Verschärfte Regeln

Wirbel um Arbeitspapier: Arbeitslosengeld soll unter 40 Prozent sinken

07.05.2021

Derzeit sorgt ein ''internes Arbeitspapier'' des ÖVP-Wirtschaftsbundes für Aufregung.

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© APA/BARBARA GINDL
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Wien. Der ÖVP-Wirtschaftsbund möchte, dass Langzeitarbeitslose Jobs in ganz Österreich annehmen müssen und ihr Arbeitslosengeld auf unter 40 Prozent gesenkt wird. Dies berichtet die "Presse" (Freitag) unter Berufung auf ein internes Arbeitspapier des Wirtschaftsbunds. Chef des Wirtschaftsbundes, einer ÖVP-Teilorganisation, ist Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer. SPÖ, FPÖ und Gewerkschaft reagieren empört. Widerstand kam auch vom Koalitionspartner, den Grünen.

Die Kritiker werfen der ÖVP soziale Kälte und Verachtung für Arbeitslose vor. Der ÖVP-Bund will mit den Maßnahmen hingegen mehr Menschen in Beschäftigung bringen. Kurt Egger, Generalsekretär des Wirtschaftsbundes, erklärt das Positionspapier des Wirtschaftsbundes so, dass aktuell viele Unternehmer darüber klagen würden, keine Mitarbeiter zu finden, sowohl Facharbeiter als auch für ganz normale Tätigkeiten. Und es könne doch nicht sein, dass "in Zeiten einer Wirtschaftskrise mit Rekordarbeitslosigkeit Tausende offene Stellen unbesetzt sind".

Grüne Sprecherin: "Wir wollen die Armut halbieren"

"Wer meint, in Zeiten der Krise, in denen ein Arbeitsplatzangebot auf fünf arbeitslose Menschen kommt, mit rein ideologiebegründeten Bestrafungsphantasien irgendein Problem lösen zu können, macht keine ernstzunehmende Politik und braucht sich nicht zu wundern, wenn er mit derartigen Absurditäten politisch baden geht", hieß es vom Arbeits- und Sozialsprecher der Grünen, Markus Koza. "Möglicherweise hat der Wirtschaftsbund auch einfach das Regierungsprogramm missverstanden: Wir wollen nämlich die Armut halbieren, nicht das Arbeitslosengeld." Die türkis-grüne Regierung setze auf Ausbildung und Qualifikation sowie Unterstützung und Begleitung von Menschen, die am Arbeitsmarkt ausgegrenzt seien.

Per Ende April 2021 waren in Österreich 433.443 Personen ohne Job oder in Schulungen des AMS. Demgegenüber standen 81.028 beim AMS gemeldete sofort verfügbare offene Stellen. Das ergibt rechnerisch 5,3 Arbeitslose pro offener Stelle.

Ein degressives Arbeitslosengeld, das mit der Dauer des Bezugs sinkt, solle unterm Strich budgetneutral sein, also weder geringere noch höhere Kosten verursachen als jetzt. "Man kann am Anfang mehr bezahlen, durchaus auch für zwei, drei Monate 70 Prozent vom Letztbezug. Mit der Dauer sinkt das Arbeitslosengeld aber. Damit es aufkommensneutral bleibt, müsste es also in den letzten Monaten auf 40 Prozent oder darunter gehen," so Egger zur "Presse". Das Arbeitslosengeld wird derzeit maximal zwölf Monate ausbezahlt.

Zeitliche Begrenzung der Notstandshilfe

Weiters solle es auch eine zeitliche Begrenzung der Notstandshilfe geben. Damit bliebe für Arbeitslose nur mehr die Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung, für deren Bezug man allerdings praktisch keine Vermögenswerte haben darf. Außerdem sollten laut Wirtschaftsbund die Zuverdienstmöglichkeiten für Arbeitslose fallen. Derzeit können Arbeitslose maximal 476 Euro brutto pro Monat zusätzlich zum Arbeitslosengeld verdienen. "In diesem Fall ist der Anreiz, eine Vollzeitbeschäftigung anzunehmen, für manche Berufsgruppen sehr gering", heißt es in dem Arbeitspapier der ÖVP-Teilorganisation. Durch die Zuverdienstmöglichkeit käme es nämlich "oftmals zu dem Ergebnis, dass Personen damit mehr verdienen als in potenziellen Jobs".

