Wischen, Chatten, Küssen: Die Suche nach dem schnellen Date ist so leicht wie nie.
"Ich mag die edlen Dinge im Leben, zum Beispiel keine Pickel zu haben und früh die Arbeit verlassen zu können." Ob Jake seine Selbstbeschreibung ernst meint, verrät der 25-Jährige nicht. Doch auf Tinder, der Smartphone-App für den schnellen Flirt, muss sein Gegenüber jetzt entscheiden: Nach rechts wischen für die Chance, mit Jake zu chatten, oder nach links wischen und den Typ damit vergessen?
Kaum eine Plattform macht das schnelle Date so leicht wie die 2012 in Los Angeles gestartete App, die heute eigenen Angaben zufolge in fast 200 Ländern aktiv ist. Und gegen kaum eine Partnerbörse wird so sehr gewettert, weil die teils abhängig wirkenden Nutzer wie in Trance in ihre Handybildschirme starren statt sich gegenseitig in die Augen. Aber in New York, wo die Liebe manchmal so hektisch abläuft wie das Leben der Bewohner, scheint das die wenigsten Singles zu kümmern.
Stattdessen ist "Tindern" unter Freunden und in Lokalen längst zum Gruppensport geworden - und nun sogar zum Aufhänger einer eigenen Comedy-Show. Auf "Tinder Live" präsentiert Lane Moore vor johlendem Publikum skurrile Typen, verquere Machos und Anmach-Sprüche, bei denen so mancher Frau ein kalter Schauer über den Rücken laufen dürfte. "Mein Name ist James und Rassismus ist unterbewertet", fasst Moore die Grusel-Profile exemplarisch zusammen, nach denen sie für ihren regelmäßig ausverkauften Auftritt in Brooklyn sucht.
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Zum Beispiel Scott, der laut Profil ein Unternehmen führt, Marathon läuft, Golf spielt und "gute Vibes" mag. Moore: "Es ist ein bisschen schwer, gute Vibes zu spüren, wenn Du aussiehst wie ein Bösewicht aus einem TV-Film, der seine Frau getötet hast." Oder Andre, der schreibt: "Bitte rede mit mir, ich bin so allein. Ich flehe Dich an. Bitte." Schnell wird klar: Das schallende Gelächter im Saal geht auf Kosten der Singles am anderen Handy, die meist nicht wissen, dass ihr Gesicht früher oder später zur Gag-Vorlage auf Großleinwand wird.
"Gemein ist das nicht", versichert die aus den Südstaaten stammende Mittzwanzigerin. "Tinder ist eine öffentliche Plattform. Ich verwende ja keine persönlichen Fotos, die mir jemand geschickt hat." Und auch Comedian Jimmy Kimmel habe die Dating-Profile schon als humoristische Steilvorlage genutzt. In seiner beliebten Late-Night-Show sangen etwa Kelly Clarkson und Jamie Foxx die Selbstbeschreibungen nach - die Gesichter der betroffenen Nutzer wurden allerdings unkenntlich gemacht.
Außerdem habe sie es ja nicht auf die "guten Jungs" abgesehen, sagt Moore. Stattdessen pickt sie bizarre Kandidaten heraus und gibt im Chat-Fenster das wenig intelligente Blondchen, das "normalerweise in Emojis kommuniziert". Auch auf der Bühne stellt sie sich im Live-Chat unwissend bis dumm und kommentiert die Sexyness ihres Gegenübers im berüchtigt-nervigen "Valleyspeak" - dem aus Kalifornien stammenden Singsang-Englisch, in dem der unnötige Einschub "like" nach jedem dritten Wort fällt und in dem auch Aussagen wie Fragen betont werden.
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Lustig bis beängstigend ist das in der Tat manchmal. Etwa bei Jonathan, der sich als "umwerfender" Kolumbianer-Amerikaner aus Brooklyn beschreibt und warnt: "Wenn Du Feministin oder Vegetarierin bist, lass mich Deine Zeit nicht verschwenden." Dunkles Raunen in der Menge. Moore textet: "OMG Feministin like was ist das überhaupt? Nein ernsthaft, was ist eine Feministin." Dahinter klatscht sie - warum auch nicht - ein paar Pizza-Emojis. Antwort: "LOL meinst Du das sarkastisch? Feministinnen sind Mädchen, die Gleichheit unter den Genres wollen." Jonathan meint natürlich Geschlechter, schreibt statt dem Englischen Begriff "genders" aber immer wieder "genres".
Oder bei Matthew, der nach einem unverheirateten und kinderlosen "klasse Girl" ohne Drama sucht und schreibt: "Ich habe zwei Hunde, ein Schwein und drei nigerianische Zwergziegen. Will das nur gesagt haben, damit es keine Überraschungen gibt." Und man lernt, dass einige Singles bei der Partnersuche ziemlich überheblich werden können. Zitat Charles, der eine Vorliebe fürs Fliegen hat: "Ich bin klüger, lustiger, besser aussehend, geistreicher und viel toller als Dein Exfreund." Gegen Ende der Show brüllen viele der Hunderten Zuschauer, ob Moore nun rechts (Top) oder links (Flop) wischen soll.
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"Am liebsten mag ich die Burschen, die einfach viel lachen, wenn wir uns schreiben", sagte Moore. "Sie wissen, dass es ein Witz ist und sie wissen, dass ich ihren Tag nicht versaue." Wie Todd, der sie tatsächlich zu einem Date überredete, der "Tinder Live" kannte und ihr nach biergetränkten Verbalausfällen anschließend schrieb: "Ich weiß, dass ich ein guter Typ bin und kein Stoff für Deine Show." Ohnehin sei Tinder meist einfach "zum Brüllen komisch", sagt Moore.
Ein seltsamer Nachgeschmack bleibt trotzdem. Denn wer nicht das Glück hat, den kleinen One-Night-Stand oder den großen Wurf in der Bar, der Bahn oder am Badestrand zu treffen, hat auf der Plattform vielleicht mehr Chancen. Ob sie Tinder denn auch privat benutze? "Nicht so sehr für die Partnersuche", sagt Moore. "Ich mache gerade eine Pause."
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