Die Schuldenkrise in Europa löst Schockwellen an den internationalen Finanzmärkten aus. Zunehmend gerät dabei auch Japan wieder in den Fokus. Denn mit schon bald 200 % des BIP hat die fernöstliche Wirtschaftsmacht den mit Abstand höchsten Schuldenberg unter den großen Industrienationen angehäuft. Der Internationale Währungsfonds IWF rechnet sogar mit einem Anschwellen der Schulden bis 2014 auf 246 %. Schon wird der Teufel eines japanischen Staatsbankrotts an die Wand gemalt.
"Japan wird das nächste Griechenland sein", prophezeit der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Thomas Straubhaar, im Gespräch mit der "Welt". Ein Blick auf die schieren Zahlen mag diese Horrorvision tatsächlich nahelegen. Schließlich hat die zweitgrößte Wirtschaftsnation der Welt in den vergangenen Jahrzehnten eine Staatsschuld von umgerechnet fast fünf Bill. Euro angehäuft. Und doch ist Japan nicht Griechenland.
Anders als Griechenland ist Japan nicht im Ausland, sondern fast ausschließlich bei seinen eigenen Bürgern verschuldet. Ausländische Investoren halten anteilsmäßig nur etwa sechs Prozent der japanischen Staatsanleihen. Umgekehrt ist Japan dank seines starken Exportmotors und seiner Leistungsbilanzüberschüsse eine der weltweit größten Gläubigernationen. Bei den Währungsreserven wird Japan nur von China übertroffen. Die Verschuldung ist also mehr ein inländisches Problem.
"Damit sind die öffentlichen Schulden Japans im Grunde mit einer Steuer gleichzusetzen", sagt Martin Schulz, Ökonom am Fujitsu Research Institute in Tokio. Anders als in Griechenland könnte Japan zur Begleichung der Schulden nämlich jederzeit die Steuern erhöhen oder sich durch eine Inflation entschulden. Japan ist jedoch bisher keinen dieser Wege gegangen. Ein Grund: Der Schuldendienst der Regierung ist im internationalen Vergleich weiterhin sehr niedrig.
Japan muss für seine Schulden nämlich gerade einmal schlappe 1,3 % Zinsen bezahlen. "Der enorme Schuldenberg verursacht daher zur Zeit nur Kosten in Höhe von nicht einmal einem Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts", so Schulz. Kritiker halten dem entgegen, dass Japan nicht ewig die Zinsen bei null Prozent belassen könne. Was, wenn Japans Bürger angesichts der Schuldenkrise in Europa das Interesse am Halten von staatlichen Wertpapieren verlieren?
In einem solchen Fall müssten die Japaner in kürzester Zeit mit Steuererhöhungen rechnen. Zudem würden sie riskieren, dass die Zentralbank des Landes massiv eingreift, um mit Hilfe des Druckens von Geld die niedrigen Zinsen beizubehalten. Wesentlich wahrscheinlicher dürfte es indes aus Sicht von Ökonomen sein, dass es in Japan zu einem graduellen Übergang zu einer expansiveren Geldpolitik und Steuererhöhungen über die nächsten fünf Jahre kommt.
Angesichts der Wirtschaftskrise vermeidet die neue Regierung von Ministerpräsident Yukio Hatoyama bisher, einen harten Kurs zu fahren. An der Mehrwertsteuer, die mit 5 % auf international extrem niedrigen Niveau liegt, ändert sich vorerst nichts. Stattdessen hat die neue Regierung erstmal damit weitergemacht, wo die Vorgängerregierung aufgehört hat: beim Schulden machen. Den hohen Schuldenberg schleppt Japan nicht erst seit gestern mit sich herum.
Derweil ist die Regierung dabei, die Postsparkasse wieder zu verstaatlichen. Denn traditionell investiert die Postsparkasse die Ersparnisse der Bürger direkt in Regierungsanleihen. Nach der Privatisierung der vergangenen Jahre stand dies zunehmend infrage. Mit der Renationalisierung stünde dieses gigantische Sparschwein der Regierung fortan wieder zur Verfügung. Trotzdem kann Japan nach Ansicht von Ökonomen auf Dauer nicht so weitermachen wie bisher. Die Geduld der Anleger und Steuerzahler neige sich langsam dem Ende zu.
"Aufgrund der Panik an den internationalen Wertpapiermärkten schließt sich natürlich auch für Japan das Zeitfenster einer nachhaltigen Entschuldungspolitik", warnt Schulz. Er sieht für Japan im Wesentlichen vier Wege aus der Schuldenfalle: die Ausgaben senken, Steuern erhöhen, eine gemäßigte Inflation und eine Steigerung der Produktivität.
Statt wie bisher Strukturprobleme zu verschleppen müsse Japan mehr in die Zukunft investieren, zum Beispiel durch Förderung junger Firmen. Aufgrund des bereits hohen Schuldenbergs werde sich Japan jedoch nur durch die gleichzeitige Anwendung dieser Mittel effektiv entschulden können. Dass aber Japan in eine Lage wie die Griechenlands geraten könnte, sei derzeit wenig wahrscheinlich.