Strenger sollen auch die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose werden: Vermittelbare Positionen müssen derzeit normalerweise innerhalb einer Stunde vom Wohnort erreichbar sein. Diese Wegzeit sollte auf 1,5 Stunden ausgedehnt werden und bei Langzeitarbeitslosen gänzlich entfallen. "Bei Langzeitarbeitslosigkeit soll es möglich werden, Personen im ganzen Land zu vermitteln," heißt es im Wirtschaftsbund-Papier. Derzeit geschieht dies nur auf freiwilliger Basis.

Auch für Beschäftigte sieht der Wirtschaftsbund Verschärfungen vor: Denn Arbeitnehmer im Krankenstand sollen teilweise arbeiten müssen - wenn sie nämlich trotz einer Krankheit bzw. einer Verletzung noch "eingeschränkt arbeitsfähig" sind. Derzeit ist ein Arbeitnehmer entweder krank oder gesund. "Die Entscheidung lautet dann nicht krank oder gesund, sondern beispielsweise: 50 Prozent arbeitsfähig, nur einfache körperliche Tätigkeit."

Scharfe Kritik der SPÖ

Die SPÖ übt scharfe Kritik an dem Papier und wirft der Regierungspartei ÖVP "soziale Kälte" vor. Der ÖVP-Wirtschaftsbund fahre einen Großangriff auf Arbeitslose und fordere massive Verschärfungen für arbeitssuchende Menschen, ist SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch empört. "Die ÖVP hat kein Konzept gegen Arbeitslosigkeit. Derzeit kommt auf fünf arbeitssuchende Menschen nur eine offene Stelle: Angesichts dieses krassen Missverhältnisses muss man kein Raketenwissenschafter sein, um draufzukommen, dass noch mehr Druck auf arbeitslose Menschen keinen einzigen Arbeitsplatz schafft". Die ÖVP habe "kein Herz für die Menschen, weil sie ausschließlich die Interessen ihrer Großspender bediene," so Deutsch gegenüber dem SPÖ-Pressedienst. Es brauche jetzt dringend echte Hilfe für arbeitssuchende Menschen. Die SPÖ-Vorschläge wie die Aktion 40.000, der Corona-Beschäftigungsbonus oder eine freiwillige, geförderte Vier-Tage-Woche lägen beschlussreif auf dem Tisch, die Regierung müsse sie nur aufgreifen.

Für die Gewerkschaft GPA zeigt der Wirtschaftsbund mit seinem Forderungspapier "nichts als Verachtung für Arbeitslose". Anstatt jetzt Zukunftsinvestitionen in Bereichen wie Pflege oder Bildung anzugehen, wolle die ÖVP mit ihrem Wirtschaftsbund Arbeitslose noch weiter in Existenzängste treiben. Mit einem Arbeitslosengeld, das auf unter 40 Prozent sinkt, der Pflicht, einen Job im ganzen Land annehmen zu müssen und mit einer Begrenzung der Notstandshilfe zeige Mahrers Wirtschaftsbund "sein arbeitnehmerfeindliches Gesicht", so GPA-Vorsitzende Barbara Teiber. Auch die Forderung nach "Teilarbeit" für Kranke sei "zynisch": "Wer krank ist, ist krank und soll nicht arbeiten gehen. Nicht einmal in einer weltumspannenden Pandemie ist dem Wirtschaftsbund der Wert der Gesundheit bewusst - zumindest, wenn es um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht." Die GPA fordert ein höheres Arbeitslosengeld und Geld für Arbeitsstiftungen zur Um-und Aufqualifizierung sowie Investitionen in Pflege und Bildung.

FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch sprach von einem "völlig unfassbaren Sozialabbau". Die ÖVP-Führung wisse bestimmt über "diese verheerenden Pläne" ihres Wirtschaftsflügels bescheid und würde diese gutheißen. "Zuerst führt die ÖVP durch ihre absurden Corona-Maßnahmen eine Massenarbeitslosigkeit herbei und dann will sie die Zeche dafür die davon betroffenen Menschen zahlen lassen", kritisierte Belakowitsch. Das sei "eine zutiefst schäbige Vorgangsweise".

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