Milliarden-Krimi

Rätsel- und Verwirrspiel: Alle Fakten zum Wirecard-Prozess

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Am Mittwoch bereits 138. Verhandlungstag - Seit vier Jahren sitzt der frühere Wirecard-Vorstandschef und gebürtige Österreicher Markus Braun in Untersuchungshaft

Seit vier Jahren sitzt der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun in Untersuchungshaft, seit über eineinhalb Jahren versucht das Landgericht München I, Licht in das Dunkel des größten deutschen Betrugsfalls seit 1945 zu bringen.

Ein Urteil ist nach weit über 100 Prozesstagen nicht in Sicht. Doch wie weit ist die vierte Strafkammer des Landgerichts München I bisher bei der Aufklärung gekommen? Eine Übersicht über das Mammutverfahren.

Ex-Chefbuchhalter bricht Schweigen, aber kein Geständnis

Am heutigen Mittwoch, dem 138. Verhandlungstag äußerte sich der bisher schweigsame frühere Chefbuchhalter des Konzerns erstmals zu den Anklagevorwürfen. Die Kammer hatte dem Bilanzfachmann E. für den Fall eines umfassenden Geständnisses im größten deutschen Betrugsfall seit 1945 einen Deal mit sechs bis acht Jahren Haft in Aussicht. Doch der erste Teil seiner Ausführungen - sie sollten auch am Donnerstag weitergehen - kann schwerlich als Geständnis gelten.

Die Anklage

Der frühere Chefbuchhalter E. sitzt seit Dezember 2022 gemeinsam mit dem früheren Wirecard-Vorstandschef und gebürtigen Österreicher Markus Braun und dem früher in Dubai für Wirecard tätigen Manager Oliver Bellenhaus auf der Anklagebank.

Wirecard-Prozess - erste Aussage des Kronzeugen erwartet

Der frühere Wirecard-Manager und Kronzeuge Oliver Bellenhaus kommt zur Fortsetzung des Prozesses in den Gerichtssaal. Laut Anklage sollen Bellenhaus, der ehemalige Vorstandschef Braun und weitere Angeklagte seit 2015 die Wirecard-Bilanzen gefälscht und kreditgebende Banken um 3,1 Milliarden Euro geschädigt haben. 100 Verhandlungstage sind bis ins Jahr 2024 hinein anberaumt.

© dpa/Lukas Barth
× Wirecard-Prozess - erste Aussage des Kronzeugen erwartet

1,9 Mrd. Euro "verschwunden"

Im Juni 2020 musste Wirecard Insolvenz anmelden, weil dem Zahlungsdienstleister 1,9 Mrd. Euro fehlten: Das Geld war in der Konzernbilanz verbucht, angeblich auf Treuhandkonten in den Philippinen deponiert - doch nirgendwo auffindbar.

Im Frühjahr 2022 erhob die Staatsanwaltschaft München I schließlich eine 474 Seiten umfassende Anklage mit mehreren Straftatbeständen:

  • unrichtige Darstellung wegen falscher Unternehmensbilanzen,
  • Untreue wegen Kreditvergabe ohne Sicherheiten,
  • Marktmanipulation wegen falscher Information des Finanzmarkts
  • und - der gravierendste Vorwurf - gewerbsmäßiger Bandenbetrug.

Die Chefetage eines deutschen Konzerns soll demnach als kriminelle Bande agiert haben, um gemeinsam die kreditgebenden Banken zu prellen.

Drei Milliarden Euro Schaden

Die Staatsanwaltschaft beziffert den Schaden auf gut drei Milliarden Euro. Der Großteil der erfundenen Geschäfte soll demnach im Mittleren Osten und Südostasien über die drei Partnerfirmen Al Alam, Senjo und Payeasy verbucht worden sein, die angeblich im Wirecard-Auftrag Kreditkartenzahlungen abwickelten.

Die Angeklagten

Hauptangeklagter ist der frühere Konzernchef, der Österreicher Markus Braun.

