Jährlich besuchen 3 Mio. Touristen Mont-Saint-Michel. Doch das Inselchen, auf dem gerade einmal die Kirche und ein winziges Dorf Platz haben, ist nur noch etwa 50 Tage im Jahr ganz vom Meer umspült. Während anderswo Gefahr besteht, dass in Folge des Klimawandels Inseln im Wasser verschwinden könnten, sorgt man sich in Frankreich, dass Mont-Saint-Michel bald dauerhaft im Schlamm stehen könnte. Ein 200-Millionen-Euro-Projekt soll helfen, die versandete Bucht freizuspülen.
"Mont-Saint-Michel sähe sicher auch hübsch aus, wenn er von Wiesen und Weiden umgeben wäre", meint Projektleiter Francois-Xavier Beaulaincourt. "Aber dann ließe er sich nicht mehr in seiner Bedeutung erfassen."
Der Pilgerfelsen vor der Küste erschließe sich am besten, indem man ihn zu Fuß übers Watt erreiche. Heute kommen die meisten Besucher jedoch im Auto über den Deich und parken auf einem aufgeschütteten Parkplatz direkt am Fuß des Felsens. "Bisher hat der Ort sich den Besuchern angepasst, künftig sollen sich die Besucher dem Ort anpassen", meint Beaulaincourt.
Der Deich aus dem 19. Jahrhundert, der den Felsen mit dem Festland verbindet, hat die Strömung rund um die Insel unterbrochen. Zudem wurden große Gebiete trockengelegt, um sie für die Landwirtschaft zu nutzen. Die Polder sind besonders fruchtbar, die Bauern ernten dort etwa viermal so viel. Sie dienen außerdem als nahrhafte Weiden: Das Salzwiesenlamm, das dort gezüchtet wird, gilt als Spezialität der Region. Als sie angelegt wurden, ahnte niemand, welche Auswirkung dies auf die Bucht haben würde.
1 Mio. Kubikmeter Schlamm
"In den vergangenen Jahren haben sich insgesamt 1 Mio. Kubikmeter Schlamm angesammelt", sagt der Ingenieur. Um die Bucht zu befreien, gibt es zwei große Projekte: Zum einen soll der Deich durch einen Steg ersetzt werden, unter dem das Wasser ungehindert durchfließen kann. Die Parkplätze werden aufs Festland verlegt, Besucher können künftig einen Pendelbus benutzen oder etwa eine Dreiviertelstunde lang zu Fuß über den Steg gehen.
Zum anderen spielt das Flüsschen Couesnon eine wichtige Rolle, vor dessen Mündung der Mont-Saint-Michel liegt. "Die Flut läuft zweimal täglich bei Flut in den Fluss hinein und bei Ebbe wieder hinaus", erklärt Beaulaincourt. In der Bucht gibt es den größten Tidenhub Europas, das heißt bis zu 15 m Unterschied zwischen Ebbe und Flut.
"Wir wollen die Kraft des Wassers nutzen, um den Sand wieder ins Meer zu spülen", sagt er. Dazu gibt es nun einen Staudamm im Couesnon, der das Wasser bei Flut zurückhält und erst sechs Stunden später wieder abfließen lässt. Seit Mai funktioniert der Gezeitendamm im Testbetrieb, demnächst soll er für Besucher geöffnet werden.
Innerhalb der kommenden zehn Jahre soll der Wasserspiegel in der Bucht um 70 cm ansteigen - und Mont-Saint-Michel wieder eine echte Insel werden. "Das wird ganz allmählich vor sich gehen", sagt Beaulaincourt. Wie viel Sand tatsächlich weggespült wird, messen Experten mit Laserstrahlen vom Kirchturm auf der Insel oder vom Flugzeug aus.
"Ein ästhetisches und intellektuelles Projekt"
Lohnt sich der ganze Aufwand? Beaulaincourt lächelt. "Es ist ein ästhetisches und ein intellektuelles Projekt", sagt er. "Mitten in der Krise hätten wir das Geld dafür vermutlich nicht bewilligt bekommen." Aber die 200 Mio. Euro seien eine sinnvolle Investition. "Das ist nicht teurer als ein Fußballstadion oder 40 km Autobahn", sagt er. Es sei wichtig, dass das Projekt nicht gegen die Natur vorgehe. "Im Gegenteil, wir stellen wieder her, was sich durch den menschlichen Eingriff verändert hat."
Mont-Saint-Michel war das erste Denkmal Frankreichs, das 1979 auf die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen wurde. Später bekam es zusätzlich den Titel des Weltnaturerbes.
Schon früh zog der Hügel im Meer christliche Einsiedler an, die sich von der Welt zurückziehen wollten. Der Legende nach erschien Erzengel Michael einem Bischof im Schlaf und beauftragte ihn, dort eine Kirche zu bauen. Im 10. Jahrhundert ließen sich Benediktinermönche auf Mont-Saint-Michel nieder und bauten eine mächtige Kirche im romanischen Stil.
Da die Baufläche sehr klein war, mussten die Klostergebäude samt Kreuzgang dreigeschossig aufeinandergestapelt werden. Bis zu 60 Mönche lebten in dem Kloster. Mit der Französischen Revolution endete vorerst das geistliche Leben auf Mont-Saint-Michel. Aus dem Felsen wurde zwischenzeitlich eine Gefängnisinsel.