Intercell forscht an Impfung per Pflaster
20.08.2009Pflaster statt Spritze: Das Wiener Pharmaunternehmen Intercell will mit seinen Entwicklungen auf dem Impfstoffmarkt ganz vorn mitmischen. Für eine regelrechte Revolution soll ein Vakzine-Pflaster sorgen, mit dem der "Stich" zum Teil ersetzt werden soll.
"Wir sind mit unserer Pipeline bei Vakzinen weltweit führend, außer vielleicht GlaxoSmithKline hat niemand so viele Impfstoffe in einem späten Stadium der klinischen Entwicklung." Dies erklärte Intercell-Vorstand Gerd Zettlmeissl (CEO) in einem Hintergrundgespräch mit der APA.
Was mit der Etablierung eines Systems zur schnellen Identifizierung von für Impfstoffe verwertbaren Antigenen von Krankheitskeimen, mit Arbeiten an einer therapeutischen Hepatitis C-Vakzine und mit der Entwicklung eines eigenen Adjuvans zur Impfstoffverstärkung vor Jahren begann, ist zu einem reifen F&E-Unternehmen und Impfstoffproduzenten geworden. Novartis vertreibt das erste Produkt, den einzigen in Europa und den USA derzeit verfügbaren Japan-Enzephalitis-Impfstoff. Gearbeitet wird unter anderem an Impfstoffen gegen die Reisediarrhoe, Influenza-Pandemie (H5N1), Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa und Pneumokokken.
Doch eine echte Revolution soll das Impfstoff-Pflaster für verschiedene Anwendungen werden. Zettlmeissl: "Wir haben vergangenes Jahr das US-Unternehmen Iomai gekauft, das sich jahrelang mit dieser Entwicklung beschäftigte."
Antigene diffundieren in die Haut
Das Prinzip des Pflasters: Dem Impfling wird völlig schmerzlos mit einer Art "Schleifpapier" ein Zehntel der Lederhaut abrasiert. Dann kommt ein Pflaster mit einem Depot an gefriergetrockneten Antigenen auf diese Stelle. Der Intercell-CEO: "Aus dem Hautareal tritt Flüssigkeit in das Pflaster über und löst die gefriergetrockneten Antigene. Sie diffundieren dann in die Haut."
Der Clou: Mit Injektionsnadeln bei den herkömmlichen Impfungen kann man nicht direkt in die Haut spritzen - stattdessen in den Muskel oder ins Fettgewebe. Zettlmeissl: "In der Haut aber sitzen besonders viele Immunzellen, die Langerhans-Zellen, welche das Antigen dem Immunsystem präsentieren." Somit wäre die Applikation in die Haut für eine Impfung einfach besser.
Kampf gegen Reisediarrhoe
Das wohl spektakulärste Projekt auf diesem Gebiet ist für Intercell jenes, das gegen "Montezumas Rache", die Reisediarrhoe, gedacht ist. Der Intercell-Chef: "Die Immunisierung erfolgt mit dem Pflaster in der Form von zwei Teilimpfungen im Abstand von zwei bis drei Wochen. Wir haben in einer in der Medizin-Fachzeitschrift 'Lancet' publizierten Phase-II-Studie eine Schutzrate von 75 Prozent gegen E.coli-Infektionen mit moderatem bis starken Durchfall erreicht."
Im Oktober werde man eine große Wirksamkeitsstudie (Phase-III) mit insgesamt rund 1.800 Probanden aus Europa starten, die nach der Impfung nach Mexiko und Guatemala fahren werden. Die Hälfte der Teilnehmer bekomm ein Placebo-Pflaster. Später sollen weitere Studien in Asien und eventuell auch mit Kindern erfolgen. Die Studie allein wird rund 20 Mio. Euro kosten. Zettlmeissl: "Wir wollen in drei bis vier Jahren auf den Markt kommen und erwarten eine einen Jahresumsatz von 500 bis 700 Mio. Euro." Weltweit sterben pro Jahr laut "Lancet" mindestens 350.000 Kinder infolge von bakteriellen Darmerkrankungen. In dem Impfpflaster ist das hitze-labile Toxin der E.coli-Bakterien (ETEC) als Antigen enthalten.
