Tiefe Rezession
Wirtschaftsforscher rechnen fix mit 'zweiter Welle'
16.09.2020
Nur weiterer Lockdown würde Österreich in noch tiefere Rezession stürzen als bereits erwartet.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor einer Zunahme der Corona-Todesfälle in Europa im Oktober und November. Derzeit sind diese noch relativ stabil. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) bleibt vorerst bei ihrer Konjunktureinschätzung: Die heimische Wirtschaft dürfte 2020 um 6,8 Prozent schrumpfen. Darin eingepreist ist eine zweite Infektionswelle, nicht jedoch ein weiterer Lockdown.
Noch tiefere Rezession
Dieser würde Österreich in eine noch tiefere Rezession stürzen als von den Wirtschaftsforschern bis dato prognostiziert. Dafür genügte auch ein Stillstand der Wirtschaft in einem der wichtigsten Lieferländer oder Exportmärkte wie etwa Deutschland oder Italien. "Da hätte auch unsere Exportwirtschaft schwere Probleme, auch wenn es bei uns keinen Lockdown gäbe", sagte Wifo-Konjunkturexperte Josef Baumgartner im Gespräch mit der APA.
Im Juni hatte das Wifo für das heurige Gesamtjahr noch mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 7 Prozent gerechnet, im August dann mit einer ganz leichten Abmilderung auf minus 6,8 Prozent - "tendenziell eine Andeutung, dass sich die aktuelle Entwicklung in den Sommermonaten etwas günstiger dargestellt hat, als wir das Ende Mai, Anfang Juni eingeschätzt hatten", so Baumgartner. "Im Prinzip ist dieses Bild nach wie vor gültig."
Die große Unbekannte sei natürlich, wie sich die epidemiologische Situation weiter entwickle. "In einigen Ländern ist es doch zu einer deutlichen Ausweitung gekommen, zum Beispiel in Spanien", vermerkte der Konjunkturforscher. Wenn sich das zu einem internationalen Trend entwickle, habe das auch auf die wirtschaftliche Entwicklung Auswirkungen. "In unserem 'Basesline-Szenario' gehen wir davon aus, dass es zu einer Zunahme der Infektionszahlen kommt", erklärte Baumgartner. Für den Herbst seien angesichts des Schulbeginns und der Rückkehr der Urlauber steigende Fallzahlen bereits erwartet worden. Anfang Oktober werden die Wirtschaftsforscher des Wifo und des Instituts für Höhere Studien (IHS) ihre aktualisierten Konjunkturprognosen präsentieren.
Kommt ein zweiter Lockdown?
Je mehr getestet werde, umso mehr positive Ergebnisse würden auch gefunden. Doch selbst bereinigt um die verstärkten Corona-Testungen zeige sich jetzt schon ein Anstieg der Infektionszahlen. "So gesehen hätten wir eine zweite Welle." Anfang März bis etwa Mitte April hatte es eine starke Zunahme gegeben, dann gingen die Zahlen kontinuierlich zurück. Doch im Laufe des Sommers "mit der Rückkehr aus den Urlaubsgebieten, mehr Nachlässigkeit und mehr privaten Partys" hätten sich die Infektionen wieder erhöht. "Was nicht zugenommen hat, ist die Zahl der Hospitalisierungen und der Sterbefälle", betonte der Wifo-Experte. Erstere seien sogar "deutlich weniger stark angestiegen als das noch im März der Fall war". "Man hat gelernt, mit der Epidemie ein bisschen umzugehen."
"Was wir in unseren Basis-Szenario nicht erwarten, ist, dass es zu einem weiteren Lockdown kommt; dass es zu gewissen wirtschaftlichen Behinderungen kommt, das schon", erläuterte Baumgartner. So werde sich die seit Anfang dieser Woche geltende Ausweitung der Maskenpflicht vom Lebensmittelhandel auf sämtliche Geschäfte "auf den Konsum auswirken". "Die Einkaufsfreude wird dadurch nicht angeregt." Und durch steigende Fallzahlen wird sich seiner Einschätzung nach auch "die Lust in die Gastro zu gehen" verringern.
"Insgesamt nimmt die Unsicherheit wieder zu und das dämpft die Ausgabenbereitschaft im Bereich Handel und bei nicht lebensnotwendigen Gütern", hielt der Konjunkturforscher fest.
Konsumverhalten
Gegenüber anderen Krisen habe sich das Konsumverhalten der Österreicher in der Coronakrise komplett verändert. In der Vergangenheit sei der Konsum eine stabile Größe gewesen - die Haushalte versuchten, ihre Ersparnisse zu reduzieren und ihre Konsumausgaben weniger einzuschränken. Anders in diesem Jahr: "Sehr auffällig ist, dass die Konsumbereitschaft insgesamt abgenommen hat", stellte Baumgartner fest. In der heuer im Frühjahr behördlich verfügten Lockdown-Phase wurde der Konsum noch verhindert, doch auch nach der weitgehenden Aufhebung der Einschränkungen sei er "nicht in diesem Maße wieder angesprungen". Insgesamt sei der Konsum sogar "deutlich stärker zurückgegangen als die verfügbaren Haushaltseinkommen" angesichts Kurzarbeit bzw. Arbeitslosigkeit, meinte der Ökonom mit Blick auf die Nettoersatzrate von 70 bis 90 Prozent bei Kurzarbeit und von 55 Prozent bei Arbeitslosigkeit.
In einer typischen Krisensituation würden Ersparnisse aufgelöst. "Die Sparquote ist diesmal aber deutlich angestiegen - die Haushalte sind einfach vorsichtig, manche Ausgaben tätigen sie nach wie vor nicht." So sei etwa der Modehandel "sehr stark eingebrochen". Die Umsatzverluste im Lockdown wurden hier bisher "wegen der Ausgabenzurückhaltung weit nicht aufgefangen". Es herrsche insgesamt große Unsicherheit. "Was nicht unbedingt notwendig ist, wurde aufgeschoben oder überhaupt nicht getätigt, sagte Baumgartner und verwies dabei unter anderem auf die Anschaffung von Möbeln und Autos.
Gespart wurde auch im Urlaub. Die Österreicher seien zwar heuer im Sommer deutlich mehr im eigenen Land geblieben, hätten dabei aber insgesamt weniger ausgegeben. Gleichzeitig blieben die ausländischen Gäste weitgehend aus, vor allem im Städtetourismus - in Wien und Salzburg fehlten die Touristen aus Übersee "eigentlich zur Gänze".
Gastronomie und Hotellerie bleiben den Wirtschaftsforschern zufolge heuer voraussichtlich um etwa 35 Prozent unter den Vorjahreswerten. In den Sonderbereichen Nachtgastronomie, die nach wie vor tot ist, und Stadthotellerie, die unter einer extrem niedrigen Auslastung leidet - in Wien liegt sie um die 20 Prozent - sieht es freilich noch bei weitem düsterer aus.
"Das wird wahrscheinlich in den nächsten Wochen und Monaten gewisse Auswirkungen auf die Arbeitslosenzahlen zeigen", erwartet Baumgartner. "Einige Betriebe haben bereits angekündigt, dass sie für den Herbst keine Erholung erwarten und daher viele Mitarbeiter nach dem Auslaufen der jetzigen Kurzarbeitsphase kündigen und den Betrieb zumindest für eine kurze Zeit stilllegen werden." Diesen Dienstag haben beispielsweise die Sacher-Hotels bekanntgegeben, sich von 140 Arbeitnehmern zu trennen und den Rest der Belegschaft auf Kurzarbeit zu schicken.