Als Killervirus und todbringende Pandemie hat die "Schweinegrippe" in den vergangenen Monaten die Schlagzeilen der Medien dominiert. Das Fazit der bedrohlichen Szenarien in Österreich: drei Todesopfer und einige hundert Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden. Ein Bild, das laut Experten einer gewöhnlichen Grippewelle entspricht.
Die landläufigen Theorien für die Hysterie reichen von bloßem Sensationsjournalismus bis hin zu Panikmache durch die Pharmaindustrie. Medienexperten plädieren angesichts der heimischen Berichterstattung für mehr Sachlichkeit und gründlichere Recherche. Zufrieden zeigte sich hingegen der Wiener Sozialmediziner Michael Kunze.
"Ich glaube, dass die Grundprinzipien des Journalismus stärker angewandt werden sollten", betont Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell von der Uni Wien. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen Interviews mit beliebigen Experten, deren Motivation von Journalisten nicht ausreichend abgeklärt worden sei. "Das Problem ist, dass sehr viele dieser Auskunftspersonen sich letztlich in einem Interessenskonflikt befinden", erklärte Hausjell.
Die Ursache dafür seien etwa Verträge mit Pharmafirmen oder Funktionen als Interessensvertreter in diesen Bereichen. "Die professionelle Haltung hat mir gefehlt", kritisierte Hausjell. "Das gehört bei einer so groß angelegten Impfaktion und so großer Angstaufbau- und Angstabbau-Berichterstattung dazu, dass ich nicht Experten höre, die damit auch verdienen." Die stärkste Rolle hierbei spiele freilich die Pharmaindustrie, die eine starke Intention habe, neu entwickelte Medikamente in großer Zahl an den Mann zu bringen.
Kontrollfunktionen stärker wahrnehmen
"Ich muss klären, welche Rolle Herr A hat", meinte der Medienwissenschafter. "Wenn ich ihn zu Wort kommen lasse, dann muss ich klarstellen, der ist XY, und der ist mit der Firma Z verbandelt. Es soll transparent werden, sonst erzählt man den Menschen ja nur die halbe Wahrheit." Darüber hinaus müssten Situationen im Zusammenhang mit Milliarden teuren Entscheidungen der Politik sowie das Verhalten von Pharmafirmen genauer durchleuchtet werden: "Das wäre eine der Kontrollfunktionen, die der Journalismus stärker wahrnehmen könnte."
Grundsätzlich sollten Berichterstatter auch historischer vorgehen und zum Beispiel die Hysterie rund um die Vogelgrippe vor einigen Jahren miteinbeziehen, schlug Hausjell vor. Die Frage "Was an möglichen Bedrohungsszenarien ist tatsächlich eingetreten?" - umgemünzt auf die Schweinegrippe - hätte für eine andere Perspektive gesorgt.
Ähnlich wie Hausjell sieht es auch Andreas Koller, Vorsitzender der Initiative Qualität im Journalismus (IQ) und stellvertretender Chefredakteur der "Salzburger Nachrichten": "Man hätte grundsätzlich weniger Hysterie und mehr Sachlichkeit einfordern müssen - weniger von Killerviren schwafeln und die Leute besser aufklären. Die Grundsätze des seriösen Journalismus angewandt auf die Schweinegrippe hätte die Hysterie etwas hinten angehalten." Beim Hören auf die leiseren, vernünftigeren Tönen habe man schon zu Beginn die nun bestehende "Gefahr" durch die neue Grippe erahnen können, betonte der Redakteur. Grundsätzlich hätten die meisten Medien versucht, sachlich zu berichten.
"Der Höhepunkt der Hysterie war sicher erst wenige Tage vor Beginn der Gratis-Impfung", meinte Koller. "Dann ist es abgerissen, obwohl es jetzt nicht weniger Erkrankte gibt." Seine Kritik richtet sich im Gegensatz zu jener Hausjells vor allem gegen die Ärzteschaft: " Ich habe den Eindruck, dass die Mediziner oft in die Rolle von Journalisten schlüpfen und ihre Ergebnisse schon interpretieren und dann interpretieren sie die Journalisten noch einmal. Die Wissenschafter sollten einfach ihr Ergebnis vorlegen und sich dann auf den seriösen Journalismus verlassen."
