"Haben keinen Spielraum mehr"

Experte: "Kurzer, harter Lockdown" wahrscheinlich

17.11.2021

Dass sich die aktuell sehr hohen Infektionszahlen mit den nunmehrigen Maßnahmen inklusive Ungeimpften-Lockdowns tatsächlich einbremsen lassen, ist für den Mikrobiologen Michael Wagner von der Uni Wien "schwer vorstellbar".  

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Ohne "kurzen, harten Lockdown, um die Zahlen massiv nach unten zu bringen", werde es vermutlich nicht gehen, sagte er zur APA. Die Schulen könnte man nur mit einem "wirklich stringenten Schutzkonzept offenhalten".

Ein solches "haben wir momentan nicht, müssten es aber nun in wenigen Tagen aufbauen", so der Initiator des SARS-CoV-2-Schulmonitorings. Mit den jetzt gesetzten gesamten Maßnahmen könne es zwar zu einer Stabilisierung des Infektionsgeschehen auf hohem Niveau kommen, viel mehr Effekt traut Wagner der aktuellen Reaktion auf die hohe vierte Welle nicht zu. Sättigungseffekte durch viele bereits Infizierte könnten dazu beitragen, die Welle zu brechen, aber niemand könne präzise genug vorhersagen, wann dies der Fall sein wird.

"Haben keinen Spielraum für Experimente"

Das Problem sei: "Wir haben eigentlich gar keinen Spielraum mehr für Experimente." Ein Lockdown bringe aber mittelfristig nur etwas, wenn die dadurch gewonnene Zeit genützt wird, um endlich die dringend notwendige hohe Impfquote in Österreich zu erreichen. Hier sei die Politik gefordert.

Insgesamt zeigte sich Wagner "frustriert", dass seitens der Politik auch im zweiten Pandemieherbst "immer nur reaktiv" gehandelt wird. Im "komplett verschlafenen" Sommer hätte man vorausschauend mit milden Maßnahmen für eine deutlich bessere Ausgangslage sorgen können. Die Impfkampagne stagnierte aber, die Boosterimpfungen wurden trotz eindeutiger Daten aus Israel eigentlich kaum beworben, die Pandemie für Geimpfte einfach abgesagt und nicht ausreichend kommuniziert, dass auch Geimpfte das Virus übertragen und sich darum auch testen müssten. Das hat die Lage nicht verbessert - im Gegenteil: Man entschloss sich, den Stufenplan an die Intensivbetten-Auslastung zu koppeln.

Mit diesem "Unsinn" sei man sehenden Auges in eine Situation gestolpert, in der man der Entwicklung immer hinterherläuft, so der Wissenschafter. Bei so hohen Auslastungen und "massivem Infektionsgeschehen" quasi "zehn Minuten nach zwölf" erst zu reagieren, funktioniere einfach nicht. Darauf haben israelische Forscher schon in der ersten Welle eindringlich hingewiesen. Viele Länder haben auf diesen Rat aber nicht gehört - Österreich leider ebenso.

Situation in Schulen

Auch übersehen wurde die Situation an den Schulen. Von der Wissenschaft schon im Frühling vorgeschlagene Schutzkonzepte wurden nur teils implementiert. Wie vielfach vorhergesagt, ging die vierte Welle unter Kindern und Jugendlichen los. Als man hier erste Signale gesehen hat, hätte gehandelt werden müssen. Wartet man aber, bis die Entwicklung in den Intensivstationen angelangt ist, ist es "viel zu spät", betonte Wagner. Hier wurden "wenig stringente Maßnahmen" an der falschen Bezugsgröße aufgehängt. "Dann braucht man sich nicht wundern, wenn das herauskommt, was wir jetzt sehen. Bei so hohen Infektionszahlen unter den Kindern, werden wir jetzt vermehrt auch sehr schwere Verläufe sehen. Zudem werden viele Kinder an Long Covid erkranken", so Wagner.

Dass die Wissenschaft mit solchen klaren Botschaften an verschiedenste Teile der Politik nicht durchgedrungen ist, sei leider offensichtlich. Dabei "hat die Wissenschaft geliefert" - in Form von molekularbiologischen Tests, Konzepten, Expertise, Studien, Impfstoffen und nun kommenden vielversprechenden Medikamenten, so der Forscher, der die Gurgelmethode mitentwickelt hat. "Wenn man diese Werkzeuge evidenzbasiert einsetzen würde, dann könnte man viel besser durch die herausfordernde Pandemie steuern", sagte Wagner.

Dass jetzt den Virologen - vermeintlich halblustig gemeint - unterstellt wird, dass sie Menschen gerne einsperren würden, sei extrem unpassend. Die Verantwortung für Schließungen liege nämlich im Bereich jener, die nicht genug zum Schutz der Allgemeinheit unternommen haben, und nicht an jenen, die mehr prophylaktischen Schutz gefordert haben. Eigentlich sei man jetzt "in einem Moment, wo der Schulterschluss mit der Wissenschaft gesucht werden müsste", betonte Wagner. Man sollte sich nun zumindest überlegen, wie der Winter noch halbwegs gut über die Bühne gehen kann. Wie das funktionieren könnte, haben namhafte Forscher am Freitag in einem "unabhängigen Statement der Wissenschaft" dargelegt.

Mittelfristig besteht laut Wagner aber an sich kein Grund zum Pessimismus, da mit der Impfung, dem Testen, den Medikamenten und vielen anderen Stellschrauben dem Geschehen entgegengewirkt werden kann. Dazu brauche es aber echte Zusammenarbeit und ein Ende des Lagerdenkens. Wenn dann hoffentlich an den Schulen bald zwei oder besser drei Mal pro Woche PCR-getestet wird, wäre das beispielsweise ein Schritt nach vorne. "Das reicht aber nicht, wenn schwach Positive nicht gezählt werden, oder man nicht allen in der Klasse FFP2-Masken gibt, wenn es einen positiven Fall gibt", so Wagner, der auch auf echte Konsequenzen nach einem Anschlagen von Frühwarnsystemen pocht, um zukünftige Wellen zu vermeiden.

Abhilfe könnte auch die Einrichtung "einer anderen Form von Politikberatung" schaffen. Hier müssten Experten in einem nachvollziehbaren, transparenten und von politischen Institutionen klarer abgegrenzten Gremium darstellen, wie die jeweils aktuelle wissenschaftliche Evidenz aussieht. Dann wäre auch der Öffentlichkeit klar, was die Politik damit anfängt. Hiermit würde man der "Hinterzimmerberatung" entgegenwirken und der Politik Argumentation abringen. Letztlich könne man mit Unterstützung der Wissenschaft vieles verbessern. Wagner: "Wir sind nicht dazu verdammt von Lockdown zu Lockdown zu springen."
 

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