6 Monate hat KHG geschwiegen. Jetzt spricht er über sein Endlos-Verfahren und sein Leben.
Über 20 Klagen hat Karl-Heinz Grasser in den letzten Monaten gegen ÖSTERREICH eingebracht, weil er sich in kritischen Artikeln über angebliche Korruptionsfälle ungerecht behandelt und vorverurteilt sah.
„Ich habe ein Recht auf Fairness und Gerechtigkeit“, sagte er vor mehreren Wochen am Telefon. Und: „Meine Causa ist das Musterbeispiel einer medialen Vorverurteilung. Ich bin in den Augen der meisten Journalisten längst verurteilt, obwohl es auch nach 25 Monaten keinen einzigen Beweis für ein Fehlverhalten gibt.“
ÖSTERREICH hat Karl-Heinz Grasser angeboten, ihm nach mehr als 100 kritischen Artikeln über seine angebliche – und bisher nicht bewiesene – Verstrickung in Buwog und Finanztransfers Raum für seine Sicht der Causa zu geben. Grasser hat diesem Vorschlag zugestimmt.
Mittwoch gab Grasser im Le Méridien, wo er zuletzt im Mai 2011 vor die Presse trat, ein mehr als zwei Stunden langes Interview.
KHG ist durchtrainiert wie immer. Waschbrettbauch, perfekt sitzender blauer Anzug. Lässige Frisur. Aber der ehemalige Sonnyboy der Nation wirkt gezeichnet. Er hat tiefe Ringe im Gesicht. Er hat im Gespräch immer wieder Tränen in den Augen. Er hat das Lachen verlernt, ist verbittert, kämpft mit aller Kraft um seine Existenz.
Grasser hat bisher mehrere hunderttausend Euro für Anwalts-, aber auch Kopierkosten benötigt. Sein Verfahren dauert schon 25 Monate, wirkt wirklich wie Kafkas Prozess. 77 Bände umfasst alleine der „Fall Buwog“ bereits – über 30.000 Seiten.
Trotzdem hat die Staatsanwaltschaft bisher noch keine Anklage gegen den Ex-Finanzminister erstellt. Selbst Grasser-Kritiker halten das für untragbar.
Grasser selbst hat mittlerweile offiziell die Einstellung seines Verfahrens beantragt. Nach monatelangem Hin und Her liegt der Akt nun bei einer jungen Richterin. Sie muss in den nächsten Wochen – vermutlich noch vor Weihnachten – entscheiden, ob die „Causa Grasser“ aus Mangel an Beweisen eingestellt wird. Oder ob die Justiz noch weitere Monate oder Jahre ermitteln darf, um die Spuren der Grasser-Konten zu verfolgen.
Grasser sagt im ÖSTERREICH-Interview, dass er ein weiteres jahrelanges Verfahren weder finanziell noch psychisch durchstehen kann. Er sagt: „Ich bin beruflich ruiniert.“
Und er betont mit Tränen in den Augen: „Ohne meine Familie, ohne meine unsagbar liebevolle Frau und ohne meinen Glauben würde ich das alles nicht mehr durchstehen.“
ÖSTERREICH: Herr Grasser, es ist 6 Monate her, dass Sie zuletzt in einer Pressekonferenz zu Ihrem Verfahren Stellung genommen haben. Sie haben jetzt Monate geschwiegen, wollen heute nach langer Zeit wieder in einem Medium über Ihr Verfahren sprechen. Warum?
Karl-Heinz GRASSER: Ich hoffe, dass man mir endlich die Chance auf Fairness und Gerechtigkeit gibt. Es ist jetzt über zwei Jahre – exakt 25 Monate – her, dass man gegen mich Ermittlungen führt. Ich werde also bereits seit zwei Jahren regelrecht verfolgt. In diesen zwei Jahren wurde von mehr als 20 Ermittlern jedes kleinste Detail meines Lebens durchleuchtet, geröntgt, geprüft. Es wurden Tausende Telefonate abgehört, Tausende Mails abgesaugt, zahllose Hausdurchsuchungen durchgeführt, alle – wirklich alle – Konten geöffnet, und wir sind nach den zwei Jahren genau dort, wo wir am Anfang waren: Es gibt keinen einzigen Hinweis, dass ich mir etwas Illegales zuschulden kommen ließ.
ÖSTERREICH: Sie fühlen sich tatsächlich verfolgt?
