Österreichs Infrastruktur
"Strategie aus einem Guss" fehlt
08.11.2011
Experten einig: Die Schweiz kann Österreich als Vorbild dienen.
Beim Infrastruktursymposium "Future Business Austria" wurde heute Dienstag in Wien sowohl Lob als auch Kritik an der Situation der Infrastruktur in Österreich laut. Einerseits gebe es in vielen Bereichen wie Verkehr, Energie, Kommunikation, Bildung und Forschung ein hohes Niveau, andererseits fehle es an einer langfristigen und einheitlichen Infrastrukturstrategie und der politischen Einigkeit, diese auch durchzusetzen, so der Initiator der Veranstaltung, David Ungar-Klein. Als Vorbild sieht er die Schweiz, wo unter dem langjährigen früheren Verkehrsminister (Bundesrat) Moritz Leuenberger eine Gesamtinfrastrukturstrategie bis 2030 entworfen wurde.
Gute Infrastruktur ist ein Standortvorteil für die Wirtschaft
Eine gut ausgebaute Infrastruktur sei ein wichtiger Standortvorteil für die Wirtschaft, denn sie bringe Wachstum: Österreich entgingen 28,4 Mrd. Euro an Wertschöpfung wegen unzureichend ausgebauter Infrastruktur, sagte Ungar-Klein bei der Veranstaltung im Haus der Industrie. Kumuliert liege der Wert seit 2005 bei 154 Milliarden Euro ungenutztem Produktivitätspotenzial. Angesichts der Budgetkonsolidierung fürchteten die Entscheidungsträger in der Wirtschaft eine "schuldenindizierte Infrastrukturbremse". Es fehle immer noch ein Masterplan für den Ausbau der Infrastruktur, eine "Strategie aus einem Guss", so Roland Falb von Roland Berger Strategy Consultants.
Ex-Verkehrsminister Leuenberger: "Schweizer lieben ihre Bahn"
Warum dies in der Schweiz offenbar leichter möglich ist, erläuterte Moritz Leuenberger, ehemals Bundesrat für Umwelt, Energie, Verkehr und Kommunikation. Mit diesen Kompetenzen habe er wichtige Infrastrukturagenden in einem Ministerium gebündelt. Auch seien die Grundsätze der Verkehrspolitik in der Schweiz unbestritten, führte er aus: "Die Schweizer lieben ihre Bahn." Vor diesem Hintergrund sei die Verkehrspolitik mit einer starken Bahnorientierung keinem politischen Wechselspiel ausgesetzt: Zwischen seiner Verkehrspolitik und jener der Konservativen und Christdemokraten gebe es keinen Unterschied, versicherte der Sozialdemokrat. Alle seien sich über die wirtschaftliche Bedeutung der Infrastruktur bewusst.
Einbindung der Bevölkerung immens wichtig
Nicht nur im Land der direkten Demokratie sei die Einbindung der Bevölkerung in Infrastrukturprojekte wichtig, argumentierte der Schweizer. Um den Widerstand von Bürgerinitiativen, die etwa bei Flughafenausbauten über Lärm klagen, zu überwinden, sollte auch die soziale, regionale und kulturelle Bedeutung der Infrastruktur hervorgehoben werden. Als Beispiel nannte er die großen Alpentunnel, den Lötschberg- und den Gotthard-Tunnel, die bisher benachteiligten Regionen nützen. Grundsätzlich rechne er mit weiter steigenden Mobilitätsbedürfnissen: "Die Mobilität hat sich immer viel rascher entwickelt als die Prognosen". Die Infrastruktur dürfe auch teilweise durch Verschuldung finanziert werden, ist der frühere Schweizer Bundespräsident überzeugt: "Indem wir die Infrastruktur für künftige Generationen bauen, werden wir ihnen einen Vorteil hinterlassen, und es ist legitim, dass diese später auch dafür bezahlen".
ÖBB-Vorstandschef Kern vermisst eine Zukunftsstrategie in Österreich
ÖBB-Vorstandschef Christian Kern zeigte sich vom Vortrag Leuenbergers beeindruckt. "Wir führen in Österreich eine politisch-ideologische Dauerdiskussion, aber keine Zukunftsdebatte", vermisst er eine langfristige Strategie über Parteigrenzen hinweg. Statt einer Zukunftsstrategie gebe es oft einen Zick-Zack-Kurs in der Bahnpolitik. "In Österreich erleben wir, dass man sich für Infrastrukturinvestitionen eigentlich entschuldigen muss".
Schweizer Bahn ist ein Vorbild für die ÖBB
Die Schweizer Bahn ist für den ÖBB-Boss ein Vorbild. Die Schweizer seien im Personenverkehr besser, die ÖBB hätten aber im Güterverkehr mehr auf die Schiene gebracht. Von einer Privatisierungsdebatte hält Kern wenig, denn "die Schweiz hat ihre Bahn nicht privatisiert". In Österreich wünscht er sich das Bekenntnis zu einer gut ausgebauten Bahn als öffentliche Verpflichtung. Während hierzulande jährlich der Bahnverkehr mit 560 Mio. Euro gestützt werde, fördere der Fiskus die private Nutzung von Dienstwägen mit 1,6 Mrd. Euro.