Amsterdam/Brüssel. In der Europäischen Union kann mit Impfungen mit einem dritten Covid-19-Impfstoff begonnen werden. Die Europäische Kommission erteilte dem Vakzin des britisch-schwedischen Pharmakonzerns AstraZeneca am Freitag die finale Genehmigung. Zuvor hatte bereits die Europäische Arzneimittelbehörde EMA eine bedingte Zulassung für Personen ab 18 Jahren empfohlen. Es ist damit der dritte in der EU zugelassene Covid-19-Impfstoff nach den Mitteln von Biontech/Pfizer und Moderna.
Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hatte zuvor den Einsatz des Covid-19-Impfstoffs von AstraZeneca abgesegnet. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) empfahl am Freitag eine bedingte Zulassung des Impfstoffs ab 18 Jahren. Die finale Entscheidung muss nun von der Europäischen Kommission gefällt werden. Diese gilt als Formsache. Es wäre damit der dritte in der Europäischen Union zugelassene Covid-19-Impfstoff nach den Mitteln von Biontech/Pfizer und Moderna.
EMA nannte keine Altersgrenze
Eine Altersobergrenze nannte die EMA nicht. Die Behörde wies aber darauf hin, dass es noch nicht genügend Daten über die Wirksamkeit des AstraZeneca-Präparats bei älteren Menschen gebe, um zu beurteilen, wie effektiv es bei diesen sei.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) begrüßten die Entscheidung der EMA. "Jeder von der EMA zugelassene Impfstoff durchläuft ein präzises und verantwortungsvolles Prüfverfahren. Die EMA sieht beim Impfstoff von AstraZeneca grundsätzlich eine gute Wirkung und Verträglichkeit, weist aber auf eine geringe Zahl an Studienteilnehmern in der Gruppe von Menschen mit höherem Alter hin", betonten die Regierungsvertreter.
Sie ersuchten daher das Nationalen Impfgremium "um eine Bewertung bis Sonntag, ob für diese Gruppe die Vorlage ergänzender Studien, die noch im Februar geplant sind, vor einer Verwendung des Impfstoffes für diese Altersgruppe abgewartet werden soll, so wie das auch in Deutschland von der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts empfohlen wurde", hieß es in der der APA übermittelten Stellungnahme. Am Montag werden die Entscheidungen des Nationalen Impfgremiums mit den Landeshauptleuten diskutiert und die weitere Vorgehensweise bei der Impf-Planung abgestimmt, kündigten Kurz und Anschober an.
NEOS sehen einige offene Fragen
Einige offene Fragen sahen daher die NEOS in einer Aussendung. Es seien bereits zu viele gravierende Fehler beim Schutz der größten Risikogruppe passiert, warnte Gesundheitssprecher Gerald Loacker. Er forderte spätestens für kommenden Montag einen Impfkrisengipfel.
Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) zeigte sich am Abend in der ORF-Sendung "Wien heute" angesichts der jüngsten Entwicklungen optimistisch. Mit dem zusätzlichen Impfstoff, der leichter zu handhaben und zu lagern sei als andere, werde man ab der zweiten, dritten Februarwoche beim Impfen "die Schlagzahl in Wien ordentlich erhöhen können". Hacker geht davon aus, dass hierzulande "vielleicht in der übernächsten Woche" 344.000 AstraZeneca-Dosen verfügbar sein werden und die Bundeshauptstadt davon 21 Prozent erhält. 60.000 könnten dann gleich verimpft werden. Der Stadtrat meint, dass bis Ende März 31 Prozent der Wiener Bevölkerung durchgeimpft werden könnten.
Hacker sprach sich "ganz klar für eine österreichweite Empfehlung" zur Frage aus, ob auch Personen über 65 den Impfstoff erhalten sollen. Wien werde sich diesbezüglich an der Einschätzung des Nationalen Impfgremiums orientieren, garantierte Hacker.
