Wegen der Verwerfungen am europäischen Energiemarkt zögert der führende heimische Stromkonzern Verbund mit neuen Investitionen. Angesichts der Fehlentwicklungen bei der "Energiewende" werde man schon begonnene Bauvorhaben vollenden, den Netzausbau weiterführen, ansonsten aber nur noch in Wasserkraftprojekte und Onshore-Windkraft, also CO2-freie Technologien, investieren.
In den nächsten vier, fünf Jahren werde der Verbund knapp unter 2 Mrd. Euro in laufende Projekte und Netze stecken, sagte Generaldirektor Wolfgang Anzengruber am Mittwochabend vor Journalisten in Wien. Die Zahl der Endkunden soll binnen drei Jahren auf über 500.000 oder gut 10 Prozent Marktanteil verdoppelt werden. Letztlich seien hier 15 Prozent das Ziel.
Im Zuge der Konsolidierung in der E-Wirtschaft in Europa würden sicher interessante Targets im Wasserkraftbereich auf den Markt kommen, "das werden wir uns anschauen", kündigte Anzengruber an. Mit dem letzten großen Deal mit E.ON - den Erwerb weiterer Werke in Bayern im Gegenzug für die Abgabe des Türkei-Geschäfts - ist der Verbund zum zweitgrößten Wasserkraftplayer in Deutschland und zur Nr. 1 in Bayern aufgestiegen. "In diesem Bereich wollen wir weiter wachsen", so der Verbund-Chef.
Des weiteren werde Südosteuropa mittelfristig interessant für Erneuerbare bzw. Wasserkraft, derzeit fehle dort oft noch der gesetzliche Rahmen für Investments. In Rumänien verfügt der Verbund über einen Windpark und in Albanien zusammen mit der EVN über ein Wasserkraftwerk. Zudem wolle der Verbund in Österreich stärker in den "Downstream" hinein, also mit Energiemanagement zum Kunden hin, inklusive E-Mobilität und "Smart-Home"-Steuerungen.
Bis Mitteleuropa wieder zu einem "vernünftigen System" im Stromsektor komme, werde es drei Jahre dauern, vermutet Anzengruber. Derzeit sei der Markt ruiniert durch eine Loslösung der Stromgroßhandelspreise von den Gaspreisen, da der Großhandel vom temporäreren Überangebot an Windstrom und zu vielen Gratis-Zertifikaten im CO2-Handelssystem unterminiert worden sei. Dabei merke der Stromkunde, etwa in Deutschland, gar nichts von dem Strompreisverfall, da dort ständig die Ökostrom-Zuschläge angehoben worden seien.
Aus dem Emission Trade System (ETS) gehörten zwei Milliarden verschenkte Verschmutzungsrecht schrittweise herausgenommen, nur dann könne sich auch der Verbund bei künftigen Investitionen darauf einstellen. Die 900 Mio. Zertifikate, für die jetzt ein "back-loading", ein vorübergehendes Zurückhalten, diskutiert werde, sei eine zu geringe Zahl, aber vielleicht ein sinnvoller Anfang. Weil heute ausgerechnet die Braunkohle-Verstromung am günstigsten komme, sei in der Deutschland der CO2-Ausstoß in der Elektrizitätserzeugung im Vorjahr sogar angestiegen, trotz immer höherer Subventionen für Erneuerbare Energien.
Investitionsanreize für die großen Utilities fehlten derzeit - es gebe sie nur dort, wo gefördert wird oder wo es eine Regulierung gibt. 40 Mrd. Euro an Unternehmenswert hätten allein die Großen wie E.ON oder RWE in den letzten Jahren verloren, sie müssten Desinvestments vornehmen, um durchzukommen. Auch der Verbund-Aktienkurs habe gelitten - er ist heuer der schwächste aller ATX-Werte an der Wiener Börse. "Geht es in Richtung Planwirtschaft oder bleiben wir in der Marktwirtschaft?", fragt sich Anzengruber. Planwirtschaft allerdings führe bei höheren Kosten zu ineffizienteren Systemen: "Bei der Versorgungssicherheit sind wir mittlerweile in einem Nachkriegsszenario drin."