Größte Antiregierungsdemonstration seit Jahren - Protest von Vandalismus überschattet.
Eigentlich geht es ja nur um einige Hundert Forint im Monat (100 HUF=0,32 Euro). Doch die von der ungarischen Regierung geplante Internetsteuer hat am Sonntagabend auch viele Menschen öffentlich protestieren lassen, die sonst eher nicht auf die Straße gehen.
Dabei hatte die Regierungspartei Fidesz von Viktor Orban erst im heurigen Frühjahr die Parlamentswahlen und im September auch die Kommunalwahlen mit überwältigender Mehrheit gewonnen. Allerdings scheint dafür der gewichtigste Grund weniger in der großen Popularität von Fidesz, als vielmehr in der Schwäche der zerstrittenen und zersplitterten linksliberalen Opposition zu liegen.
Es ist deshalb auch kein Wunder, dass nicht politische Parteien, sondern eine zivile Facebook-Initiative namens "Hunderttausend gegen die Internetsteuer" eine Demonstration mit tausenden Teilnehmern - Medien schrieben von Zehntausend, die Organisatoren von mehreren Zehntausend - auf die Beine stellen konnte.
Die Demonstration in Budapest am Sonntagabend gegen die Besteuerung des Datenverkehrs mit 150 Forint pro begonnenem Gigabyte mündete dann auch bald in allgemeinen Protest gegen die rechtsnationale Regierung Orbans, von "Zurücktreten!"- bis hin zu "Viktator"-Rufen.
Hier machte sich eine Unzufriedenheit Luft, für die die geplante Internetsteuer - die die Regierung mittlerweile sowieso auf 700 Forint pro Monat begrenzen will - bloß der zündende Funke war.
Zuletzt hatte neben mehreren Korruptions- und Freunderlwirtschaftsskandalen auch die viel diskutierte Affäre um das US-Einreiseverbot gegen einige ungarische Persönlichkeiten wegen Korruption das ungarische Gemüt erhitzt. Dieses stellt für manche Kommentatoren ein Sinnbild für die fortschreitende internationale Isolation des Landes dar. Da hilft es nicht, dass offenbar auch die Internetsteuer - wie schon früher die Banken- oder die Telekommunikationssteuer - eine erneute Attacke gegen in Ungarn investierende internationale Konzerne darstellt.
Unklar ist nun, ob es sich bei der Protestveranstaltung um eine einmalige Aktion handelte, deren Energie bald verpuffen wird, oder ob eine dauerhafte Oppositionsbewegung entsteht.
Unglücklich ist für die Initiatoren auf jeden Fall, dass die Demonstration am Sonntag von tätlichen Angriffen gegen die Zentrale der Regierungspartei Fidesz begleitet war. Die von den Organisatoren beabsichtigte Deponierung alter elektronischer Geräte vor der Jahrhundertwendevilla nahe dem Budapester Heldenplatz entartete nach dem offiziellen Ende der Demonstration zu einem Beschuss des Gebäudes mit Monitoren, PCs und sogar Asphaltbrocken. Fensterscheiben wurden zertrümmert, Rollläden gingen zu Bruch, sogar ein Teil des Zauns wurde umgeworfen. Erst ein entschlossenes, aber gewaltloses Eingreifen der Polizei setzte den Vandalenakten ein Ende.
Obwohl sich die Opposition von der Gewalt distanziert hat, bleibt natürlich ein Stigma auf der Bewegung, das die Regierung gegen sie ausnutzen könnte: Nämlich dass Regierungsgegner potenziell gewalttätig und radikal seien.
Seit Beginn von Orbans zweiter Regierungszeit 2010 hat es auch noch keine politische Kraft geschafft, ihm Paroli zu bieten. Das Schicksal der ebenfalls auf Facebook initiierten Bewegung "Milla" (Eine Million für die ungarische Pressefreiheit), die sich nach einigen eindrucksvollen Bekundungen 2010-11 bald in den internen Streitigkeiten der ungarischen Opposition zerfledderte und letztlich auflöste, kann den Organisatoren auf jeden Fall eine Warnung sein.