Expertin Hoffmann kritisiert "Blackbox" in Österreich - Kein Verständnis für Schließung von Long-Covid-Ambulanzen - Epidemiologe Hutter fehlen Grundlagen für genauere Prognosen
Die Corona-Pandemie ist vom Nationalrat vor dem Sommer legistisch für beendet erklärt worden. Seit Ende Juni wird Covid-19 wie jede andere nicht-anzeigepflichtige Infektionskrankheit behandelt. Es gibt seither keine Meldepflicht und damit einhergehend keine verlässlichen Daten mehr in Österreich. Zunehmend schließen auch extra geschaffene Ambulanzen für die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Long-Covid-Symptomen. Experten kritisieren das.
Epidemiologe Hans-Peter Hutter von der Medizin-Uni Wien ortet einen "Mangel an Informationen", wie er am Donnerstag im Ö1-"Morgenjournal" sagte. Es gehe nicht nur darum, wie viele Frauen und Männer mit Corona im Spital liegen würden, sondern ganz generell um die Zahl der Infizierten.
Das Gesundheitsministerium präsentierte unterdessen ein neues Online-Informationssystem über die Entwicklung der schweren Atemwegserkrankungen in Österreich. Das sogenannte SARI-Dashboard - SARI steht für "schwere akute respiratorische Infektionen" - bildet ab, wie viele Menschen sich wegen einer solchen Infektionskrankheit in Spitalsbehandlung begeben müssen.
Gewisse Trendumkehr
Diese - laut Hutter nicht ausreichend ausführliche - Datenlage mache es für die Mediziner und Wissenschafter schwer zu prognostizieren, wie sich die Lage im Herbst verändern werde. "Es gibt eine gewisse Trendumkehr, was Corona angeht", so Hutter. Das zeige sich aus dem Abwasser-Monitoring. Die Immunität der Gesellschaft nehme ab. Dass es im Herbst, sobald das gesellschaftliche Leben vermehrt wieder in Innenräumen stattfinden werde, zu "gravierenden Verhältnissen" kommen wird, glaubt Hutter aber nicht. "Aber man kann natürlich schwer was ausschließen."
Hutter geht davon aus, dass es noch zu einer Empfehlung des Nationalen Impfgremiums für eine Auffrischungsimpfung für über 60-Jährige und vulnerable Gruppen mit einem angepassten Impfstoff kommen wird. Gesellschaftspolitisch sei die Frage, wie man der Bevölkerung gewisse Vorkehrungen noch vermitteln könnte, denn alle hätten schon "die Nase voll" von dieser Krankheit. Es gehe nicht darum, panisch zu werden, sondern nur eine vorausschauende Haltung einzunehmen, so Hutter. Maßnahmen wie Händewaschen oder Vorsicht bei Treffen mit Freunden, wenn man sich bereits krank fühle, wären bereits große Schritte.
Long-Covid-Expertin und Professorin für Primärversorgung am Allgemeinen Krankenhaus Wien (AKH), Kathryn Hoffmann, kritisierte den Umgang mit der Krankheit im Land. "Österreich ist zahlenmäßig weiterhin eine Blackbox in Bezug auf Long-Covid-Daten und anscheinend ist politisch auch kein Interesse da, diese Zahlen zu erheben und gut darzustellen", sagte sie der "Kleinen Zeitung".
Dass die Regierung die Meldepflicht abgeschafft habe, verstehe sie nicht. Die Maßnahme stünde auch im Kontrast zu den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO, wie Hoffmann Mittwochabend in der "Zeit im Bild 2" sagte. Die WHO habe zwar die Notfallsituation aufgehoben, aber die Krankheit nicht für beendet erklärt. Es gebe klare Aufrufe, Covid-19 weiter ernst zu nehmen.
Besonderes Augenmerk müsste dabei auf die medizinische Versorgung von Menschen mit Long-Covid-Symptomen gelegt werden. Alle Studien würden laut Hoffmann zeigen, dass zehn bis 20 Prozent aller Infizierten Long-Covid-Symptome, wie etwa Kurzatmigkeit, extreme Müdigkeit oder Konzentrationsschwächen, entwickeln. "Bis dato sind wohl eine halbe Million Menschen mit Symptomen herumgelaufen", schätzt Hoffmann die Zahlen für Österreich. Nicht jeder Betroffene sei per se arbeitsunfähig, stark Erkrankte bräuchten aber Anlaufstellen. Und diese würden zunehmend wegbrechen.
Mit Ende August sperrt nun auch die neurologische Post-Covid-Ambulanz am AKH, die dritte Schließung einer derartigen Anlaufstelle in Österreich. Für Hoffmann seien Patientinnen und Patienten in diesen Ambulanzen nach einer akuten Infektion gut behandelt worden. Trotzdem fehle es an eigenen Anlaufstellen für postvirale Syndrome in Österreich. Dort brauche es für die optimale Versorgung der Menschen "medizinisches Wissen aus vielen Fachrichtungen". Ein Hausarzt alleine könne dies nicht leisten.
Der Wiener Gesundheitsverband ließ in einer Stellungnahme wissen, dass der Bedarf nach dieser Spezialambulanz nicht mehr gegeben sei. Die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahren hätten gezeigt, dass "die Abklärung neurologischer Beschwerden nach einer früheren Corona-Infektion von niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzten für Neurologie in gleicher Qualität durchgeführt" werden könne.
An der Klinik Favoriten wird unterdessen seit zwei Wochen an einem länderübergreifenden Projekt gearbeitet, dass sich der Erforschung eines Medikaments gegen Long Covid widmet.