Tausende Urlauber infizierten sich im März in Ischgl mit Corona - die Betroffenen wurden viel zu spät informiert, anfänglich wollte man die Infektionen abstreiten. Nun kommt es zu Klagen.
Der Deutsche Jürgen Stang war im März mit Freunden und Kollegen auf Skiurlaub in Ischgl - die ganze Gruppe infizierte sich dort mit Corona. Stang traf es aus der Gruppe am schlimmsten: "Ich kämpfte im Krankenhaus um mein Leben und nahm in zwölf Tagen zwölf Kilo ab", erzählt er im Interview mit der BILD-Zeitung.
Die Urlaubsgruppe war im März vier Tage im Ort und "sehr vorsichtig", wie Stang betont. Sie verzichteten auf Après-Ski und größere Menschenansammlungen - doch obwohl die Behörden bereits von mehreren Corona-Ansteckungen wussten (oe24 berichtete). "Man hätte uns viel früher informieren müssen", so Stang. Deswegen klagt der Maurermeister jetzt vor dem Landgericht Wien auf Schadensersatz und Verdienstausfall. Am Mittwoch wurde mithilfe eines Verbraucherschutz-Vereins die Klage eingereicht.
Der Wiener Verbraucherschützer Peter Kolba (61), der die Klage am Mittwoch einbrachte, will für den Prozess auch Bundeskanzler Sebastian Kurz als Zeugen laden.
So verlief der Corona-Skandal von Ischgl:
29. Februar: Beginn
Bei einem Flug der Icelandair aus München nach Island treten 15 Covid-19-Fälle auf. Alle Skifahrer waren in Ischgl, feierten im „Kitzloch“.
Warnung. Islands Behörden erklären Ischgl zum Risikogebiet. Die Namen der Infizierten werden den Tiroler Behörden übermittelt: „Doch die haben das völlig ignoriert“, sagt der Isländer Kári Stefánsson.
5. März: Empört
oe24.at berichtet über die Isländer. Ein empörter Sprecher der Tiroler Landesregierung ruft an: Wir sollen doch bitte nicht länger schreiben, dass sich 14 Isländer in Ischgl infiziert hätten. Wörtlich sagt er: „In Ischgl gibt’s keinen Fall …“
6. März: Fake News
Während noch dementiert wird, werden Ärzte nach Ischgl geschickt. Sie dürfen aber nur bestimmte Personen testen. Hoteliers und Bürgermeister werden vorab alarmiert. Der deutsche Barkeeper der Après-Ski-Bar „Kitzloch“ wird getestet. Positiv. Auch 15 „Kitzloch“-Mitarbeiter sind positiv. Trotzdem sagt Tirols Sanitätsdirektor Franz Katzgraber: „Aus medizinischer Sicht ist es wenig wahrscheinlich, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist.“ Auch wird von einem Hotelier ein Infektionsfall nicht weitergeleitet.
10. März: Erste Sperren
Erst jetzt lässt Tirol das „Kitzloch“ sperren. Ebenso weitere Après-Ski-Lokale. Eine Quarantäne für Ischgl und das Paznauntal gibt es aber noch immer nicht.
13. März: Ski-Aus
Die Regierung erklärt Ischgl und das Paznauntal zum Risikogebiet und verhängt eine Quarantäne. Aber: Ausländische Urlauber dürfen das Gebiet verlassen. Sie werden angewiesen, ohne Unterbrechung nach Hause zu fahren – kontrolliert wird das aber nicht. Auch soll der Tiroler Tourismusverband Hoteliers im Vorhinein über die geplanten Maßnahmen informiert haben. Manche Hoteliers entließen darauf ihre Arbeiter. Womöglich haben diese das Virus ebenfalls verteilt. Das wurde nicht bedacht, verdrängt.
14. März: Skandal
Tausende Urlauber wollen weg. Sie kehren unterwegs ein, da es an Reiseverbindungen fehlt. Niemand kontrolliert. Andere bleiben in Innsbruck – keine Flieger. Übernachten in Hotels. Ein Deutscher aus Bremen sagt zu ÖSTERREICH: „Wir waren eine Männergruppe. Schon beim Skifahren hatten wir Schnupfen, das verdrängten wir.“ Alle sind inzwischen Corona-krank. Niemand weiß, wie viele sie bei ihrer Rückkehr infiziert haben.
15. März: Lifte
Noch immer läuft der Betrieb einiger Skilifte, wird erst am Abend komplett eingestellt. Hunderte Skifahrer drängen sich auf den Sonnenterrassen.
16. März: Klagen
In ganz Deutschland, Dänemark, Schweden, Norwegen, Island gibt es Covid-19-Krankheitsfälle. Ursprung: Ischgl. Allein in Hamburg gibt es 80 Fälle. Klagen wurden eingereicht.
19. März: Totalsperre
Erst als die Zahl der Infektionen emporschnellt, wird über alle 279 Tiroler Gemeinden eine komplette Sperre verhängt. Viel zu spät.