In der Krise Qualitätsmedien wichtiger
Gezeigt habe die Schweinegrippe jedenfalls einen klaren Unterschied zwischen seriöser und Sensations-Berichterstattung, ist Fritz Hausjell überzeugt. "Es kam in den Qualitätsmedien zum Teil sicher rüber, dass die Schweinegrippe eine Grippe, aber dass das nicht eine besonders arge und bedrohliche Krankheit ist. Das ist im Boulevardjournalismus anders gehandhabt worden, aber da erwarten wir das auch nicht."
Ersichtlich gewesen sei in der Folge, dass die Bevölkerung bei krisenhaften Erscheinungen verstärkt auf weniger Hysterie-machende Zeitungen setze. "Das ist in dieser heftigen Wirtschaftskrise doch signalisiert worden, dass die Qualitätsmedien an Reichweite zulegen und die anderen verlieren", betonte der Medienwissenschafter. "Angesichts einer angstmachenden Berichterstattung über eine Grippe könnte doch bei einem großen Teil der Bevölkerung die Nachfrage nach Informationen über seriöse Medien angesprochen worden sein."
Nichts auszusetzen hat Sozialmediziner Michael Kunze an den heimischen
Zeitungen und Nachrichtensendungen: "Die österreichische
Berichterstattung war im Gegensatz zu der in vielen anderen Ländern gemäßigt
und sehr sachlich. Wir wurden von CNN Mexiko getrieben", meinte er zum
Entstehen der Panik.
Erklärbar ist diese Verkettung laut Hausjell unter
anderem durch Einsparungen bei Auslandsberichterstattern, die in der Regel
nicht mehr fix am Ort des Geschehens sitzen, sondern kurzfristig zu
Vorfällen geschickt werden: "Feuerwehr-spielende Korrespondenten
sind in der Regel nicht gut geeignet Dinge aufzuklären" - zum
Beispiel im Hinblick auf Hintergrundrecherchen über das Gesundheitssystem,
meinte er.
"Pandemie klingt grauenhaft, hat tausende Leben gekostet, Millionen
krank gemacht und ist nicht harmlos", sieht Kunze die Aufregung um das
Thema H1N1 als Mediziner generell aus einer etwas anderen Perspektive: "Jetzt
ist alles abgeflaut, es sind sehr viele Menschen krank und keinen
interessiert es mehr."
In Sachen "Neue Grippe" sei das
Gesundheitssystem sicher mit einer der jetzigen Situation nicht
entsprechenden Erwartungshaltung gestartet, habe nun aber eine "Übung"
absolviert und man wisse, dass im Notfall alles funktioniere. Ein
Pandemieplan sei jedenfalls notwendig, um für den Fall einer großen
Katastrophe eine "Ausrüstung" zu haben.
"Ich glaube, dass die Forscher und Virologen aufgeregter waren, als die
Bevölkerung", so Kunze weiter. "Die Österreicher waren sehr
gelassen. Auch das Vertrauen in die Behörden war groß, was normalerweise
nicht so ist." Vorbei ist es mit H1N1 seiner Meinung nach noch nicht: "Das
Thema bleibt spannend", betonte er: "Es kann eine zweite
Pandemiewelle kommen und das Virus kann sich verändern. Es kann sich auch
alles beruhigen und nächstes Jahr haben wir das selbe Szenario mit der
Eidechsen-Influenza."
Auch Hausjell glaubt an eine Wiederholung
mit "anderen Tiernamen": "Ich fürchte, dass dann auch wieder
ganz wenig der Rückblick gemacht wird und niemand daran denkt: Wie war das
damals eigentlich mit der Vogelgrippe?"