Wifo-Chef Aiginger: Reallöhne heuer um 0,8 Prozent zurückgegangen.
Bei Pensionserhöhungen und Lohnabschlüssen soll die relativ hohe Teuerung berücksichtigt werden, forderte der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts, Karl Aiginger, am Samstag im Ö1-Interview "Im Journal zu Gast". Speziell niedrige Einkommen sollen stärker erhöht werden, diese seien ja von der Inflationsrate besonders betroffen. Von der Politik mahnte der Wifo-Chef erneut die raschere Umsetzung von Reformen und eine Fortsetzung der Budgetkonsolidierung ein. Die Zeit dränge, es gebe bereits Anzeichen, dass sich das Wachstum in Europa Richtung null bewege.
Zur Gewerkschaftsforderung
nach einer Lohnerhöhung von "deutlich" über der Inflationsrate - im Juli lag diese bei 3,5 Prozent
- meinte Aiginger: "Tatsache ist, dass die Reallöhne heuer um 0,8 Prozent zurückgegangen sind." Wenn man "einen stabilen Anteil der Löhne an der Wirtschaftsleistung haben will, müssen die Löhne steigen im Ausmaß der Inflation plus der Produktivitätsentwicklung", so der Ökonom. In seinen Augen sollten die Löhne jedenfalls real steigen, damit die Kaufkraft erhalten bleibe, aber nicht stärker, als es die Wettbewerbsfähigkeit erlaube. Die Erhöhungen sollten nicht nur nach Einkommen, sondern auch nach Lage der Wirtschaftszweige differenziert werden. Bei Pensionen forderte er ebenfalls Umschichtungen, nicht jedoch "höhere Pensionserhöhungen als vorgesehen".
Aiginger meinte zwar, "das gebändigt geglaubte Gespenst der Inflation" sei zurück, relativierte aber: Vor dem EU-Beitritt habe die Teuerung im Schnitt vier Prozent betragen. Als Ursache für die nunmehrige Inflation macht er die infolge der Konjunkturerholung starke Nachfrage nach Rohstoffen und Energie aus. Dass in Österreich die Preise stärker steigen als im EU-Schnitt, führt der Wifo-Chef auf die Bereiche Dienstleistungen und Tourismus zurück. Die heimische Wirtschaft wachse insgesamt um ein Prozent stärker als der europäische Durchschnitt, daher könnten Preissteigerungen an die Verbraucher weitergegeben werden. 0,3 bis 0,4 Prozent der Inflation gingen auf Steuererhöhungen zurück.
Bei den stark gestiegenen Lebensmittelpreisen "gibt es keine österreichische Komponente", diese seien auf die hohen Rohstoffpreise zurückzuführen. Von einer vorübergehenden Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel hält Aiginger nichts, dabei würden dem Fiskus nur Einnahmen entgehen, jedoch nicht die Ursachen bekämpft.
Für das Gesamtjahr rechnet das Wifo mit einer Inflationsrate von "etwas über drei Prozent".
Größere Sorgen als die Teuerung bereitet dem Ökonomen jedoch die Konjunkturentwicklung sowie die Stabilität des Finanzsystems. Angesichts der Abschwächung des Wirtschaftswachstums müsse die Politik dringend handeln. "Es gibt noch viel zu wenig Reformen im Schulbereich, bei Kindergärten, im Bereich der Innovationen." Dies sie die eigentliche Bestimmungsgröße für das Wirtschaftswachstum und die Sicherheit der Arbeitsplätze. Die Zeit dränge, es gebe bereits Anzeichen, dass sich das Wachstum in Europa Richtung null bewegt. Die Wahrscheinlichkeit für eine Delle liege bei 70 Prozent; das Risiko, dass die Krise noch einmal zurückkehrt, bezifferte Aiginger mit zehn Prozent. "Bis dahin müssen die Reformen geschehen sein", mahnte er. Derzeit habe er "nicht das Gefühl, dass das Reformtempo das richtige ist". Puncto EU-Finanzpolitik meinte der Wifo-Chef, es müsse mehr Kompetenz nach Brüssel wandern.
Die heurige Konjunkturprognose für Österreich von drei Prozent Wachstum werde "sicher gehalten", jene für nächstes Jahr (zwei Prozent) sei aus heutiger Sicht "zu optimistisch", man werde wahrscheinlich "in den nächsten Wochen" revidieren.