"Lehman hätte man sich sparen können"

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"Die Lehmann-Pleite hätte man sich allerdings sparen können, dann hätte man das Ausmaß dieses Einbruches verkleinert", sagt Peter Brezinschek, Chef-Analyst der RZB anlässlich des ersten Jahrestages der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers. "Das war sehr gut getimet von den Amerikanern, dass man gesagt hat, hier sozialisiert man - globalisiert man - Verluste", sagt Brezinschek in einem Interview.

"Etwas, was vorher undenkbar war, ist dann Realität geworden. Als im März 2008 Bear Stearns gerettet wurde, hat man gedacht, es gibt keinen Großen, der fallen gelassen wird. Mit dem Fallenlassen von Lehman ist dann das Gegenteil passiert: Wenn es den erwischt, dann kann es eine Deutsche Bank oder Citigroup oder sonst noch wen erwischen. Das ist dann ein Flächenbrand", beschreibt Brezinschek die damals vorherrschenden Ängste auf den internationalen Finanzmärkten.

"Schockwirkung wurde vollkommen unterschätzt"

Die Schockwirkung sei auch vollkommen unterschätzt worden, die Finanzmärkte seien auf einmal ausgetrocknet gewesen. "Damals sind wir vor einem totalen Produktions- und Wirtschaftsstopp gestanden. Keiner wollte irgendwelche Aufträge vergeben oder auch nur irgendetwas tun, weil er gespannt darauf gewartet hat, ob er überhaupt etwas in den kommenden Wochen, Tagen oder Stunden finanzieren kann".

Die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen hätten daraus auch ihre Lehren gezogen: "Deswegen hat man im Oktober ja sofort gesagt: systemrelevante Institute dürfen nicht fallen gelassen werden. Das war dann sofort das staatliche Credo", so Brezinschek.

Wenn die Regierungen und Notenbanken es Ende September bis Mitte Oktober nicht so schnell geschafft hätten, die Vertrauensbasis wieder herzustellen, dann hätte das sicher ernsthafte Folgen gehabt. "Dann wäre es zu einem totalen Kollaps des Finanzsystems gekommen", so Brezinschek. Insofern, als dies vermieden werden konnte, habe die globale Staatengemeinschaft und die Kooperation der Notenbanken vorzüglich funktioniert.

Lehman selbst sei nur ein Auslöser und nicht Verursacher der Krise gewesen, ein Katalysator für die schon seit Juli 2007 einsetzende Kreditkrise. Diese sei durch die Subprime-Krise initiiert worden und sei dann im Herbst 2007 in die Kreditkrise hinein gelaufen, die sich dann weltweit über die Abschreibungen der strukturierten Finanzprodukte (ABS) verbreitet habe.

Ursache nicht nur beim Markt, auch in der Politik

Die Hauptursachen für die Krise sieht Brezinschek nicht bei den Finanzmärkten, sondern bei der Politik: "Ein Bill Clinton (Anm.: US-Präsident von 1993 bis 2001) und ein Alan Greenspan (Anm.: 18 Jahre lang bis Jänner 2005 Chef der US-Notenbank Fed) haben auch einen sehr wesentlichen Anteil an der Krise, weil sie haben das politische Credo gehabt: Jeden Amerikaner sein Haus - in Klammer: egal, ob er sich das leisten kann oder nicht. Das ist natürlich nicht ausgesprochen worden, aber das war dahinter. Dann zu sagen, der Markt war schuld, ist ehrlich gesagt eine sehr verkürzte Darstellung".

"Es wird immer nur gesagt, dass ist ein Versagen, weil sich hundsgierige Leute nicht mehr zurückhalten konnten, das geht mir auch auf die Nerven. Deshalb ist es jetzt gescheiter, wenn die Regulierungsbehörden die gesetzlichen Grundlagen überarbeiten".

Der Markt sei missbraucht worden, meint Brezinschek, Risiken seien auf andere (Finanzinstitute, Pensionskassen, etc.) verteilt worden, die nichts davon gewusst hätten. "Es haben eine UBS, eine Deutsche Bank und viele andere Institute die Häuserfinanzierung von Leuten in den USA, die kein Einkommen oder minder bemittelt waren, mit den ABS-Strukturen mitfinanziert".

Wenn es in den USA eine "gescheite" Bankenaufsicht gegeben hätte, die die Vergabe von solchen Kredite untersagt hätte, wäre die ganze Immobilienblase nicht in dem Ausmaß hoch gekommen. "Einen Subprime-Markt hat es vor Clinton gar nicht gegeben", betont Brezinschek. "Das ist ja eine Entwicklung, die erst in den 90er-Jahren eingesetzt hat".

Es hat sich viel verändert

"Es hat sich sehr viel verändert, das Standing der Ratingagenturen, die Einstellung zu den Finanzinstituten. Liquidität ist als bepreistes Gut in die Köpfe der Finanzleute und Unternehmer gekommen", führt RZB-Chefanalyst Peter Brezinschek im Gespräch mit der APA aus. Die Spannungen im Eurosystem seien enorm gewesen, nur "totale Sicherheit" sei gefragt gewesen.

Man habe auch gesehen, dass man der Rolle des Eigenkapitals eine größere Bedeutung beimessen müsse, sonst komme die Risiko-Ertrags-Korrelation außer Kontrolle. In Zukunft werde man einer gesunden Relation zwischen Eigen- und Fremdkapital noch mehr Augenmerk schenken. Das werde zulasten einer Renditemaximierung gehen, aber eine Portion Sicherheit bringen.

