Regulatoren präsentierten ihren umstrittenen Leitlinienentwurf.
Die umstrittene EU-Verordnung zur Netzneutralität ist seit Ende April in Kraft . Weil die Materie komplex ist und das Regelwerk viel Interpretationsraum lässt, wurden die europäischen Regulatoren (BEREC) beauftragt, Leitlinien zur Anwendung zu erlassen. Ein Entwurf wurde am Montag präsentiert - und von Aktivisten heftig kritisiert. Die RTR in Österreich sieht das offene Internet nicht gefährdet.
"Ich persönlich glaube nicht, dass da jetzt irgendwelche Großkonzerne bevorzugt werden", sagte RTR-Chef Johannes Gungl am Dienstag in Wien vor Journalisten. Durch die neue EU-Verordnung stehe die Netzneutralität, also die Gleichbehandlung bei der Übertragung von Daten, nicht auf dem Spiel. Vielmehr hätten die Regulatoren erstmals die Möglichkeit, Verstöße aufzugreifen. Wichtig sei, dass die europäischen Behörden einheitlich vorgehen.
Entwurf lediglich ein erster Schritt
Die am Montag in Brüssel präsentierten vorläufigen Richtlinien der EU-Regulatoren (BEREC) sind aus der Sicht von Gungl aber erst "der Versuch einer Klarstellung" respektive "der Anfang der Geschichte". "Wir werden ohnedies erst in den nächsten Jahren sehen, wie die Verordnung zu interpretieren ist." Der RTR-Chef rechnet in den kommenden Jahren mit "sehr vielen Gerichtsentscheidungen" und auch einigen Verfahren vor dem Europäischem Gerichtshof (EuGH).
Die endgültigen Leitlinien muss BEREC bis 30. August präsentieren. Bis 18. Juli läuft die Konsultationsfrist, Gungl hofft auf eine starke Beteiligung aus Österreich an der Diskussion. "Es geht bei der Netzneutralität um extrem wichtige Themen, um Meinungsvielfalt, Demokratie und um das Internet als Wirtschaftsmotor", sagte der Regulator. Dass die Konsultationszeit nur sechs Wochen läuft, "ist nicht ganz optimal", räumt Gungl ein.
Die kurze Zeitdauer ist nicht der einzige Kritikpunkt an dem Leitlinienentwurf, der bereits vergangene Woche durchgesickert ist. In ganz Europa sind Netzaktivisten auf die Barrikaden gestiegen, in Wien haben am Freitagabend Hunderte vor dem RTR-Gebäude auf der Wiener Mariahilfer Straße demonstriert. "Das sind engagierte Mitglieder der Zivilgesellschaft, die sich über gewisse Dinge Sorgen machen. Wir haben damit überhaupt keine Probleme", meinte Gungl dazu.
"Zero Rating" heikler Punkt
Einer der umstrittenen Punkte der Verordnung ist das sogenannte Zero Rating - wenn ein bestimmter Datenverbrauch etwa durch einen Musikstreamingdienst dem Endkunden nicht angerechnet wird. Prinzipiell verletzt Zero Rating das Prinzip der Netzneutralität, die EU untersagt es aber nicht generell. Die Verordnung verbiete primär die technische Diskriminierung, erläuterte die RTR am Dienstag: Innerhalb des inkludierten Datenvolumens sei Zero Rating - bei Gleichbehandlung des gesamten Verkehrs - zulässig. Außerhalb des Datenvolumens dürfe gedrosselt bzw. gesperrt werden. Dies gelte für den gesamten Verkehr, ohne Ausnahmen. Netzaktivisten hätten gerne, dass Zero Rating ausdrücklich verboten wird, wie etwa in Indien.
In Österreich setzt der Mobilfunkanbieter "Drei" Zero Rating ein: beim Musikdienst Spotify wird den Kunden der Datenverbrauch nicht angerechnet. Die RTR wird sich das "genau anschauen", kündigte Gungl an. Es gehe darum, wie das Modell technisch und ökonomisch aufgesetzt ist. Prinzipiell seien Musikstreamingdienste nicht die großen Datenfresser. "Wenn aber natürlich Spotify nicht gedrosselt wird und andere Dienste schon, wäre das eine technische Diskriminierung", erläuterte der Regulator. Ob Zero Rating zulässig ist oder nicht, werde in Zukunft immer im Einzelfall entschieden werden.
Weiterleitung der Daten
Weitere heikler Punkt ist das Verkehrsmanagement, also die Art und Weise, wie Daten im Internet weitergeleitet werden. "Jetzt gilt die Grundregel 'first come, first serve', die Datenpakete werden der Reihe nach abgearbeitet", so Gungl. Nunmehr sollen jedoch Internetanbieter bestimmte Verkehrsmanagementmaßnahmen setzen dürfen, solange diese transparent, nicht-diskriminierend und verhältnismäßig sind. Auch dürfen keine kommerziellen Erwägungen, zum Beispiel die Bevorzugung eigener Dienste, dahinterstehen. Wenn es eine Gerichtsanordnung gibt, die Netzsicherheit gefährdet ist oder eine Überlastung droht, müssen diese Kriterien nicht erfüllt sein. Eingriffe in den Verkehr dürfen immer nur vorübergehend passieren, so Gungl.
Das Thema Spezialdienste erläuterte die RTR ebenfalls. Nach den neuen Regeln dürfen Provider solche Spezialdienste anbieten, wenn eine bestimmte Qualität sichergestellt werden muss. Beispiele dafür sind Voice over LTE (VoLTE, Internettelefonie) und lineares Fernsehen über IPTV. Das von A1 (Telekom Austria) angebotene Fernsehen darf also laut RTR als Spezialdienst behandelt werden. Nicht-lineare Teile des derzeitigen IPTV-Angebots sollten hingegen innerhalb der kommenden drei Jahre zumindest technisch vom linearen Teil getrennt werden und dürfen danach nicht mehr als Spezialdienst transportiert werden. "Wir glauben nicht, dass ein Zwei-Klassen-Internet entstehen wird", beruhigte Gungl. Durch die neuen Anforderungen für Spezialdienste würden vielmehr die von Netzaktivisten befürchteten "Überholspuren" verhindert.
IoT und M2M
Das sogenannte Internet der Dinge (IoT) und Machine-to-Machine (M2M, aka der Kühlschrank, der seinen Inhalt kennt und automatisch im Internet Milch nachbestellt) fallen laut RTR nicht in den Regulierungsbereich der Netzneutralität.
Für Endkundenverträge bringen die Regeln neue Transparenzvorschriften. So müssen Provider beim Festnetzinternet verbindlich die minimale, die maximale, die beworbene und die normalerweise, also 95 Prozent eines Tages zur Verfügung stehende Bandbreite des Internetzugangs angeben. Beim mobilen Internet sind es die beworbene und die geschätzte maximale Zugangsbandbreite.
Hierzulande kaum Probleme
In Österreich, betonte der RTR-Chef, gibt es bisher kaum Probleme in Bezug auf die Netzneutralität. Hierzulande hätten Mobilfunkbetreiber etwa noch nie VoIP-Sperren (Internettelefonieren) verhängt. In Großbritannien hingegen sei das Thema in Zusammenhang mit dem Schutz vor Kinderpornografie heftig diskutiert worden, in den Niederlanden sei es um Zero Rating gegangen. Die Meinung mancher Kritiker, dass die Netzneutralität in den USA besser geschützt sei als nun in Europa, teilt Gungl nicht. Man habe sich auch mit der dortigen Regulierungsbehörde ausgetauscht und sei nicht zum Schluss gekommen, dass "die einen oder die anderen besser sind".