Anti-Piraterie-Abkommen
Europaparlament bringt ACTA zu Fall
04.07.2012
478 Abgeordnete sorgten für das Aus der äußerst umstrittenen Vereinbarung.
Da wird den Kritikern wohl ein großer Stein vom Herzen gefallen sein: Denn das Europaparlament hat am heutigen Mittwoch das umstrittene internationale Anti-Piraterie-Handelsabkommen ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) mit klarer Mehrheit zu Fall gebracht. Bei der Abstimmung am Mittwoch in Straßburg votierten 478 Abgeordnete gegen das Abkommen und nur 39 dafür. Damit kann ACTA nicht mehr in Kraft treten, denn die Zustimmung des EU-Parlaments war dafür eine notwendige Voraussetzung.
Antrag um Verschiebung der Abstimmung wurde abgelehnt
Ein Antrag der Europäischen Volkspartei (EVP), bis zur Abstimmung noch die laufende Prüfung
des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) abzuwarten, erlangte keine Mehrheit. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Sefkovic betonte, die EU-Kommission wolle dennoch das Urteil des EU-Gerichts abwarten und dann genau prüfen, um dann "andere Schritte in Erwägung zu ziehen". ACTA sei bereits von fünf Ausschüssen des Europaparlaments "gekillt" worden und nur noch wegen "lebenserhaltender Maßnahmen" der EVP überhaupt da, sagte der zuständige Chefverhandler des EU-Parlaments, der britische Labour-Abgeordnete David Martin.
Sollte Produkt- und Markenpiraterie entgegenwirken
ACTA wurde von der EU, den USA, Australien, Kanada, Japan, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur, Südkorea und der Schweiz ausgehandelt. Es sollte Produkt- und Markenpiraterie verhindern und weltweit den Schutz geistigen Eigentums verbessern, sowohl bei realen Gütern wie im Internet. Kritiker befürchten insbesondere eine Beschränkung der Freiheit im weltweiten Datennetz. In mehreren EU-Ländern hat es massive Proteste gegen ACTA gegeben. Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission, die ACTA ausgehandelt hatte, den Europäischen Gerichtshof um eine Prüfung ersucht. Österreich und andere EU-Staaten haben den Prozess darauf auf Eis gelegt.
Falsche Lösung
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz betonte, ACTA sei "die falsche Lösung, um geistiges Eigentum zu schützen". Die Debatte über das Abkommen habe gezeigt, dass eine grenzüberschreitende öffentliche europäische Meinung gebe.
Das Problem des Schutzes geistigen Eigentums "verschwindet nicht", erklärte Handelskommissar Karel De Gucht am Mittwoch laut AFP. Ob ACTA ohne die EU in Kraft tritt, ist nach den Worten von De Guchts Sprecher offen. "Offiziell kann es das", sagte er.
Reaktionen aus Österreich
Der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda, begrüßte das Votum. "Zum ersten Mal hat das Parlament von den Möglichkeiten des Lissabon-Vertrages Gebrauch gemacht und ein internationales Handelsabkommen verworfen. Kommission und der Rat werden sich jetzt bewusst sein, dass sie das Parlament nicht übergehen können." SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried betonte: "Wir sind nicht gegen das Urheberrecht, vertreten aber die Ansicht, dass das angestrebte Ziel von ACTA nicht mit dem Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten in Einklang gebracht werden konnten. Es ging hier nicht um eine rechtliche Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs, sondern um die politische Entscheidung der Vertretung von 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in Europa." Die SPÖ-Europaabgeordnete Evelyn Regner forderte von der EU-Kommission "Initiativen für intelligente, moderne Lösungen wie das Urheberrecht im Internet geschützt werden kann".
Die ÖVP-Europaabgeordnete Elisabeth Köstinger bedauerte das Ergebnis. "Die heutige Ablehnung des ACTA-Abkommens wirft die EU im internationalen Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie um Jahre zurück", sagte sie. Der Europäische Gerichtshof hätte noch Antworten auf viele offene Fragen liefern können. "Wichtig ist, jetzt etwas Konstruktives gegen Produktpiraterie und Markenfälschung sowie für den Schutz des geistigen Eigentums voranzubringen. Europas Stärke in der Welt ist unser Know-how, deshalb müssen wir es international schützen können." Produktpiraterie würde der europäischen Wirtschaft Schaden in Milliardenhöhe zufügen und eine Vielzahl an Arbeitsplätzen bedrohen.
"Dieses Abkommen hat nur dem Anschein nach etwas mit dem Schutz des Urheberrechts und der Bekämpfung von Marken- und Produktpiraterie zu tun. Tatsächlich geht es um die Überwachung des Internets, die bis hin zur Kriminalisierung von Nutzern führen kann", kritisierte der freiheitliche Delegationsleiter Andreas Mölzer. "Die Mehrheit gegen ACTA ist zu 90 Prozent der Erfolg der Zivilgesellschaft. Erst die europaweiten Proteste im Februar erzeugten den Meinungsumschwung im EU-Parlament", sagte der fraktionslose EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser.
"Dieses eindeutige Votum ist ein wichtiges demokratisches Signal gegen ein Abkommen, das durch intransparente Verhandlungen zustande gekommen ist. Die schwammigen Formulierungen des Vertragstextes hätten eine ständige Überwachung der BürgerInnen durch den Staat sowie durch private Internetprovider ohne richterliche Kontrolle möglich gemacht", reagierte die grüne Europaabgeordnete Eva Lichtenberger. Marco Schreuder, netzpolitischen Sprecher der Grünen, sieht die breite Ablehnung auch als klaren Arbeitsauftrag an die Europäische Kommission: "So darf ein internationaler Vertrag nie wieder ausgehandelt werden. Ohne Veröffentlichungen, ohne Transparenz, ohne KonsumentenschützerInnen, ohne Netz-NGOs, ohne DatenschützerInnen, ohne Ärzte ohne Grenzen, nur mit einer Interessenvertretung, das darf nie wieder passieren."
Kreativwirtschaft ist enttäuscht
Die Europäische Kreativwirtschaft sieht eine "verpasste Gelegenheit" in der heutigen Abstimmung des Europäischen Parlaments. "Europas innovatives, produzierendes und kreatives Gewerbe" betrachtet die Entscheidung "als schädigend für den Schutz Europas geistigen Eigentums, Arbeitsplätze und Wirtschaft", hieß es in einer gemeinsamen Aussendung von 130 Handelsverbänden der Branche.
Anders sieht das die AK
Begrüßt wurde die Entscheidung des EU-Parlaments dagegen von der Wiener Arbeiterkammer: Das Aus für ACTA mache den Weg frei für ein modernes Urheberrecht, das den "Bedürfnissen und Interessen der User gerecht" wird, hieß es in einer Aussendung. "Mit ACTA wäre ein Teil des alten Urheberrechts weiter einzementiert worden."