Besorgnis
USA versinken im Schuldensumpf
21.03.2011
Die USA stehen mit einer gigantischen Dollar-Summe in der Kreide.
Unablässig rasen die Ziffern, schon nach ein paar Sekunden verschwimmen sie zu einem hektischen Gewimmel aus rot, grün, grau. Rot dominiert, und besonders fett und bedrohlich prangt die Zahl links oben auf der "Nationalen Schuldenuhr": Mitte März notierte sie bei über 14.232.000.000.000 - mit dieser gigantischen Dollar-Summe stehen die USA derzeit in der Kreide. Besorgniserregend auch das weit klaffende Etatloch. Im laufenden Haushaltsjahr könnte es sich auf die Rekordsumme von 1,65 Billionen Dollar (1.168 Mrd. Euro) ausdehnen - knapp elf Prozent der US-Wirtschaftsleistung.
Schuldenobergrenze
Theoretisch ist schon in Kürze Schluss mit lustig: Die Schuldenobergrenze liegt derzeit bei 14,3 Billionen Dollar und das Finanzministerium erwartet, dass die Schallmauer irgendwann nach dem 15. April durchbrochen wird - sollte der Kongress die Deckelung nicht anheben. Die Republikaner drohen mit Verweigerung. Ressortchef Timothy Geithner warnte bei selbst kurzfristiger Zahlungsunfähigkeit vor "katastrophalen ökonomischen Konsequenzen, die über Jahrzehnte zu spüren wären".
Ernste Situation
"Wir denken, sie ist ernst", fasst nüchtern der Chef der Nordamerika-Abteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF), Charles Kramer, die Schuldensituation zusammen. Die soweit erwartete Verringerung des Etatdefizits reiche zufolge auch nicht aus, das Meer aus roter Tinte wirksam einzudämmen.
"The Big Four"
Die grundlegenden, langfristigen Treiber der Misere sind als "The Big Four", die "Großen Vier", wohlbekannt: staatliche Gesundheitsprogramme, die Sozialversicherung, Verteidigungsausgaben und Steuereinnahmen, die mit Ausgaben nicht schritthalten.
In den 90er Jahren hatte Präsident Bill Clinton die Finanzen noch im Griff, dank boomender Konjunktur erfreuten sich die USA gar an Überschüssen. "Während der Amtsjahre von George W. Bush nahm hingegen jede Art von Ausgaben zu", weiß William Galston vom Brookings-Politikinstitut in Washington.
Milliardenhilfen
Die Milliardenhilfen im Gefolge der Finanzkrise waren da nur noch der Tropfen in ein übervolles Fass. Aus dem Finanzministerium hieß es jetzt aber sogar, das umstrittene Staatsprogramm zur Bankenrettung (TARP) werde die Steuerzahler unterm Strich "wenig oder nichts" kosten, weil Mittel inzwischen robust zurückfließen.
Ausland in Sorge
Das Ausland blickt mit Sorge auf die klammen USA. "Obamaland ist abgebrannt", heißt es da, verbunden mit dem Szenario einer dem Untergang geweihten Weltmacht. Dabei steht Amerika im internationalen Vergleich gar nicht so katastrophal da - zumindest noch nicht. Für 2011 erwartete die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) in den USA Gesamtschulden von knapp 99 Prozent der Wirtschaftsleistung, in Frankreich unterdessen etwa rund 97 und im Euro-Raum immerhin noch knapp 95 Prozent. Der OECD-Schnitt liegt indes bei knapp über 100 Prozent. Selbst Etat-Musterknabe Deutschland kommt noch auf gut 81 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Die gigantischen Anleihemärkte zeigen sich ob der Finanzlage zwischen Maui und Manhattan zunächst jedenfalls recht unbeeindruckt, wie an niedrigen Zinsen abzulesen ist. Das könnte sich allerdings bald ändern, orakelt schon der IWF, der eine erlahmende Nachfrage nach amerikanischen Schuldtiteln befürchtet - und in der Folge wiederum anziehende Zinsen.
Schreckgespenst
Beim gern bemühten Schreckgespenst einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit Amerikas raten Experten indes zur Ruhe. Sollte Amerika wegen des Konflikts um die Schulden-Schallmauer einmal seine Zinsen nicht zahlen, liefen die USA zwar Gefahr, ihr Spitzen-Rating zu verlieren, meint Steven Hess von der US-Agentur Moody's. Sehr wahrscheinlich sei das aber nicht, sagte er dem "Wall Street Journal".
Amerikas eigentliches Problem liegt in der Zukunft, und die ist gar nicht so weit entfernt. Das überparteiliche Etat-Büro des US-Kongresses (CBO) rechnet mit einer annähernden Verdopplung der öffentlichen Verschuldung binnen zehn Jahren, während die Wirtschaftsleistung demnach nur um knapp 60 Prozent zulegt.
In düsterem Gleichklang sollen sich laut Projektion etwa die Ausgaben für die Sozialversicherung ebenfalls fast verdoppeln, von 727 Milliarden Dollar 2011 auf knapp 1,3 Billionen 2021. Der Posten gehört wie die Gesundheitsprogramme und das Verteidigungsbudget zu den Pflichtausgaben, und die machen rund 85 Prozent des Gesamtetats aus. Mit ihren Kürzungsvorschläge wagen sich Politiker zumeist an die restlichen 15 Prozent - alles andere ist politisch hochbrisant.
"Jüngste Umfragen zeigen das, was sie immer zeigen: Die Öffentlichkeit will kleinere Defizite, weniger Steuern, weniger Ausgaben", weiß Alan Blinder, Wirtschaftsprofessor an der renommierten Princeton-Universität. "Richtig gelesen zeigen die Zahlen aber eine Öffentlichkeit, die zutiefst unglücklich über große Etatlöcher ist, aber genauso unglücklich über alles, dass diesem Defizit ernsthaft entgegenwirken würde."
Politische Schlacht
Der Schuldensumpf ist längst zum politischen Schlachtfeld geworden, auf dem die erstarkten Republikaner massiv punkten wollen. Die Angst der Amerikaner vor einem mittellosen Uncle Sam trieb der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung scharenweise Anhänger zu.
An kaum einer anderen Front dürfte Obama schwerer um seine Wiederwahl 2012 kämpfen müssen. Im Kongress drohten die Republikaner schont mit dem Abdrehen des Geldhahns, sollten sie nicht die verlangten Einschnitte bekommen. In der Provinz ist der Konflikt schon voll entbrannt. Radikale Sparpläne mehrerer Bundesstaaten trieben wochenlang tausende Demonstranten auf die Straßen.
Renommierte Ökonomen wie Blinder oder auch der IWF warnen aber vor einem Hau-Ruck-Sparkurs, solange die amerikanische Konjunktur noch, wie derzeit, auf wackeligen Beinen steht. "Unsere Wirtschaft braucht weiterhin verzweifelt Nachfrage." Schlau wäre es, meint der Professor, wenn der Kongress zwar jetzt schon Einschnitte beschließt, sie aber erst zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft setzt.
Die "New York Times" wirft Republikanern "Scheinheiligkeit" vor und rät den Konservativen, ihre demonstrative Sparfreude im Zaum zu halten. "Es ist ziemlich unaufrichtig, erst für Maßnahmen zu stimmen, die die Schulden nach oben treiben und sich dann gegen eine höhere Schuldengrenze zu stemmen, wenn die Rechnung präsentiert wird."