Mitten in Wien

Diese Physiker lassen Zeit rückwärts laufen

07.02.2023

In unserer Alltagswelt läuft die Zeit immer vorwärts. Ein Glas, das zu Boden fällt und zerbricht, setzt sich nicht wieder zusammen und springt auf den Tisch. In der Quantenwelt ist es - wie so oft - anders.

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Wiener Physikern ist es nun gelungen, in einem Quantensystem die Zeit rückwärts laufen zu lassen und dessen Entwicklung wieder in den Anfangszustand zu versetzen. Wie sie im Fachjournal "Optica" berichten, ist es dazu nicht einmal notwendig, den Anfangszustand zu kennen.

In der Makrowelt widerspricht der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik der Umkehr von Prozessen, dass also die Scherben wieder zur ursprünglichen Glasform zueinander finden. Denn diesem Grundsatz zufolge nimmt in jedem geschlossenen System der Grad der Unordnung (Entropie) zu.

In der Quantenwelt ist das Ganze noch komplizierter: Denn ein Quantensystem wird allein durch Beobachtung verändert. Würden also die Glasscherben den Gesetzen der Quantenphysik folgen, würden sie allein durch das Beobachten verändert und man könnte den Prozess nicht umkehren und sie nicht mehr in die ursprüngliche Glasform bringen.

Doch die Gesetze der Quantenmechanik eröffnen auch neue Möglichkeiten: So hat der theoretische Physiker Miguel Navascues vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien ein sogenanntes "Rewinding-Protokoll" erdacht. Damit kann man mit Hilfe eines eleganten mathematischen Tricks Veränderungen in einem Quantensystem über die Zeit umkehren - und das, ohne zu wissen, wie dieses ursprünglich ausgesehen hat. Vereinfacht gesagt wird dabei die Entwicklung des Systems mit einer anderen Entwicklung gekoppelt.

Dem Team um Philip Walther von der Universität Wien und dem IQOQI ist es nun gelungen, dieses theoretische Rezept experimentell zu realisieren. Bei dem Quantensystem handelt es sich um ein einzelnes Photon, dessen Polarisation mehrfach verändert wird. "Es war eines der schwierigsten Experimente, die wir je für ein einzelnes Photon aufgebaut haben", erklärte Walther gegenüber der APA.

Um das theoretische Rezept zu realisieren, haben die Physiker diese Entwicklung des Photons mit einer zweiten Operation - ebenfalls eine Veränderung der Polarisation - überlagert, "sodass wir nicht mehr wissen, welcher der beiden Prozesse zuerst kommt", so Walther. Die zweifache Anwendung dieses sogenannten "Quantenswitch" ermöglicht ihnen, die Zeit rückwärts laufen zu lassen und das Lichtteilchen erreicht wieder jenen Zustand, den es zu Beginn seiner Reise hatte. Bemerkenswert dabei ist, dass man dafür nicht wissen muss, wie sich das Photon mit der Zeit verändert hat, was diese Veränderung ausgelöst hat und was der Anfangs- und Endzustand des Lichtteilchens war.

"Wir haben damit eine Maschine gebaut, die eine Entwicklung, die wir nicht kennen, umkehren kann - durch ein allgemeines Rezept, das für diese Größe der Systeme, wie in unserem Fall die Veränderung der Polarisation von Photonen, allgemein gültig ist", sagte Walther. Das sei einerseits "fundamental unglaublich interessant", weil man zu einem Zustand zurückkehren könne, den man gar nicht kenne. "Wir sind aber auch davon überzeugt, dass das auch technologische Anwendungen hat", so der Physiker. Wenn man ein solches "Rewinding-Protokoll" etwa in Quantenprozessoren einbaue, dann könne man damit Fehler oder Entwicklungen, die man nicht will, rückgängig machen.

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