Nach wochenlangem Gezerre der Koalitionspartner hat das ORF-Gesetz am Dienstag mit dem Ministerrat eine wichtige Hürde genommen. SPÖ und ÖVP schafften in der Früh eine Einigung, die dem ORF auf vier Jahre verteilt 160 Mio. Euro an Gebührenrefundierung, im Gegenzug aber auch eine strengere wirtschaftliche und strategische Kontrolle durch die neue Medienbehörde bringen soll
Der ORF-Stiftungsrat wird damit in wesentlichen finanziellen Fragen entmachtet, der ORF formal noch abhängiger von der Regierung als er dies bisher schon war.
Kanzler Faymann und Vizekanzler Pröll - dessen Partei für das Aufschnüren des Pakets verantwortlich war - zeigten sich über die Einigung zufrieden, Nebenabsprachen zu Personalia bestritten sie. BZÖ und Grüne vermuteten dennoch Postenschacher. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz begrüßte den Beschluss, ORF-Journalisten sprachen von einer "Bankrotterklärung". Zentralbetriebsratsobmann Gerhard Moser hält sich Schritte gegen das Gesetz offen.
Nach dem Ministerratsbeschluss hofft die Regierung, bis Jahresmitte einen Beschluss im Nationalrat erzielen zu können. Für die Umsetzung braucht sie allerdings die Zustimmung der Opposition, denn um die Medienbehörde weisungsfrei zu machen, braucht es eine Zweidrittelmehrheit.
Die Regierung zwingt den ORF mit dem neuen Gesetz zum Sparen. Gemäß der Einigung hat der ORF künftig "Strukturmaßnahmen zur mittelfristigen substanziellen Reduktion der Kostenbasis zu setzen". Die Medienbehörde darf Restrukturierungs- und Sparvorhaben des ORF künftig vorab prüfen.
In einer Anmerkung zum Gesetzestext wurde festgeschrieben, dass bei einer nur teilweisen Erreichung der Restrukturierungs- und Sparziele auch nur ein Teil der Gelder aus der Gebührenrefundierung an den ORF fließen könnte. Die Vorabprüfung der ORF-Vorhaben soll durch eine Prüfkommission der Behörde erfolgen, in der auch Wirtschaftstreuhänder sitzen werden. Damit werden die Kontrollrechte der Medienbehörde auf Kosten des ORF-Stiftungsrats gestärkt.
Keinen Eingang in den Gesetzestext findet das Thema Kooperationen beziehungsweise Regionalwerbung in den "Bundesland heute"-Fenstern des ORF. Ob dieses Vorhaben, das vor allem die Verleger erzürnt hat, endgültig vom Tisch ist, wird sich im Parlament zeigen, wo noch heftiges Feilschen um die Materie erwartet wird.
Faymann verwies nach dem Ministerrat darauf, dass die nun sichergestellten Finanzmittel die Unabhängigkeit des ORF für vier Jahre garantierten. Damit könnten auch Aufgaben für die Filmförderung oder die Fortführung des Radiosymphonie-Orchester weiter erfüllt werden. Pröll begrüßte die Verankerung des Prinzips, dass es für Geld der öffentlichen Hand im Gegenzug auch Kontrolle der Erfüllung von Vorgaben und auch entsprechende Konsequenzen gebe. "Ja, es ist ein qualitativer Schritt in die richtige Richtung", sagte der Vizekanzler.
Beide stellten in Abrede, dass es zusammen mit dem neuen ORF-Gesetz auch personelle Absprachen gebe. Diese Frage sei ausgeblendet worden, Gremien und ihre Besetzung seien noch nicht ausdiskutiert. Zu Begehrlichkeiten der ÖVP nach dem Vorsitz im Stiftungsrat sagte Medienstaatssekretär Josef Ostermayer (S): "Nein, das ist nicht zugesagt, und das werde ich auch nicht zusagen."
Wrabetz: "Wichtiger Schritt"
ORF-Chef Wrabetz begrüßte den Beschluss. Er sei ein wichtiger weiterer Schritt, die ORF-Programme langfristig zu erhalten. Mit dem Gesetzesentwurf würden die Vorgaben der Europäischen Union umgesetzt und der Rechtsrahmen für den ORF sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene rechtssicher gestaltet. Insbesondere würden der bestehende Leistungsumfang des Unternehmens festgehalten und für die Spartenkanäle Sport Plus und einen Informations- und Kultur-Kanal eine klare Rechtsgrundlage geschaffen.
Mit den zusätzlichen Gebührenmitteln will der ORF das Film- und Fernsehabkommen mit erhöhten Beträgen fortsetzen. Zusätzliche österreichische Filme, Serien, Kinderprogramme und Dokumentationen sollen für die ORF-Programme produziert und der barrierefreie Zugang - etwa durch Untertitelung - erhöht werden. Laut Wrabetz sei nun auch der Fortbestand des Radio-Symphonieorchesters (RSO) gesichert.
Kritik kam am Dienstag von der Opposition. FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky sprach von einem "rot-schwarzen Vergewaltigungsakt". Die Regierung kralle sich noch mehr an der parteipolitischen Beeinflussung fest und wähle sich in der Medienbehörde ihre Kontrollorgane selbst. BZÖ-Mediensprecher Stefan Petzner sah in der Regierungsvorlage ein "Manifest rot-schwarzer Proporzpolitik und Postenschachers". Auch bei den Grünen geht man von einem Postengerangel im Hintergrund aus. Zumindest BZÖ und Grüne zeigten sich in Sachen Medienbehörde verhandlungsbereit.
Keinen Freudentag ortete auch die ORF-Belegschaft. Zentralbetriebsratsobmann Gerhard Moser geht davon aus, "dass sich helle Köpfe im Parlament finden werden, die diesem Gesetz in dieser Form nicht zustimmen werden". Sollte es aber zu einem Parlamentsbeschluss in der nun vorliegenden Form kommen, will er sich "alle denkbaren und möglichen Schritte - nicht nur juristischer Art - offenhalten". Moser übte darüber hinaus Kritik an der "radikalen Entmachtung" des ORF-Stiftungsrats.
ORF-Redakteurssprecher Fritz Wendl sprach von einer "Bankrotterklärung sogenannter Medienpolitik". Kritische Stimmen sahen den ORF nun am Weg zum französischen Staatsrundfunk-Modell, bei dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus dem laufenden Budget finanziert wird und die Regierung im Gegenzug ungehemmten Einfluss auf Personalbesetzungen üben kann.