Pflaster auch als Adjuvans
Auf die Pflaster will sich Intercell auch mit einem zukünftigen Influenza-Impfstoff - zunächst gegen eine Pandemie - verlassen. Das Projekt wird zur Gänze von den US-Gesundheitsinstituten finanziert und hat ein Vertragsvolumen von derzeit 128 Mio. Dollar (90,8 Mio. Euro).
Hier soll die Impfung aber etwas anders als bei der Reisediarrhoe erfolgen. CEO Gerd Zettlmeissl: "Derzeit benötigt man für eine Influenza-Immunisierung zwei Injektionen im Abstand von drei bis vier Wochen. Nach der ersten Teilimpfung ist man nur zu 20 bis 30 Prozent geschützt, nach der zweiten zu 70 bis 75 Prozent. Wir wollen einen Impfschutz schon nach einer ersten Teilimpfung erreichen."
Das Prinzip: Die in Entwicklung befindliche Vakzine soll per Injektion verabreicht werden. Unmittelbar nach dem Stich aber bekommt der Impfling das Pflaster mit dem E.coli-Antigen appliziert. Das soll einen externen Verstärker abgeben und praktisch sofort zum Schutz führen.
Fokus auf Influenza-Viren
Zettlmeissl: "Hier haben wir im Mai dieses Jahres mit einer großen Studie der Phase II (Dosisfindung etc, Anm.) mit rund 500 Probanden begonnen." Derzeit handelt es sich bei dem verwendeten Antigen um H5N1 (Vogelgrippe), das könnte aber später gegen H1N1 oder saisonal vorkommende "normale" Influenza-Viren ausgetauscht werden.
In rund drei Jahren soll ein erster Zulassungsantrag gestellt werden. Derzeit bereits im Laufen ist eine Phase-II/III-Studie von Merck & Co. (USA) mit einem per Injektion zu verabreichenden Impfstoff gegen vor allem für Chirurgie-, Intensiv- und immunsupprimierten Patienten lebensgefährlichen Staphylococcus aureus-Keimen im Spitälern. Die Bakterien sind oft auch resistent gegen Antibiotika.
8.000 Patienten für die Studie
Der Intercell-Chef: "In die Studie sollen rund 8.000 Patienten aufgenommen werden, die vor einer geplanten Herz-Thorax-Operation stehen. Die Hälfte bekommt sieben Tage vorher ein Placebo, die andere Hälfte eine Injektion. Das Antigen stammt aus unserem Antigen-Findungsprogramm. Interessant ist dabei, dass offenbar eine Injektion ausreicht, weil der Mensch offenbar an seiner Haut ständig diese Keime trägt und das Immunsystem schon vorbereitet ist. Unsere Impfung ist dann der Booster (Verstärker, Anm.)."
Daten aus einer Zwischenanalyse könnten kommendes Jahr vorliegen, die Entwicklung wird aber insgesamt noch einige Zeit dauern. Und schließlich, ebenfalls in einer Phase-II-Studie soll von Intercell selbst auch eine injizierbare Vakzine gegen Pseudomonas aeruginosa-Keime an 400 Probanden (100 bekommen ein Placebo) erprobt werden. Während die Staphylokokken vor allem zu Sepsis etc. führen können, sind die Pseudomonas-Keime - ebenfalls oft resistent - die häufige Ursache von Lungenentzündungen. Gerade ältere Patienten und Personen mit Mehrfach-Erkrankungen sind hier gefährdet.
Erfolgreich fühlt sich Zettlmeissl mit dem Unternehmen auch was den Kapitaleinsatz und die erzielten Ergebnisse betrifft: "Große Konzerne geben für die Impfstoffforschung pro Jahr oft zwischen 300 und 400 Mio. Euro für die Forschung aus. Wir hatten 2008 ein Forschungsbudget von 55 Mio. Euro."