Benutzer gehen auf die Barrikaden - Vorgehen der US-Behörden ein Politikum?
"Wir sind dem Justizministerium zutiefst dankbar", erklärte der amerikanische Verband der Musikindustrie (RIAA) nach dem Schlag des FBI gegen die Online-Plattform Megaupload . Auf den Servern dieses kommerziellen Portals wurden regelmäßig Kopien von urheberrechtlich geschützter Musik bereitgestellt. Doch während die RIAA sich noch freute, war ihr Webauftritt schon von empörten Megaupload-Nutzern lahmgelegt - und andere Anbieter stehen bereit, um die Lücke für den Datenaustausch zu schließen.
Wie bei einer Hydra
"Das ist wie bei einer Hydra", sagt der Urheberrechtsexperte der deutschen Piratenpartei, Andreas Popp. "Schlägt man ihr einen Kopf ab, wachsen sofort andere nach." Die Razzia vom Freitag gegen Megaupload werde nur dazu führen, dass sich die Nutzer andere Wege suchten. "Das Internet interpretiert Zensur als Fehler und routet darum herum, sucht sich also neue Wege. Das hat man erst bei Napster gesehen, dann bei Kazaa und später bei Pirate Bay." Napster wurde in seiner ursprünglichen Form 2001 dichtgemacht, Kazaa folgte als kostenloses Angebot 2006, im gleichen Jahr gab es auch eine Razzia gegen Pirate Bay.
Ja, es werde wieder andere solcher Dienste geben, räumt der Geschäftsführer des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI) in Deutschland, Florian Drücke, ein. Aber Tatenlosigkeit sei keine Alternative. Und da Einrichtungen wie Megaupload oder das bereits stillgelegte kino.to mit erheblicher Professionalität aufgesetzt worden seien, sei dazu auch einiger Aufwand erforderlich. "Wenn man solche Formen der organisierten Rechtsverletzung an der Wurzel fassen kann, dann ist das das Mittel der Wahl." Gleichzeitig werde das Angebot an legalen Internet-Diensten weiter ausgebaut. "Es gibt bereits über 60 legale Dienste, da kann jeder denjenigen finden, der zu ihm passt."
So funktionierte die Plattform
Megaupload stellte seinen Nutzern - nach eigener Werbung waren das rund 50 Millionen am Tag - Server zur Verfügung, auf die alle möglichen Dateien kostenlos hochgeladen werden konnten. Für bevorzugte Verbindungen beim Download der Daten kassierte das von Kim Schmitz (Kim Dotcom) gegründete Unternehmen Geld. Außerdem zeigte Megaupload Online-Anzeigen im Umfeld der Download-Links.
Nutzer empört
Nach der Abschaltung der Server reagierten viele Nutzer empört. "Das war Wut ohne Ende, weil plötzlich ihre Plattform weg war, über die sie viele Sachen ausgetauscht haben", erklärt der Netzaktivist Stephan Urbach von der internationalen Vereinigung Telecomix. Internet-Nutzer aus dem Umkreis der Anonymous-Bewegung brachten wenige Stunden nach der Razzia ihre Software-Kanonen in Stellung und überfluteten die Web-Server von RIAA, des US-Justizministeriums und anderer Einrichtungen mit so vielen Datenanfragen, dass diese zumindest zeitweise lahmgelegt wurden. Die Beteiligung an diesen DDoS-Attacken (Distributed Denial of Service) sei ungewöhnlich groß gewesen, sagt Urbach.
Er selbst habe Megaupload nie genutzt, weil es dem Gründer Kim Schmitz (siehe Diashow) immer nur ums Geld gegangen sei, kritisiert Urbach. "Er hat freie Dinge wieder unfrei gemacht."
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Vier der Beschuldigten Megaupload-Betreiber wurden festgenommen. V.l.n.r: Bram van der Kolk ”Bramos”, Finn Batato, Mathias Ortmann und der Gründer der Plattform Kim Schmitz.
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Der Deutsche machte in den 90er Jahren mit diversen Internetfirmen Millionen. Wurde danach jedoch...
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...wegen einiger dubioser Machenschaften festgenommen.
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Mittlerweile scheint er wieder dick im Geschäft (gewesen) zu sein. Zuletzt verwendete er die Decknamen "Kim Dotcom" oder "Kim Tim Jim Vestor".
Vorgehen problematisch
Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke hält das Vorgehen der US-Justiz für problematisch, weil Megaupload-Nutzer nun auch nicht mehr an ihre legalen Daten gelangen könnten. "In dieser Hinsicht verhalten sich die US-Behörden, die die Plattform ohne Rücksicht auf Verluste dicht gemacht haben, gewissermaßen wie 'Wild-West-Sheriffs'."
Für die Piratenpartei ist das Vorgehen der US-Behörden ein Politikum. Wenn Megaupload auf rechtlich fragwürdige Weise genutzt worden sei, dann betreffe dies nicht den Anbieter dieses Dienstes, sagt Popp im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. "Das wäre ähnlich, wenn der Vorstand der Deutschen Telekom verhaftet würde, weil ein Kunde der Telekom urheberrechtlich geschütztes Material über seinen Internet-Anschluss verbreitet."
Filehoster sind Nutznießer der Grauzone
Einrichtungen wie Megaupload sind aus seiner Sicht bereits eine Folge des verschärften Umgangs mit dem Urheberrecht im Netz: "Solche File-Hoster sind Nutznießer der derzeitigen Urheberrechtssituation, weil sich die Nutzer vom klassischen File-Sharing (also dem direkten Datenaustausch mit anderen) abgewandt haben, aus Angst vor Strafverfolgung." Megaupload habe ihnen als Mittelsmann gedient, wovon sie sich persönlich eine gewisse Sicherheit versprochen hätten. "Eine Liberalisierung des Urheberrechts würde dazu führen, dass die meisten dieser Dienste obsolet würden."
Die gegenwärtige Strategie der Interessenverbände von Rechteinhabern wird von vielen als aussichtsloses Rückzugsgefecht betrachtet. "Das wissen die auch", sagt Popp. "Spätestens in fünf Jahren passt das komplette Musikrepertoire der Welt auf einen USB-Stick." Der Kreativbranche bleibe keine andere Wahl, als Modelle zu entwickeln, die bewusst auf diesem Kontext aufbauten. Solche Konzepte werden derzeit unter dem Schlagwort Crowdfunding entwickelt: Hier legen die Nutzer von Inhalten im Internet zusammen, um von ihnen gewünschte Projekte zu finanzieren.