Sondergipfel
Krallen sich Griechen heute 74-EU-Milliarden?
11.07.2015
Großes Finale beim Thriller um ein neues Hilspaket für Athen.
Die unendliche Griechen-Saga könnte ein Ende finden. Könnte … Die Entscheidung über ein Milliarden-Hilfspaket fällt heute beim EU-Sondergipfel in Brüssel. Bereits gestern berieten die europäischen Finanzminister. Für Griechenland geht es um alles: Rettung oder Staatspleite in wenigen Tagen.
Grexit. Österreichs Bundeskanzler Werner Fayman meinte am Samstag: „Wir müssen den Grexit vermeiden“ (siehe Interview). Für Dramatik sorgten am frühen Abend die Deutschen: Finanzminister Wolfgang Schäuble, schärfster Kritiker neuerlicher Hilfsgelder für die Griechen, propagierte sogar einen „Grexit auf Zeit“.
Nachbesserungen?
Um 19.35 Uhr zitierte Reuters dann „Kreise“: Die Reformvorschläge aus Athen würden den versammelten Finanzministern offenbar nicht als Grundlage für ein neues Hilfspaket reichen. Eine offizielle Bestätigung aus Brüssel gab es dafür aber nicht. Möglicherweise wünschen sich die Minister Nachbesserungen des griechischen Spar-Angebotes.
Hürde
Jedenfalls sind heute ab 16 Uhr die Staats- und Regierungschefs der EU – darunter Faymann als Vermittler – am Zug. Die große Frage wird wieder sein: Reicht der Sparplan von Griechen-Premier Alexis Tsipras für eine Überweisung von 74 Mrd. Euro?
Banken
In Griechenland selbst zeichnet sich noch keine Normalisierung ab. Die Einschränkungen, denen die Geldinstitute ausgesetzt sind, würden noch einige Zeit aufrecht bleiben, sagte Wirtschaftsminister Georgios Stathakis. Sprich: Die Banken bleiben auch in der kommenden Woche zu.
Faymann: „Chancen waren noch nie so gut wie jetzt“
Völlig unklar war gestern, wie der heutige Entscheidungstag für die Griechen ablaufen wird – alles hing von der Entscheidung und Vorbereitung der Finanzminister ab. Mehr als 50 (!) Telefonate hat Kanzler Faymann gestern von 7.30 bis knapp vor Mitternacht geführt – mehrmals mit Angela Merkel, François Hollande, aber auch mit Alexis Tsipras. Faymann kommt – sozusagen als Links-Verbinder von Angela Merkel – eine entscheidende Vermittlerrolle zu.
Der Kanzler wird im Privat-Jet nach Brüssel fliegen. Abflug ist um 12.30 Uhr – mit an Bord ist auch ÖSTERREICH. Gleich nach der Landung hat Faymann Gespräche mit François Hollande und Italiens Premier Renzi, vermutlich auch noch einen Topsecret-Termin mit Alexis Tsipras. Ab 16 Uhr soll der Kanzler dann am EU-Gipfel eine Vermittlerrolle zwischen den skeptischen EU-Staaten und Tsipras übernehmen. Man darf gespannt sein, wie das frühestens gegen Mitternacht zu erwartende Ergebnis aussehen wird …
Kanzler im Interview mit Wolfgang Fellner
ÖSTERREICH: Erleben wir heute am EU-Gipfel eine Einigung im endlosen Griechen-Theater?
Werner Faymann: Wir sind sicher einer Einigung näher als früher, ich würde sogar sagen: Die Chancen für eine Einigung auf ein Griechen-Hilfsprogramm waren noch nie so gut wie jetzt. Aber wir sind vom endgültigen Ja für das Hilfsprogramm dennoch weit entfernt, weil einige Länder das Vertrauen in Griechenland verloren haben.
ÖSTERREICH: Wird es heute ein Happy End für die Griechen geben?
Faymann: Dass wir alle EU-Staaten heute zu einem positiven Finale bewegen – das wird eine Riesen-Herausforderung. Denn der Riss in dieser Frage geht quer durch Europa. Oder nehmen Sie die Unterschiede in Deutschland: Der deutsche Finanzminister will die Griechen ernsthaft aus dem Euro drängen, die deutsche Kanzlerin dagegen ist sehr bemüht, eine konstruktive Lösung zu finden. Und so ist das in vielen Ländern.
ÖSTERREICH: Wie gut ist das jetzt übermittelte Sparprogramm von Premier Tsipras wirklich?
Faymann: Er ist so weit gegangen wie noch nie – er hat einen großen Schritt gemacht, den man positiv bewerten muss, weil er eine Basis für eine Einigung ermöglicht hat. Die Wahrheit ist natürlich: Tsipras steht mit dem Rücken zur Wand. Deshalb hat Tsipras in seinem Programm auch Dinge in Kauf genommen, die ihn unter Druck bringen. Aber es sind auch sehr viele gute Sachen drin – endlich Kampf dem Steuerbetrug und endlich Luxussteuern.
ÖSTERREICH: Die Frage ist ja wohl: Reicht das aus?
Faymann: Tsipras muss sicher viele Dinge konkretisieren und nachbessern. Schon alleine deshalb, weil der Finanzbedarf größer sein wird als die zuletzt genannten 53 Milliarden Euro. Denn die wirtschaftliche Situation hat sich durch das Zusperren der Banken noch verschlechtert.
ÖSTERREICH: Werden Sie im Namen Österreichs für das neue Hilfsprogramm stimmen – oder halten auch Sie einen Grexit mittlerweile für besser?
Faymann: Wir müssen den Grexit vermeiden – das würde Europa zurückwerfen. Also müssen wir heute eine konstruktive Lösung suchen. Ich glaube, dass die deutsche Kanzlerin am Gipfel die Zeichen auf eine konstruktive Lösung stellen wird. Und genau dafür bin ich auch: dass wir rasch eine Übergangslösung finden. Und dass wir dann die Vorschläge von Tsipras so konkretisieren, dass eine langfristige Lösung möglich ist. Das heißt nicht Schuldenschnitt, aber eine Senkung der Zinsbelastung durch längere Laufzeiten und die entsprechenden Mittel, damit in Griechenland endlich wieder investiert werden kann. Wir dürfen Europa nicht mit Kürzungsprogrammen kaputtsparen – wir müssen sparen und investieren. Wir spielen hier kein Computerspiel – hier geht es um das Schicksal von Menschen.
ÖSTERREICH: Wie gefährdet ist Österreich tatsächlich vom Griechen-Theater?
Faymann: Die Wahrheit ist: Wir profitieren davon. Unsere Staatsanleihen sind in dieser Woche an einem äußerst niedrigen Stand angekommen: Für eine zehnjährige Anleihe zahlt der österreichische Staat derzeit 1,14 Prozent Zinsen. Das erspart uns im Budget 2016 rund 2,2 Milliarden Euro. Wir profitieren als stabiles Land. Aber wir brauchen auch ein stabiles Europa, weil wir nur in andere Länder exportieren können, wenn die Menschen dort auch Geld haben und etwas kaufen können. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir jetzt Brücken bauen, unsere Exporte sichern, die Zukunft Europas sichern. Wir dürfen doch nicht den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Deshalb engagiere ich mich ja so für eine Lösung.
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