Online-Enzyklopädie
Kritik an Wikipedia: "Undemokratisch"
03.01.2008
Ehemaliger Wikipedia-Aktivist Günter Schuler veröffentlicht Buch über das Innenleben von Wikipedia und kritisiert mangelnde interne Demokratie.
Wikipedia zählt zu einer der am häufigsten verwendeten Informationsportale zur Wissensbeschaffung. Über die Qualität der seit 2001 existierenden - und mittlerweile auch größten - Internet-Volksenzyklopädie wurde von Beginn an diskutiert. Einblick in die Welt der internen Konflikte der "Wikipedianer" (Wikipedia-Mitarbeiter) sowie heftige Kritik am unkritischen Umgang mit rechtsextremen Beiträgen übt der ehemalige Wikipedia-Aktivist Günter Schuler in seinem Buch "Wikipedia Inside".
Autor Schuler informiert in seinem medienkritischen Buch umfangreich über den deutschsprachigen Ableger von Wikipedia. Als Basis dafür dienten sein eigenes Engagement und seine Erfahrung, denn Schuler arbeitete gut ein Jahr selbst bei dem Projekt aktiv mit. Parallel verfasste er dieses Buch, welches sich - mit 280 Seiten - wie ein überaus umfangreiches und verständlich geschriebenes FAQ ("Frequently Asked Questions", häufige Abkürzung für Hilfefunktionen im Internet) zu Wikipedia liest.
Administratoren mit viel Macht
Geht es nach dem Autor, so lassen
sich die Wikipedia-Administratoren (nur diese dürfen User löschen und
sperren) in zwei zahlenmäßig ausgeglichene Fraktionen einteilen, nämlich in
Exklusionisten und Inklusionisten. Erstere orientieren sich bezüglich
Qualität und Themenwahl stark an herkömmlichen Nachschlagewerken, auch was
die Auslegung von Relevanzkriterien und die neutrale Darstellungsweise
betrifft. Während die Inklusionisten sich für maßvolles Löschen einsetzen
und darauf bestehen, dass jeder Artikel irgendwann zu einem guten Artikel
werden kann.
Obwohl nach außen hin die Entscheidungen - für oder gegen einen neuen Beitrag - sehr basisdemokratisch erscheinen, da auch mit einfachen Rechten ausgestattete User mitdiskutieren dürfen, "agiert hinter den Kulissen allerdings eine knallharte informelle Hierarchie. Von Transparenz kann keine Rede sein", so Schuler in einem Interview in der deutschen Zeitschrift "konkret". Die Administratoren haben das letzte Wort, eine neutrale Kontrollinstanz, wie sie auch der Autor fordert, gibt es nicht.
Wikipedia verteidigt sich
Diese beiden Fronten werden vor allem
bei Diskussionen um Wikipedia-Einträge von rechtsextremen Usern gut
sichtbar, ein Thema, das die Wikipedianer immer häufiger beschäftigt. Die
Grenzziehung zwischen "Dokumentation" und "Geschichtsrevisionismus"
verteidigt Arne Klempert, Geschäftsführer von Wikimedia Deutschland, in
einem Interview mit dem Online-Magazin heise folgendermaßen: "Für uns
gehören neutrale Artikel über die NSDAP und ähnliche Organisationen in eine
Enzyklopädie. Dazu gehört natürlich auch das Logo der betreffenden
Organisation". Klempert reagierte damit auf eine Strafanzeige der
stellvertretenden Bundesvorsitzenden der deutschen Partei "Die Linke",
welche im Dezember gegen Wikipedia wegen Verbreitens verfassungsfeindlicher
Symbole in Aktion trat.
Günter Schuler empfiehlt den Lesern aufgrund der Beliebigkeit der Wikipedia-Beiträge auch die "kritische Konsumation" selbiger. Während der Autor in seinem Buch den Inhalt der Artikel etwas tiefgründiger analysiert und zur Vorsicht rät, stellte das deutsche Magazin "Stern" Anfang Dezember bei einem Test Gegenteiliges fest. Die Zeitschrift ließ vom Kölner Wissenschaftlichen Informationsdienst 50 Beiträge von Wikipedia mit jenen von Brockhaus miteinander vergleichen. Bei 43 davon schnitt Wikipedia besser ab. Beurteilt wurde nach Richtigkeit, Vollständigkeit, Aktualität und Verständlichkeit.
Resonanz im Web
Dass "Wikipedia inside", auch wenn es auf Papier
gedruckt erschien, die Online-Gemeinschaft der Wikipedianer nicht unberührt
lässt, zeigen die zahlreichen Reaktionen im Internet und auf den Webseiten
der Enzyklopädie selbst. Die kontroversen Diskussionen und persönlichen
Kommentare werden sich dort noch einige Zeit fortsetzen, scheint es. Für
angehende Wikipedia-Profis, welche sich an der Diskussion beteiligen wollen,
ist das Buch fast eine Pflichtlektüre.