Wien steckt sich neue Ziele
22.10.2009
Wien Tourismus hat 11.000 Reisende aus den wichtigsten Zielmärkten befragt und daraus ein Langfristrezept bis 2015 formuliert.
Eingekocht auf einen Satz lautet es: "100 und 1 und jetzt." Angepeilt werden um 100 Mio. Euro mehr Nächtigungsumsatz und um 1 Mio. mehr Nächtigungen als im Rekordjahr 2008. Das "Jetzt" soll potenziellen Besuchern verdeutlichen, dass sie etwas versäumen, wenn sie nicht sofort eine Reise in die Donaumetropole buchen.
Tourismusdirektor Norbert Kettner verpasste damit der Hotellerie erstmals in Österreich ein Umsatzziel, wie in Unterlagen des Wien Tourismus betont wird. Ausgangspunkt für den zu erreichenden Umsatz sind jene 487 Mio. Euro, die im Vorjahr erzielt wurden.
2015 sollen es um 100 Mio. Euro mehr sein. Bei den Nächtigungen müsste, wenn die Wunsch-Prognose in Erfüllung geht, die Anzahl zumindest 11,2 Mio. betragen, da 2008 insgesamt 10,2 Mio. Übernachtungen gezählt wurden. Die Prognosen für 2015 wurden gemeinsam mit dem Institut für Wirtschaftsforschung erarbeitet.
Bei der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) sieht man die Umsatzziele als "einzigartig in Europa" und spricht von einer "Motivation". Es gehe um Qualität, nicht um Sterne und um Strukturveränderung, nicht um Bettenzuwachs, meinte die ÖHV-Wien-Vorsitzende. Die Zukunft der Hotellerie liege in der richtigen Positionierung, im individuellen Profil und in der zielgruppenspezifischen Ausrichtung hinsichtlich Ausstattung, Ästhetik, Komfort und Service.
Nur langsame Erholung für Hotellerie
Die Tourismus-Ergebnisse waren 2008 so gut wie nie zuvor. Heuer werden sie jedoch nicht erreicht. So dürfte etwa der Umsatz der Hotellerie im Krisenjahr 2009 um mehr als 10 % niedriger ausfallen als im Vorjahr. Auch 2010 wird eher schwierig, die Zahlen würden in den kommenden 2 Jahren noch zurückgehen, heißt es beim Wien Tourismus. Auch danach sei nur eine langsame, allmähliche Erholung zu erwarten.
Damit die angestrebten Eckdaten erreicht werden, müssen die Verantwortlichen also rasch handeln und auf das "Jetzt" setzen. Man werde Wien mehr als Destination positionieren, die nicht "irgendwann einmal" sondern gleich besucht werden sollte, verpricht Kettner. Dies sei ein zentrales Element der neuen Werbelinie.
Bei Außenwerbung im Hintertreffen
Apropos Werbung: Hier wurde ein unerledigter Punkt aus dem Tourismuskonzept 2010 in das neue übertragen. Einmal mehr wird gefordert, das Jahresbudget der Österreich Werbung (ÖW) um 10 Mio. Euro zu erhöhen. Österreich liege derzeit im Außenmarketing bei der klassischen Werbung gegenüber anderen Destinationen "deutlich im Hintertreffen", kritisiert Kettner. Der Tourismus erwirtschaftet in Wien laut Vizebürgermeisterin Renate Brauner immerhin eine jährliche Wertschöpfung von rund 4 Mrd. Euro. Das entspricht den Angaben zufolge etwa 6 Prozent des Wiener Bruttoregionalprodukts.
Die Grundlage dafür, wie das Ziel "100 und 1 und jetzt" erreicht werden soll, bildet eine Befragung von rund 11.000 Reisenden aus wichtigen Zielmärkten, die im Rahmen eines Markenentwicklungsprozesses für den Wien-Tourismus durchgeführt wurde. Sie repräsentiert sowohl die Nachfrage- als auch die Angebotsseite: Interviewt wurden nicht nur Wien-Kenner, sondern auch Personen, die noch nie in der Bundeshauptstadt waren, sowie 550 Touristiker.
Gäste schätzen demnach an Wien ganz besonders das imperiale Erbe, das Musik- und Kulturangebot, die Lokal- und Gastroszene, die funktionierende Stadtinfrastruktur und die Grünflächen. Dem Tourismusverband gelten diese Punkte als "Fab Five" der Imageattribute. Auf selbige soll in künftigen Kampagnen besonders eingegangen werden.
Städtische Realitäten im Argen
Abseits der Marketingbelange muss zuerst aber die städtische Realität an einigen Ecken verbessert werden. Die Ankunftssituation in Wien bezeichnete Kettner vorsichtig als "suboptimal" - Stichwort Bahnhofsbaustellen oder Flughafenankunftshalle. Das Gros der Besucher erreicht die Walzerstadt ja derzeit an fast keinem Punkt durch ein Entree, das einer Weltstadt würdig ist. Potenziale sieht Kettner zudem an der Ringstraße, die ihren Status als Prachtboulevard wieder finden soll, sowie bei der "Waterfront" am Donaukanal und am Schwedenplatz. Auch mehrsprachige Beschriftungen, zum Beispiel in den Öffis, müssten forciert werden.
Zudem fehlt der historischen Stadt mitunter der eine oder andere moderne architektonische Hingucker. Die alten Prunkbauten könnten mehr Dynamik erhalten, wenn aufsehenerregende zeitgenössische Architektur ins Stadtbild komme. Dafür plädiert in Unterlagen des Wien Tourismus vor allem Schloss Schönbrunn-Geschäftsführer Franz Sattlecker.
Visa-Belange zu wenig kundenfreundlich
Kritik aus Wien gibt es außerdem an der Praxis der Visa-Erteilung. Vor allem in Russland, den arabischen Ländern und China ist die Visa-Erteilung nicht kundenfreundlich geregelt. Bei verbesserten Bedingungen erwarten die Verantwortlichen deutliche Nächtigungszuwächse. Vizebürgermeisterin Brauner betonte, dass sie bereits beim Wirtschafts- und Außenministerium Verbesserungen urgiert habe.
Laut Kettner geht es dabei meist nicht um Sicherheitsfragen, sondern um die Praxis der Vergabe. So müssen in den arabischen Ländern Asiens die Antragsteller oft persönlich bei der Einreichstelle erscheinen. In Saudi-Arabien sind die Stellen für die urlaubswillige Bevölkerung oft tausende Kilometer entfernt oder der Parteienverkehr in den Konsulaten beschränkt sich auf den Vormittag. Andere europäische Konkurrenzländer lassen auf diesen Märkten die Visa-Anträge bereits kundenfreundlich über eine Agentur abwickeln. Für Österreich funktioniere das Agenturprinzip schließlich bereits auf dem indischen Markt problemlos, so Kettner.
Politik wehrt sich gegen Sonntagsöffnung
Wenig Veränderung dürfen die Touristiker in Sachen Ladenöffnung erwarten. ÖHV-Frau Reitterer bekräftigte bei der Diskussion des neuen Tourismuskonzeptes ihre Forderung nach erweiterten Öffnungszeiten am Wochenende. Selbst Luxusrestaurants sind laut Reitterer viel zu selten sonntags geöffnet. Sie sprach sich unter anderem für einen Pilotversuch mit offenen Geschäften an den Adventsonntagen aus. Von der Politik kam postwendend eine Absage: Eine Sonntagsöffnung werde es nicht geben, betonte Brauner.