Tschechien vertagt Entscheidung zu EU-Vertrag
27.10.2009
Die Entscheidung des tschechischen VfGhs zum Lissabon-Vertrag ist auf den 3.11. vertagt worden. Bei der Sitzung wird höchstwahrscheinlich der Spruch verkündet, gab der Vorsitzende Richter Pavel Rychetsky bekannt.
Das Verdikt sowie dessen Zeitpunkt sind für die EU von großer Bedeutung, weil Tschechien das letzte EU-Land ist, das den Ratifizierungsprozess des Lissabon-Vertrages noch nicht abgeschlossen hat. Präsident Vaclav Klaus hatte bereits früher angekündigt, er wolle die Entscheidung der Verfassungsrichter abwarten und "der Letzte in Europa" sein, der das Dokument ratifiziert.
Der tschechische Verfassungsgerichtshof hatte sich am Dienstag in Brno mit der Beschwerde, die eine Gruppe von 17 EU-kritischen Senatoren gegen den EU-Reformvertrag von Lissabon eingereicht hatte, befasst. In den Nachmittagsstunden wurde die öffentliche Anhörung mit den Reden der einzelnen Teilnehmer des Verfahrens noch fortgesetzt.
Beschränkung der Souveränität Tschechiens
Die Kritiker des EU-Reformvertrages werfen diesem vor, die Souveränität Tschechiens zu beschränken und wichtige Kompetenzen an die EU zu übertragen. Der Leiter der Beschwerdeführer, der Senator der konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS) Jiri Oberfalzer, betonte in seinem Plädoyer, der Lissabon-Vertrag "verändert auf eine grundsätzliche Weise das Funktionieren der EU und damit auch die Position der Tschechischen Republik".
Von den europäischen Verträgen aus Rom und Maastricht "bleiben dann nur noch die Namen". Der Lissabon-Vertrag beinhalte in sich einen "Keim einer Föderation, weswegen wir vorsichtig sein sollten". Das Dokument stelle die EU-Mitgliedsstaaten in die Position der Unterordnung, so Oberfalzer.
Gleich nach dem Beginn der Sitzung stellten die Beschwerdeführer die Kompetenz des Vorsitzenden des Verfassungsgerichtshofes, Pavel Rychetsky, der gleichzeitig der sogenannte Richter-Berichterstatter im Fall des Lissabon-Vertrages ist, infrage. Sie warfen Rychetsky Voreingenommenheit vor, womit sie auf sein kürzliches Treffen mit dem deutschen Botschafter in Prag, Johannes Haindl, anspielten. Bei dem Treffen war auch das jetzige Verfahren zum Lissabon-Vertrag Thema. Nach einer kurzen Besprechung hinter verschlossener Tür wies das Gremium den Vorwurf zurück.
Ergänzung des Prüfantrages eingebracht
Außerdem brachten die Kritiker des Lissabon-Vertrages eine Ergänzung ihres Prüfantrages ein, die sie dem Gericht in schriftlicher Form übergaben. Dem Vernehmen nach handelt es sich um neue Argumente zur Unterstützung der Beschwerde. Rychetsky reagierte darauf sichtbar erregt und kritisierte die Senatoren, genug Zeit gehabt zu haben, um ihre Einwände ausreichend im Voraus zu formulieren. "Der Verfassungsgerichtshof wird sich damit bestimmt auseinandersetzen. Ich kann mich aber einer Bemerkung nicht erwehren, dass dieser Vorgang am Rande der Obstruktion ist", erklärte Rychetsky.
Oberfalzer wies die Kritik zurück. Man sollte keinen Druck auf die Gruppe von Senatoren ausüben, die ernsthaft daran zweifelten, ob der Lissabon-Vertrag im Einklang mit der Rechtsordnung ist. "Wir wollen, dass dies gründlich überprüft wird", so Oberfalzer.
Kritisch reagierte Rychetsky auch auf den Auftritt des Rechtsvertreters von Staatspräsident Vaclav Klaus, Ales Pejchal. Dieser stellte im Namen des Staatschefs einige Fragen, beispielsweise jene, ob Tschechien nach der Ratifizierung des EU-Reformvertrages ein souveräner Staat und die EU eine internationale Organisation bleiben würden. "Sollen wir das als einen Fragebogen wahrnehmen", fragte Rychetsky und fügte hinzu, der Verfassungsgerichtshof habe keine Kompetenz, die Angelegenheit zu interpretieren.
Ausnahmeregel bei der Menschenrechtscharta
Kürzlich hatte Klaus einen neuen Einwand gegen den Vertrag eingebracht: Er fordert eine Ausnahmeregel für Tschechien bei der Menschenrechtscharta, wie sie Großbritannien und Polen haben. Der Staatschef argumentiert im Zusammenhang mit den Benes-Dekreten, ohne diese Regel könnten die Eigentumsgarantien der tschechischen Bürger im Zusammenhang mit eventuellen Eigentumsklagen seitens der Sudetendeutschen infrage gestellt werden.
Gerhard Zeihsel, Bundesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich (SLÖ), kritisierte die beim kommenden EU-Gipfel angestrebte Einigung zwischen der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft und Präsident Klaus. "Das Vertragsangebot der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft ist noch nicht im Wortlaut bekannt, aber wenn Vaclav Klaus zufrieden darauf reagiert, ist es ein Teufelspakt", so Zeihsel in einer Aussendung des Sudetendeutschen Pressedienstes (SdP) am 27. Oktober.
"Damit würde Europa die deutschen Heimatvertriebenen aus seinem Grundrechtekatalog herauslösen", sagte Zeihsel. Der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, warnte in einer Aussendung vor "einer Inflation von juristisch sinnlosen, moralisch aber inakzeptablen (...) Klauseln". Menschenrechtliche Probleme in Europa könne man seiner Ansicht nach nur durch einen direkten Dialog mit den Betroffenen lösen; sonst werde die Frage der Benes-Dekrete noch in Jahrzehnten immer wieder auftauchen.