GRASSER: Ich fühle mich absolut ungerecht verfolgt. Ich ahne, dass es sich bei meinem Verfahren um ein politisches Komplott handelt mit der Zielsetzung, mich zu vernichten. Deshalb bin ich auf der einen Seite natürlich verbittert und enttäuscht über Polizei und Justiz, die bei diesem grausamen politischen Spiel mitspielen. Auf der anderen Seite weiß ich aber, dass ich ein reines Gewissen habe und dass ich nichts Unrechtes getan habe. Und deshalb fordere ich jetzt von der Staatsanwaltschaft Objektivität und Fairness. Wenn sich in 25 Monaten kein einziger Beweis für eine Anklage findet, dann ist ein Verfahren in jeder westlichen Demokratie und in jedem Rechtsstaat einzustellen.
ÖSTERREICH: Die Staatsanwaltschaft sagt, sie hätte genug Indizien für Kontobewegungen und Amtsmissbrauch …
GRASSER: Es gibt nichts, keinen einzigen Beweis. In den letzten zwei Jahren sind über 150 Zeugen in diesen Causen einvernommen worden. Und nur zwei Zeugen, der offensichtlich psychisch labile Herr Ramprecht und sein Freund, der Herr Berner, haben behauptet, dass ich indirekt an Manipulationen in der Buwog beteiligt war. Alle gut 140 Zeugen seither haben mich entlastet. Haben Sie darüber jemals in einer Zeitung gelesen? Nein. Sie lesen immer nur die dubiosen Vorwürfe dieser beiden Herren. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel erzählen, mit welchen Mitteln hier gearbeitet wird: Herr Ramprecht behauptet, ein gewisser Herr Ohneberg hätte ihm erzählt, ich hätte beim Verkauf des Dorotheums Geld kassiert. Daraufhin lädt die Justiz den Herrn Ohneberg vor, befragt ihn, der sagt: Niemals hat er das gesagt, eine freie Erfindung, ich hätte garantiert kein Geld erhalten. Und was passiert? Der Staatsanwalt klagt den Herrn Ohneberg wegen falscher Zeugenaussage an – nur weil er nicht das gesagt hat, was der Staatsanwalt hören wollte. In welchem Staat leben wir?
ÖSTERREICH: In welchem?
GRASSER: In Absurdistan? Wenn Sie zwei Jahre verfolgt werden und Sie wissen hundertprozentig, dass Sie unschuldig sind – dann treibt Sie das irgendwie in den Wahnsinn. Dann kommt der Tag, wo Sie verzweifeln, weil Sie nichts gegen diese Staats-Maschinerie tun können. Das ist definitiv eine politische Verfolgung, bei der man mir um jeden Preis etwas anhängen will, einfach um mich fertigzumachen und damit die Ära Schüssel politisch zu vernichten.
ÖSTERREICH: Und Sie können sich nicht wehren?
GRASSER: Ich habe am 7. Juli, also vor fünf Monaten, offiziell die Einstellung meines Verfahrens beantragt. Es hat unfassbare drei Monate gedauert, bis der Staatsanwalt endlich ein 45 Seiten langes Elaborat verfasst hat, warum das Verfahren nicht eingestellt werden soll. Eine der wichtigsten Begründungen war, dass die Justiz zu wenig Personal hat, um jene Tonbandaufzeichnungen zu protokollieren, die bei der Hausdurchsuchung bei dem Belastungszeugen gegen mich – beim Herrn Ramprecht – gefunden wurden. Das müssen Sie sich einmal vorstellen: Vor 15 Monaten wurde bei diesem Herrn Ramprecht eine Hausdurchsuchung gemacht, dabei wurden Tonbänder gefunden. Die Justiz hatte 15 Monate Zeit, diese Tonbänder zu protokollieren. Ein einziger Beamter könnte in 10 Monaten locker 1.200 Stunden protokollieren. Aber das ist nicht geschehen – und das dient als Ausrede, um das Verfahren gegen mich nicht einzustellen.
ÖSTERREICH: Ihnen dauert das Verfahren zu lange?
GRASSER: Selbst in Italien, im Land der Mafia, darf ein Ermittlungsverfahren nicht länger als 18 Monate dauern – dann muss es eingestellt werden. Gegen mich wird seit Oktober 2009 ermittelt. Ich habe schon in den ersten Monaten meinen Anwalt fünfmal zum Staatsanwalt geschickt mit der Bitte, mich endlich einzuvernehmen. Aber meine erste Einvernahme erfolgte erst ein Jahr später. Dazwischen hat man mich observiert, meine Telefonate abgehört, meine Mails abgesaugt – wie in Russland.
