Die EU-Kommission sieht die tiefste Wirtschaftskrise in der Geschichte der Europäischen Union an einem Wendepunkt angelangt und prognostiziert für 2010 und 2011 ein leichtes Wirtschaftswachstum. So soll laut der am 3. November in Brüssel vorgestellten Herbstprognose der EU-Kommission das Bruttoinlandsprodukt im nächsten Jahr in Österreich um 1,1 und in der Eurozone um 0,7 Prozent steigen.
Die EU-Kommission erwartet eine "schrittweise Verbesserung", warnte jedoch davor, dass eine Erholung im Banken- und Finanzsystem Voraussetzung für einen Aufschwung sei. Die ersten Staaten sollten schon 2010 mit dem Abbau ihrer Defizite beginnen, der Rest müsse 2011 folgen, forderte Wirtschafts- und Währungskommissar Joaquin Almunia am 3. November.
Bankensektor weiter fragil
"Der Bankensektor ist noch fragil und die Kreditvergabe stagniert", sagte Almunia bei der Vorstellung der Prognose in Brüssel. Um die Konjunktur wieder in Schwung zu bekommen, seien sowohl eine höhere Nachfrage durch die Realwirtschaft, als auch gesündere Bankbilanzen vonnöten - denn diese seien die Voraussetzung dafür, dass die Banken wieder mehr Kredite vergeben könnten. Hoffnung machen der Kommission die sich im Quartalsvergleich verbessernden Produktionsdaten, wieder nach oben zeigende "Stimmungsindikatoren" und der wieder zunehmende Welthandel. Für China erwartet die EU-Kommission 2010 ein Wirtschaftswachstum von 9,6; für die USA von 2,2 Prozent.
Die EU-Kommission zeigt in ihrer Herbstprognose gegenüber Mai mehr Optimismus. Im Frühjahr war sowohl für Österreichs Bruttoinlandsprodukt 2010 als auch für die Eurozone noch ein leichter Rückgang von 0,1 Prozent erwartet worden. Die aktuellen Wachstumsschätzungen für 2011 belaufen sich auf 1,5 Prozent sowohl für Österreich als auch für die Eurozone. In diesem Jahr wird das BIP laut der Schätzung in Österreich noch um 3,7 und in der Eurozone um 4,0 Prozent einbrechen. In Österreich werde die vom einbrechenden Export getriebene Rezession in eine "schrittweise, vom Export geführte Erholung" übergehen.
Verschuldung wird steigen
Die Arbeitslosenrate der Eurozone wird nach der EU-Prognose 2010 und 2011 auf 10,7 bzw. 10,9 Prozent klettern, für Österreich prognostiziert die Kommission für nächstes Jahr eine Arbeitslosenrate von 6,0 (2011: 5,7) Prozent. Die Konjunkturpakete der EU-Staaten lassen auch die Verschuldung deutlich in die Höhe schnellen: Für Österreich wird für nächstes Jahr ein Maastricht-Defizit von 5,5 Prozent erwartet, für 2011 von "nur" 5,3 Prozent.
Für die Eurozone sagt die EU-Kommission ein Defizit von 6,9 (2010) und 6,5 (2011) voraus. Von den 27 EU-Staaten bleibt 2010 nur Bulgarien (minus 1,2 Prozent) unter der im EU-Stabilitätspakt vorgesehenen Schwelle von drei Prozent. Die staatliche Gesamtverschuldung als Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird 2010 in Österreich demnach auf 73,9 Prozent steigen, in der Eurozone auf 84 Prozent.
"Nachhaltiges " Wachstum
Almunia sagte, die nun vorgelegte Herbstprognose zeige ein zwar graduelles, aber "nachhaltiges " Wirtschaftswachstum - damit sei eine von den EU-Finanzministern genannte Vorbedingung für den Schuldenabbau erfüllt. "Mit dieser Vorhersage werde ich dem Rat der Finanzminister (Ecofin) in der kommenden Woche empfehlen, zu bestätigen, dass 2011 das Jahr ist, in dem die EU und die Euro-Zone die Ausstiegsstrategien einleiten sollten", sagte er. Manche Länder müssten freilich schon 2010 mit dem Konsolidieren beginnen - der Abbau der Neuverschuldung müsse deutlich über einem früher genannten "Benchmark" von 0,5 Prozentpunkten pro Jahr liegen, "in manchen Fällen werden es ein Prozent(punkt), bei manchen anderen mehr sein müssen", sagte er.
Die für ihre Voraussagen getroffenen Annahmen über Zinsniveau und Liquiditätspolitik der europäischen Zentralbank (EZB) wollte die Kommission nicht spezifizieren. Ein Problem mit der Inflation erwartet Brüssel gemäß der jüngsten Prognose jedenfalls nicht: Die Kommission geht sowohl für 2010 als auch für das Folgejahr von einer geringen Inflation aus - in der Eurozone von 1,1 (1,5) Prozent, in Österreich von 1,3 bzw. 1,6 Prozent. Trotz des stagnierenden bzw. teilweise sogar rückläufigen Kreditwachstums erwarte die Kommission keine Deflation, erklärte Almunia.
"Leiser Mut zu Optimismus"
Die Herbstprognose ist laut Finanzminister Josef Pröll (V) ein "wichtiges Signal" und gebe auch "leisen Mut zu Optimismus für 2010". Auch Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (V) betonte in einer Aussendung, dass die Wirkung der Konjunkturpakete "erneut bestätigt" worden sei. Grund zur Entwarnung gebe es allerdings nicht. Die Daten der EU-Kommission würden zeigen, dass die Regierung bei der Budgeterstellung "sehr genau" gelegen sei, sagte Pröll im Pressefoyer nach dem Ministerrat. Das Jahr 2010 werde jedenfalls das "Schlüsseljahr", in dem sich entscheide: "Aufschwung und Stabilisierung - ja oder nein?"
Mitterlehner zeigte sich überzeugt, dass die von der Regierung gesetzten Konjunkturmaßnahmen inhaltlich und von der Dimension her "richtig bemessen" worden seien. "Trotz ungünstiger Ausgangslage mit starker Exportverflechtung, einem großen automotiven Bereich sowie der Führungsrolle in Osteuropa hat sich die Position Österreichs relativ verbessert." Nun müsse man aber versuchen, die Aufwärtsentwicklung im nächsten Jahr beizubehalten, "um einen Rückfall zu verhindern" und die "Basis für ein kräftiges Wachstum zu legen".