fairen Vertragsbedingungen sichern. Andererseits sei Russland für die Unternehmen in der EU ein wichtiger Absatzmarkt für Hochtechnologieprodukte. "Russland ist ein wichtiger Nachbar und Partner", sagte Oettinger der Nachrichtenagentur Reuters in einem Interview.
Nach den Spannungen zwischen der EU und Russland wegen des Georgien-Krieges 2008 und der Gas-Krise Anfang 2009 gibt es Oettinger zufolge gute Chancen für eine verbesserte Zusammenarbeit. Eine seiner ersten Auslandsreisen wird den neuen Energiekommissar demnächst nach Moskau führen. Oettinger vertritt außerdem eine offenere Haltung als sein Vorgänger, der Lette Andris Piebalgs, gegenüber den Gas-Pipeline-Projekten, an denen der russische Energieriese Gazprom beteiligt ist. Über die South-Stream-Pipeline soll russisches Gas unter dem Schwarzen Meer an der Ukraine vorbei nach Bulgarien fließen. "Langfristig ist jede Pipeline, die Gas nach Europa bringt, sinnvoll - es ist nicht meine Absicht, Southstream zu blockieren", sagte Oettinger.
Nabucco-Chance lebt
Die Nabucco-Pipeline, die Gas aus dem kaspischen Raum liefern soll, habe jedoch den zusätzlichen Vorteil, dass eine neue Lieferregion erschlossen werde. In letzter Zeit kamen Zweifel auf, ob es auf Dauer genug Bedarf für Nabucco als drittem Pipeline-Projekt neben den Gazprom-Leitungen Nord Stream und South Stream gebe. Oettinger äußerte sich jedoch zuversichtlich, dass sich die Investitionen des Betreiberkonsortiums, zu dem auch der deutsche Energiekonzern RWE gehört, rechnen werden. "Derzeit ist die Nachfrage wegen der Wirtschaftskrise nicht normal - aber ich bin sicher, dass es langfristig den Bedarf für diese Pipeline gibt."
Neben Moskau steht auch Kiew auf dem Reiseplan des Energiekommissars. Im Mai oder Juni will Oettinger mit der Regierung der Ukraine über die Zukunft der Gasversorgung beraten. Die Infrastruktur für die Gaslieferungen aus Russland müsse dringend erneuert werden. Der neue Präsident Viktor Janukowitsch hat ein Firmenkonsortium mit ausländischer Beteiligung zum Unterhalt des Leitungsnetzes vorgeschlagen. Oettinger sieht gute Chancen für das Projekt. "RWE und OMV sind konkret daran interessiert, ich bin sicher, dass es noch mehr Partner werden." RWE teilte auf Anfrage allerdings mit, sich an einer Sanierung der Transitpipeline nicht beteiligen zu wollen.
Ein wichtiges Gesetzgebungsvorhaben, das Oettinger gemeinsam mit EU-Umweltkommissar Janez Potocnik in der Hand hat, ist eine erstmalige Regelung auf EU-Ebene zu Sicherheitsstandards von Atomkraftwerken. Über Einzelheiten der Richtlinie, die bis zum Ende des Jahres vorgelegt werden soll, wollte Oettinger sich nicht äußern. Der Regulierung soll jedoch zugrunde liegen, dass jedes Mitgliedsland selbst für die Entsorgung des Atommülls der Kraftwerke zuständig ist. Bilaterale Abkommen unter EU-Ländern seien denkbar. Doch Atommüll-Exporte in Drittstaaten außerhalb der EU sei mit dem Sicherheitsbedürfnis der Staatengemeinschaft nicht vereinbar. (Schluss) gru/ags