ÖSTERREICH: Sie haben laut Staatsanwalt ein sehr weit verzweigtes Netz von Konten und Stiftungen.
GRASSER: Ich habe von Beginn an alles offengelegt. Alle Konten, alle Geldflüsse, alle Stiftungen. Als Reaktion hat mir der Staatsanwalt ein Finanzstrafverfahren angehängt, obwohl die Finanz alles geprüft hatte. Es wurde eine regelrechte Hetzjagd gegen mich gestartet. Es vergeht keine Woche ohne neue, völlig einseitige Details über mein Verfahren in irgendeiner Zeitung. Im Frühjahr hat die damalige Justizministerin Bandion-Ortner gesagt: „Entweder die Justiz liefert bis Juli ein Ergebnis mit einer Anklage oder das Verfahren muss eingestellt werden!“ Dann war die Ministerin weg und ihre Nachfolgerin Karl hat diese Weisung aufgehoben. Ich habe ein Recht auf Ergebnisse, ebenso wie die interessierte Öffentlichkeit. Entweder es gibt etwas, oder eben nicht.
ÖSTERREICH: Sie behaupten, das ganze Verfahren gegen Sie beruht nur auf einer einzigen Zeugenaussage?
GRASSER: Nur auf der Zeugenaussage eines nachweislich psychisch labilen Ramprecht, der sich offensichtlich rächen will, weil ich seinen Job nicht verlängert habe. Ich bin mir ja mittlerweile fast sicher, dass die Polizei die bei ihm gefundenen Tonbänder deshalb nicht auswertet, weil sie beweisen würden, dass dieser Mensch dringend psychische Hilfe benötigen würde.
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ÖSTERREICH: Sie kritisieren, dass Ihr Verfahren nicht fair geführt wird?
GRASSER: Es läuft wie auf einer schiefen Ebene, alles gegen mich. Ich habe volle 2 Jahre gebraucht, um Akteneinsicht zu bekommen. Heute weiß ich, dass allein die Akten in der Causa Buwog 77 Bände umfassen, zwei davon durfte ich noch immer nicht einsehen. Ich stehe einer Armada von über 20 Ermittlern gegenüber, bei meinen Einvernahmen wurde ich von 2 Staatsanwälten und 10 Ermittlern stundenlang gegrillt. Das wünsche ich keinem Bürger.
ÖSTERREICH: Sie leben eigentlich nur noch für diese Causa?
GRASSER: Der Schaden, der mir zugefügt wird, sowohl finanziell als zeitlich, ist unfassbar. Im Gesetz steht, dass dieses Verfahren geheim sein muss, dass es auf keinen Fall öffentlich sein darf. Aber mittlerweile schaut die zweite Justizministerin zu, wie täglich in meinem Fall das Recht gebrochen wird. Es stehen jede Woche die geheimen Ermittlungsakten völlig einseitig in der Zeitung. Immer nur belastend gegen mich – kein einziges der unzähligen entlastenden Protokolle wurde bisher an eine Zeitung gegeben – nur die Dinge, die mich vernichten sollen. Ich finde es wirklich eine Sauerei, dass ein geheimes Verfahren plötzlich zu einem öffentlichen wird. Meine Causa ist ein Musterbeispiel für die klassische Vorverurteilung, für den klassischen Rufmord – wie schneidet man mir meine Ehre ab, wie zerstört man meine Reputation, wie vernichtet man mich?
ÖSTERREICH: Wie viel hat Sie das Verfahren bisher gekostet?
GRASSER: Müsste ich meinen Anwalt und meine Steuerberater nach Tarif zahlen, wären es wohl über zwei Millionen. Selbst pauschaliert habe ich bisher mehrere 100.000 Euro aufbringen müssen. Allein das Kopieren meiner Akten hat einige Tausend Euro gekostet – 1,10 Euro zahlt man bei Gericht pro Seite.
ÖSTERREICH: Was machen Sie derzeit beruflich?