Seit dem Frühjahr 2009 beginne sich die Wirtschaft nun wieder zu normalisieren, das Vertrauen der Marktteilnehmer sei spätestens rund ein halbes Jahr nach der Lehman-Pleite wieder zurückgekommen. "Im März war eigentlich die Trendwende. Jetzt können wir sagen, wir schwenken eigentlich wieder auf einen Wachstumstrend ein. Die Aktienmärkte, die Kreditmärkte, die Unternehmensanleihenmärkte, die Emerging Markets, die Rohstoffmärkte - überall zieht sich eine Spur der Normalisierung durch. Vor einem halben Jahr hätt' ich mir nicht gedacht, dass sich das doch so zügig wieder in die Bahnen lenkt", so Brezinschek.

Jetzt seien die Finanzmärkte auf dem Weg der Erholung. "Die totale Risikoaversion und Fokussierung kurzfristiger und sicherer Anlagen in hochgerateten Staatspapieren ist gewichen", so Brezinschek. Die Aktienmärkte hätten ihr Tief am 9. März gesehen, jetzt seien der ATX oder DAX wieder meilenweit davon entfernt. "Es hat sich sehr viel in Richtung Normalisierung eingespielt, wir sind bei den Aktienmarktniveaus wieder dort, wo wir nach dem Ausbruch der Lehman-Krise waren, wir sind wieder in Richtung eines Ausbügelns dieser Situation".

"Wir erwarten jetzt im zweiten Halbjahr, im dritten und vierten Quartal ein Quartalswachstum in der Eurozone und in Österreich. Auf Jahresbasis wird es noch ein Minus sein, aber wir werden uns schön langsam daraus hervorarbeiten", so Brezinschek. Große Unbekannte sei 2010 aber der private Konsum.

"Was ist Anfang 2010, wenn die ganzen Programme auslaufen, der private Konsum wieder schwächer wird, die Arbeitslosigkeit steigt, weil die Einkommen nicht so steigen wie heuer, die Inflation auch wieder höher wird?", stellt Brezinschek in den Raum. Im kommenden Jahr werde es im höchsten Fall Ersatzinvestitionen geben, Erweiterungsinvestitionen noch nicht. Wenn sich eine Erholung anbahne, dann über Exportentwicklungen und den staatlichen Konsum. Erst 2011 dürfte sich auch der private Konsum wieder zu einem Wachstumsbeitragsgeber entwickeln.

Besser weniger und gut kontrollierte Regeln als großes, lasches Regelwerk

Hinsichtlich der laufenden Diskussionen um eine Neuregulierung der Finanzmärkte gibt sich Brezinschek zurückhaltend: "Ich möchte davor warnen, neuen Instituten eine besondere Bedeutung beizumessen. Am Ende zahlt der Kunde, und wenn das ineffizient ist, ist mir schade um das Geld", so Brezinschek. "Mir sind ein paar Regeln lieber, die eingehalten und die auch geahndet werden, als man ist lasch und hat ein großes Regelwerk". Wichtig sei, dass der Staat im Hintergrund eine Art Leitplankenfunktion innehabe, aber nicht glaube, er wäre der bessere Wirtschafter.

Viele Sachen, die passiert sind, seien ja nicht aus einem Marktsystem entsprungen, sondern weil die Aufsichtsbehörden nicht gehandelt haben. "Denken Sie nur an Amerika und an Madoff. Es lag nicht an einem Mangel an Informationen, sondern an einem Mangel des Wollens der Finanzaufsichtsbehörden, sich zu engagieren", so der Chefanalyst. Die Banken würden täglich, wöchentlich, monatlich "Tonnen von Papier" an Meldungen schicken. Andererseits: Ein Teil war in den unregulierten Bereich ausgelagert, es gab keinen Konsolidierungszwang. Sachen wurden in Zweckgesellschaften ausgelagert und waren nicht mehr in den Bilanzen der Muttergesellschaft.

Fairerweise müsse man auch sagen, dass diese Finanzmarktentwicklungen zu vielen Verbilligungen von Finanzierungen geführt haben. In vielen Bereichen hätte es sonst nicht diese wirtschaftlichen Entwicklungen gegeben, viele Unternehmen hätte ihre Risiken sonst nicht absichern können. "Dass manche darüber hinaus gegangen sind, ist ein Problem", gesteht der RZB-Analyst ein.

Positiv hervorzuheben sei auch, dass das globalisierte Marktsystem mit konzertierten Aktionen sehr rasch reaktionsfähig war, und dass es funktioniert habe. Andererseits müsse man Anpassungsschocks auch zulassen. Man dürfe nicht vergessen, dass es in den fünf Jahren zuvor extreme Hochkonjunktur gegeben habe. "Es kann nicht immer steil bergauf gehen". Dass der Abschwung mit der Finanzkrise zusammengefallen sei, habe sie noch verschärft.

Eine wichtige Lehre aus den letzten Monaten sei, dass man nicht in totale Panik und Pessimismus verfalle. Bereits im August 2008 seien die Chef-Analysten aller wichtigen Banken von den Notenbanken eingeladen worden, Vorschläge zu machen, die dann auch umgesetzt wurden. "Alle waren lernwillig". Das Bewusstsein sei entstanden, dass, wenn alle an einem Strang ziehen, sich das System sehr rasch wieder selbst aus der Krise herausziehen kann bei solchen Schockbewegungen.

"Diese extremen Entwicklungen, diese totale Vertrauens- und Risikoverweigerung, dass es so was gibt, war für mich ein einmaliges Erlebnis", so Brezinschek zu seinen persönlichen Erfahrungen. Seit dem Ausbruch der Krise hätte er sein Research-Team verdoppeln können. "Wir haben seither im Prinzip Hochkonjunktur, es ist spannend und wird auch nicht langweilig".

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