Markus Braun Wirecard
© Getty
× Markus Braun Wirecard

Er soll laut Anklage die Höhe der vom Konzern veröffentlichten falschen Zahlen vorgegeben haben. Braun streitet eisern sämtliche Vorwürfe ab.

Als Kronzeuge der Anklage tritt Oliver Bellenhaus auf, der nach eigenen Worten "Regenmacher" im Konzern war.

Rätsel- und Verwirrspiel: Alle Fakten zum Wirecard-Prozess
© APA/dpa/Peter Kneffel
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Bellenhaus räumt die Anklage im Gegensatz zu seinem einstigen obersten Vorgesetzten weitestgehend ein. Beide beschuldigen sich daher gegenseitig der Lüge. Auch deswegen kommt der Aussage des früheren Chefbuchhalters E. große Bedeutung zu.

Der ehemalige Wirecard-Vertriebsvorstand und Österreicher, Jan Marsalek, ist weiter auf der Flucht.

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© khodorkovsky.com/dossier-center, Fotomontage
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Der Stand des Verfahrens: Gegenseitige Vorwürfe

Der Prozess trägt Züge eines Rätsel- und Verwirrspiels, da die Aussagen Brauns und Bellenhaus' einander in jeder Hinsicht widersprechen. Auch E. brachte kein entscheidendes Licht ins Dunkel. Er attackierte zwar Bellenhaus und warf diesem Hass, Neid und Lüge vor.

Zur zentralen Fragen brachte seine Aussage aber keine entscheidenden Erkenntnisse. An vielen Stellen könne er nur vom Hörensagen berichten, hatte er bereits zu Beginn eingeschränkt.

Es ging kriminell zu bei Wirecard

Gesichert ist zwar nach den bisherigen 138 Prozesstagen, dass es bei Wirecard kriminell zuging - auch Ex-Vorstandschef Braun behauptete nie, dass bei Wirecard nicht betrogen wurde. Aber nicht geklärt ist, wer welche Rolle spielte.

Scheinfirmen, Strohleute  

Zeugen bestätigten, dass es ein Geflecht von Scheinfirmen gab, und dass Strohleute diese leiteten. Ein aus Singapur eingeflogener Zeuge sagte aus, dass die Partnerfirma Senjo gar keine Server und Computer für die Abwicklung von Kreditkartenzahlungen gehabt habe.

Eine thailändische Verkäuferin, die angeblich Managerin eines Wirecard-Geschäftspartners gewesen war und Verträge unterschrieben hatte, sagte aus, von beidem nichts gewusst zu haben. Von Zeugen bestätigt sind auch die Vorwürfe der Kreditvergabe ohne Sicherheiten ebenso wie die falsche Information des Kapitalmarkts.

Zeugen aus Asien bleiben fern

Doch es fehlen zweifelsfreie Beweise, dass Braun und Chefbuchhalter E. Mitglieder einer Betrügerbande gewesen wären. Erschwert wird die Aufklärung, weil sich der Großteil des Geschehens im Mittleren Osten und Südostasien abspielte. Das Gericht lud bisher Dutzende von Auslandszeugen, von denen die allermeisten nicht erschienen.

Wer war Täter, wer war Opfer?

Ex-Vorstandschef Braun sagte mehrfach aus, dass die Geschäfte des Unternehmens - und die Milliardenumsätze - nicht erfunden, sondern real gewesen seien. Nach Brauns Darstellung sollen der abgetauchte Vertriebsvorstand Jan Marsalek, Bellenhaus und weitere Komplizen die wahren Betrüger gewesen sein, die dem Konzern Milliarden stahlen und auf eigene Konten umleiteten.

Prozess geht bis Weihnachten weiter

Die Kammer setzte Prozesstage bis kurz vor Weihnachten an. Ein ganz wichtiger Zeuge muss noch vernommen werden: Insolvenzverwalter Michael Jaffé. Dieser entdeckte bei seinen Nachforschungen bisher keine Spur der verschwundenen Milliarden, von deren Existenz Braun überzeugt ist.

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