Eine Tiroler Studie, die sich über zwei Jahre mit der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie beschäftigt hat, hat äußerst besorgniserregende Ergebnisse zutage gefördert.
"Ein Drittel hat klinisch manifeste Ängste, die behandlungsbedürftig sind", sagte Kinderpsychiaterin und Studienautorin Kathrin Sevecke bei einer Pressekonferenz in Innsbruck. Es benötige doppelt so viele Behandlungsplätze, forderte sie die Politik zum Handeln auf.
In den vergangenen zweieinhalb Jahren wurden in vier Online-Befragungen insgesamt 4.480 Fragebögen von Kindern und Jugendlichen bzw. deren Eltern oder Elementarpädagoginnen und -pädagogen aus Nord- und Südtirol ausgefüllt. Die Befragten waren zwischen drei und zwölf Jahre alt. Im Zeitverlauf verschlechterte sich das psychische Befinden der Heranwachsenden, berichtete Sevecke. "Eine Bedrohung wird von der nächsten abgelöst", sagte sie in Hinblick auf Krieg, Teuerung und Sorgen um die Umwelt. Aber man müsse lernen, damit umzugehen.
Die Studienergebnisse und Erfahrungen decken sich auch mit jenen anderer Länder in Europa bzw. auch mit Erfahrungen, die man im stationären Bereich mache. Im Jahr 2021 wurden in Tirol um 40 Prozent mehr Akutaufnahmen verzeichnet, die wegen Selbstverletzungen oder suizidalem Verhalten nötig geworden waren. "Im Jahr 2022 bestätigte sich der Trend", zeigte Sevecke, Innsbrucker Klinikdirektorin für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kinder- und Jugendalter und Primaria am Landeskrankenhaus Hall in Tirol, auf. Es gebe aber auch Hinweise auf sogenanntes "posttraumatisches Wachstum", wobei gestärkter Zusammenhalt in der Familie, der Erwerb neuer Fähigkeiten oder neuer Selbstständigkeit beobachtet wurde.
Politik gefordert
Sevecke forderte mit Nachdruck einmal mehr die Politik zum Handeln auf. Es braucht "mehr Plätze im stationären Bereich", in Hall würden derzeit 90 Kinder und Jugendliche auf einen Platz warten. In Hall stehen 37 Plätze zur Verfügung, in Innsbruck gibt es nun zusätzlich eine Tagesklinik. "Es wären vielleicht 70 bis 80 Plätze, um den Versorgungsgrad, den wir in Tirol bräuchten, zu erreichen", hielt Sevecke fest. Zudem kritisierte sie, dass es "in Österreich immer noch keine kassenfinanzierte Psychotherapie" gebe.
Relativ günstig könnte man mittels "Hometreatment" Abhilfe schaffen, gab Sevecke einen Ausblick. Dabei kommt ein multiprofessionelles Team zu den Patientinnen und Patienten nach Hause. Fünf Plätze könnten mit 300.000 Euro finanziert werden, rechnete sie vor. Man arbeite auch bereits in Projektgruppen mit dem Land zusammen, "aber der Prozess zieht sich schon hin. Es gibt rechtliche, finanzielle und personelle Schwierigkeiten", meinte sie - die aber aus ihrer Sicht lösbar wären. In Wien und der Steiermark würden solche Teams bereits arbeiten, "und die sind sehr begeistert". Schon konkretere Pläne gibt es dagegen für ein Pilotprojekt zur Einführung eines Faches "Psychische Gesundheit" ab Herbst, wobei Kinder Stresstoleranz und Fähigkeiten lernen, um mit psychischer Belastung umzugehen und die Entstigmatisierung Thema sein wird. In wie vielen Schulen dies angeboten werde, sei aber noch unklar.
Beim 9. Kinder- und Jugendpsychiatriekongress am Wochenende in Innsbruck werden nicht nur die Ergebnisse der Covid 19-Kinderstudie präsentiert, sondern auch alternative Behandlungskonzepte besprochen. Einer davon ist das Konzept der videobasierten Intervention (VIPP-SD), das präventiv wirken soll, erklärte Ann-Christin Jahnke-Majorkovits, klinische Psychologin am Landeskrankenhaus Hall. Dabei soll die Feinfühligkeit von Eltern unterstützt werden, in dem sie bei alltäglichen Situationen mit ihren Kindern gefilmt werden und anschließend Feedback erhalten - mit Schwerpunkt auf das, was gut gemacht wurde. Erste "Probefamilien" würden zu der Herangehensweise gutes Feedback geben, weil es eine "positive Art zu arbeiten" sei. Ihr Ziel ist es, in Hall ein Ausbildungszentrum zu etablieren.