Pensionistenverband fordert Gespräche
Der Präsident des Pensionistenverbandes, Peter Kostelka, forderte nach dem Entscheid der EMA Gespräche auf nationaler Ebene und sah Bedenken zur Wirksamkeit der Vakzine von AstraZeneca: "Wie gedenkt die Regierung nun mit diesen Bedenken umzugehen?" Für den Pensionistenverband geht es nun darum festzulegen, "wer, wann, wie, wo und womit" aus der Altersgruppe der Über-65-Jährigen geimpft werden soll. Kostelka kündigte an, eine außerordentliche Sitzung des Österreichischen Seniorenrates in die Wege zu leiten.
Der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) begrüßte die Empfehlung der Zulassung des AstraZeneca-Vakzins als dritten Corona-Impfstoff in der EU. "Die Impfstoffe bauen auf unterschiedlichen Technologien auf. Was ihnen aber allen gemeinsam ist, ist die Fähigkeit, einen schweren Krankheitsverlauf von Covid-19 zur verhindern und damit auch Todesfälle zu vermeiden", betonte Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog in einer Aussendung.
Der Vektor-Impfstoff von AstraZeneca erwies sich in klinischen Studien als sicher und wirksam bei der Vorbeugung von symptomatischem COVID-19, wobei es keine schweren Fälle und keine Krankenhauseinweisungen mehr als 14 Tage nach der zweiten Dosis gab. Die ersten Lieferungen für Österreich werden laut Pharmig für Februar in drei Tranchen erwartet: am 7. Februar 63.354, am 17. Februar 97.763 und Ende Februar 182.430. Insgesamt kommen im Februar also 343.547 Dosen Impfstoff von AstraZeneca nach Österreich.
Notfallgenehmigung in mehreren Ländern
Als weltweit erstes Land hatte Großbritannien das Vakzin von AstraZeneca zugelassen. Der Impfstoff erhielt seitdem bereits in einer Reihe anderer Länder eine Notfallgenehmigung, darunter in Indien, Argentinien, Mexiko oder Marokko. Die Europäische Kommission hat einen Kaufvertrag über bis zu 400 Millionen Dosen des Vakzins unterschrieben. Allerdings ist zwischen der EU und AstraZeneca ein Streit wegen Lieferproblemen entbrannt.
Ungeklärt ist noch immer, wie viele Impfdosen von AstraZeneca geliefert werden können. Im Streit mit der EU-Kommission beruft sich das Unternehmen auf Produktionsprobleme. In Großbritannien wird das Präparat bereits seit Jänner eingesetzt.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen pochte am Freitag auf mehr Impfstofflieferungen. "Es gibt verbindliche Bestellungen und der Vertrag ist glasklar", sagte sie am Freitag im Deutschlandfunk. Darin würden ganz klare Liefermengen für das erste, zweite und dritte Quartal genannt und die Produktionsstandorte dafür. Das Unternehmen habe für die drastische Reduzierung der Liefermenge keinen nachvollziehbaren Grund angegeben und müsse seine Lieferverpflichtungen erfüllen.
Impfstoffstreit zwischen EU und AstraZeneca
In dem Impfstoffstreit veröffentlichte die EU-Kommission am Freitag ihren Rahmenvertrag mit AstraZeneca. Dabei unterlief ihr jedoch eine schwere Panne. Die auf Wunsch des Unternehmens geschwärzten Passagen in dem Dokument waren in einer ersten Version über die Lesezeichen-Funktion des Acrobat Readers teilweise lesbar. Es handle sich um einen technischen Fehler, hieß es aus Kommissionskreisen. Die veröffentlichte Version wurde später ersetzt.
Der Vertrag sieht jedenfalls eine mögliche Produktion von Corona-Impfstoff für die EU auch in Großbritannien vor. AstraZeneca hatte die angemeldeten Schwierigkeiten bei Lieferungen in die EU mit Produktionsproblemen in Belgien begründet. Doch aus dem am Freitag veröffentlichten Vertragswerk geht hervor, dass das britisch-schwedische Unternehmen nicht nur in der EU, sondern auch im Vereinigten Königreich produzieren sollte.