GRASSER: Glauben Sie, dass mir irgendwer in diesem Land bei dieser Hexenjagd einen Job gibt? Jeder Kunde, für den ich einen Auftrag mache, wird sofort von der Finanz hinterfragt – glauben Sie, dass sich das einer antut? Es ist eine extrem schwierige Situation, ich muss sehen, dass ich im Ausland Aufträge bekomme, aber auch das ist schwierig, wenn du täglich in der Zeitung stehst.
ÖSTERREICH: Wie halten Sie das durch?
GRASSER: Ich mache viel Sport, das gibt mir Kraft. Ich habe eine fantastische Familie, die natürlich durch diese ganze Verfolgung massiv in Mitleidenschaft gezogen wurde, die aber in einer unglaublichen Weise verstärkt zu mir steht. Das ist ein enormer Liebesbeweis von meiner Frau, der mir sehr hilft.
ÖSTERREICH: Es geht Ihnen …
GRASSER: … wirklich schlecht. Wie geht es Ihnen, wenn Sie beruflich ruiniert sind, wenn Sie insgesamt sechs Verfahren gegen sich haben – und Sie wissen, alle sind politisch motiviert und alle werden endlos fortgeführt, obwohl Sie unschuldig sind.
ÖSTERREICH: Sie waren aber immer „Mr. Happiness“.
GRASSER: Das Lachen ist mir vergangen, aber ich kämpfe um meine Unschuld. Was hält mich aufrecht? Der Glaube – ich und Fiona sind sehr gläubige Menschen. Das Wissen um meine Unschuld. Die Liebe meiner Familie. Und der Optimismus, dass letztendlich Fairness und Gerechtigkeit siegen werden.
ÖSTERREICH: Sie glauben an Fairness?
GRASSER: Derzeit krieg ich alles, was an Unfairness möglich ist. Habe ich ein faires Verfahren? Definitiv nicht. Das ist längst ein politisches Komplott gegen mich.
ÖSTERREICH: Sie sind letzte Woche erstmals wieder öffentlich aufgetreten?
GRASSER: Das war eine Charity von Freunden. Ich trete nicht mehr öffentlich auf, weil jeder Auftritt bewusst missinterpretiert wird. Ich kann machen, was ich will, die Zeitungen prügeln mich. Auf der Straße, bei den einfachen Menschen, ist das ganz anders. Die Taxifahrer, die Omas beim Spazierengehen, die jungen Leute, die sagen mir fast täglich: Lassen Sie sich nicht unterkriegen, Sie waren der beste Finanzminister, eine Frechheit was mit Ihnen passiert, alles Gute! Auf der Straße krieg ich nur positive Reaktionen. Jeder einfache Mensch mit Hausverstand sagt sich ja: Wenn was dran wär an der Causa, dann hätten sie den ja nach 25 Monaten längst angeklagt.
ÖSTERREICH: Wie erklären Sie sich, dass Ihr Verfahren nicht endet?
GRASSER: Ich glaube, dass es eine Mischung aus politischer Rache und Neid ist, die mich verfolgt. Man will um jeden Preis die blau-schwarze Option zerstören, von der Ära Schüssel darf nichts Positives überbleiben. Man hat noch immer Angst davor, dass der Grasser – etwa jetzt in der Euro-Krise – wieder in die Politik zurückkehren könnte. Es werden politische Rechnungen aus der schwarz-blauen Zeit beglichen. Alle Anzeigen kommen ja von den Grünen. Und deshalb jetzt ja auch der U-Ausschuss.
ÖSTERREICH: Würde es Sie reizen, wieder in die Politik zurückzukehren?
GRASSER: Nein, jeder hat seine Zeit, ich hatte meine Chance – jetzt habe ich nur mehr ein Ziel: Mein Verfahren zu beenden, weiterhin das Glück mit meiner Frau und Familie zu genießen und dann beruflich neu anzufangen. Ich bedaure zutiefst den ganzen Ärger, den ich – unschuldig – meiner Frau, meinen Kindern und auch meiner Familie zumute. Meine Mutter leidet ganz massiv unter dieser Situation. Gott sei Dank stehen aber die ganze Familie und auch meine engen Freunde zu mir. Meine Frau kämpft in dieser schwierigsten Phase meines Lebens wie eine Löwin für mich. Ich weiß heute: Es gibt keine bessere Frau auf der Welt als die Fiona. Wenn in so einer Situation jemand sagt: „Wir stehen das gemeinsam durch“, dann ist das ein Lotto-Sechser.