AstraZeneca hat große Mengen des Impfstoffs in Großbritannien hergestellt, wo die Immunisierung der Bevölkerung deutlich weiter fortgeschritten ist als in der EU. Das Unternehmen erklärte, es sei durch einen Vertrag mit der Londoner Regierung dazu verpflichtet, Impfstoffe aus britischen Fabriken erst dann ins Ausland - einschließlich der EU - zu exportieren, wenn die britischen Aufträge vollständig abgearbeitet sind.
"Ausfuhrgenehmigungspflicht" beschlossen
Die Europäische Union ging zudem am Freitag einen Schritt weiter in der Kontrolle von Covid-Vakzinen. Die EU kann künftig die Exporte von Corona-Impfstoffen überwachen und gegebenenfalls beschränken. Die EU-Kommission habe am Freitag eine entsprechende "Ausfuhrgenehmigungspflicht" beschlossen, sagte der für Außenhandel zuständige Kommissionsvize Valdis Dombrovskis in Brüssel. Alle Pharmakonzerne, die mit der EU Lieferverträge über Corona-Impfstoffe abgeschlossen haben, müssen demnach künftig Lieferungen an Drittstaaten in Brüssel anmelden.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) reagierte auf diese Maßnahme mit Kritik. "Das ist ein Besorgnis erregender Trend", sagte Mariangela Simao, zuständig für Medikamente und Impfstoffe, am Freitag in Genf. "Das ist weder der öffentlichen Gesundheit noch irgendeinem Land zuträglich." Vielfach kämen Bestandteile von Impfstoffen aus mehreren Ländern. Solche Beschränkungen könnten am Ende für alle Länder Nachteile bringen.
Nach dem Streit mit der Pharmafirma Astrazeneca über den Umfang der Impfstoff-Lieferung hatte die EU am Freitag per Verordnung eine strenge Kontrolle von in der EU produzierten Corona-Impfstoffen angeordnet. Sie gilt bereits ab Samstag. Pharmakonzerne, die auch mit der EU Lieferverträge geschlossen haben, müssen künftig Ausfuhrgenehmigungen beantragen. Wenn Hersteller die EU bei Liefermengen unrechtmäßig benachteiligen, könnten die Genehmigungen dann verweigert werden.
WHO verlangte faire Verteilung des Impfstoffes
Die Impfstoffe müssten weltweit fair verteilt werden, verlangte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. "Impfstoff-Nationalismus dient vielleicht kurzfristigen politischen Zielen. Aber das ist kurzsichtig und geht nach hinten los." Die Pandemie müsse überall gleichzeitig bekämpft werden. "Wenn ein Dorf in Brand steht macht es keinen Sinn, dass eine kleine Gruppe alle Feuerlöscher hortet, um ihre eigenen Häuser zu schützen. Das Feuer wird schneller gelöscht, wenn jeder einen Feuerlöscher hat und alle zusammenarbeiten."
Unterdessen war AstraZeneca im Streit mit der EU um Lieferengpässe um versöhnliche Töne bemüht. "Wir arbeiten 24/7 daran, die Kapazitäten zu erhöhen", sagte Astrazeneca-Chef Pascal Soriot am Freitagabend in einer Videoschalte zu Journalisten. Man tue alles, um die Produktion des Vakzins zu beschleunigen und möglichst schnell viele Impfdosen nach Europa zu liefern. In den nächsten Tagen werde die erste Charge mit den ersten Millionen Dosen geliefert. Außerdem sollten Lieferketten weiter aufgerüstet werden und "Material" nach Europa verlagert werden - Details wollte Soriot dazu jedoch nicht nennen. Anfängliche Probleme bezeichnete Soriot als "Kinderkrankheiten", die man bald gelöst haben werde.
Zwischen der EU-Kommission und Astrazeneca hatte sich in den vergangenen Tagen ein offener Streit zugespitzt. Wegen angeblicher Produktionsprobleme sollen große Mengen des Impfstoffes für Deutschland und andere EU-Länder erst Wochen oder Monate später geliefert werden, wie der Konzern angekündigt hatte. Die EU hatte insgesamt 400 Millionen Impfdosen geordert.