Alpbach-Experten: "Gesundheitssystem in Dauerkrise"
03.09.2009Das österreichische Gesundheitswesen weile zwar in einem gewissen Maß in einer Dauerkrise. Aber es befinde sich dabei in guter Gesellschaft. Diese Ansicht vertrat IHS-Gesundheitsexpertin Maria Hofmarcher aus Anlass der Alpbacher Gesundheitsgespräche (bis 5. September) gegenüber der APA. "In vielen Ländern wachsen die Gesundheitsausgaben stärker als das Bruttoinlandsprodukt. Man versucht überall, dieses Ausgabenwachstum stärker an die Wirtschaftsentwicklung heranzubringen. Bis sich das Gesundheitswesen daran 'gewöhnt' und die Ausgaben wieder steigen."
Unsere Krise in Österreich sei eher eine Finanzkrise. "Wir haben aber auch erhebliche Strukturmängel, zum Beispiel speziell im Bereich der Versorgung chronisch Kranker. Hier sollten die Angebote besser abgestimmt sein", so Hofmacher, die am 3. September im Rahmen der Veranstaltung an einer Diskussionsrunde zum Thema "Dauerkrise Gesundheitsreform" teilnimmt.
In Sachen Sicherstellung der Finanzierung der sozialen Krankenkassen hat die Expertin auf Basis der Prognosen des Finanzministeriums über die Entwicklung der Staatsausgaben und Einnahmen bzw. der Vorschläge des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger nach Verhandlungen mit der Ärztekammer und auf Basis der bereits erfolgten bzw. geplanten Maßnahmen der Bundesregierung eine Berechnung angestellt.
Das Ergebnis laut Hofmarcher: "Maßnahmen wie der 'Schuldennachlass' (dreimal 150 Mio. Euro, in den Jahren 2010 bis 2012, Anm.), die Mittel aus dem Strukturfonds (je 100 Mio. Euro für 2010 bis 2013) und die erfolgte Reduktion des Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel (pro Jahr zwischen 270 und 581 Mio. Euro zwischen 2009 und 2013) bringen den Krankenkassen insgesamt rund 2,5 Mrd. Euro. Wenn die Krankenkassen über weitere interne Einsparungen - und dieses Potenzial ist über drei Jahre hinweg realistisch - noch zusätzlich bis 2013 rund 300 Mio. Euro aufbringen, könnten sie im Jahr 2013 in etwa ausgeglichen bis positiv bilanzieren, falls sich das Beitragsaufkommen durch vermehrte Arbeitslosigkeit nicht deutlich verschlechtert."
Nachhaltig, so Maria Hofmarcher, wäre eine Reform aber erst, wenn man auch den Spitalssektor einbeziehe bzw. entlaste. Hier fehlt es laut Meinung der Expertin aber an grundsätzlichen Voraussetzungen: "Es wird notwendig sein, die Kostenstruktur im ambulanten Sektor zu kennen. Wie sieht sie in Spitalsambulanzen aus, wie bei einem Facharzt, wie in Gruppenpraxen. Es ist nicht ganz klar, dass die niedergelassenen Ärzte wirklich so viel günstiger sind als zum Beispiel Ambulanzen."
Für eine Verlagerung von Leistungen aus dem Spital in die niedergelassene Praxis müsste das vorab geklärt werden. Ein Beispiel wären die häufig geforderten Gruppenpraxen. Die Expertin: "Es ist nicht ganz klar, wie durch eine Ausweitung der Öffnungszeiten solcher Gruppenpraxen gespart werden soll. Wer länger offen hat, wird wohl auch mehr verdienen wollen bzw. dürfen."
Investition in Medizin, nicht in Menschen
Daten aus dem Gesundheits-Arbeitsmarkt würden darauf hindeuten, dass in Österreich mehr in (Medizin-)Infrastruktur als in Menschen investiert werde: "Die Beschäftigtenquote im Gesundheitswesen pro Einwohner ist in Österreich beispielsweise im Vergleich zu jener in den Niederlanden, in Frankreich der Schweiz, aber auch Deutschland geringer. Gleichzeitig haben wir hohe Investitionen pro Beschäftigtem. Das geht in Bettenkapazitäten und in technische Geräte. Wir haben eine sehr gute infrastrukturelle Ausstattung im Gesundheitswesen. Die Fachärzte verdienen im Durchschnitt fünf Mal das Durchschnittseinkommen der Österreicher, die Hausärzte drei Mal so viel."
Es sei also die Frage, wohin das Geld gehe. Maria Hofmarcher: "Hier scheint das Pflegewesen deutlich unterdurchschnittlich dotiert zu sein. Wir haben zum Beispiel eine gute Versorgung bei Krebserkrankungen, aber in der Versorgung der Diabetiker sind wir mit einer relativ hohen Mortalität nicht so gut wie andere Länder."
Statt noch deutlich mehr Geld in technische Ausstattung zu investieren, könnte sich eine bessere Dotierung jener Bereiche als zukunftsweisend herausstellen, die chronisch Kranke optimaler versorgen würden. "Man könnte Hausärzte belohnen, wenn sie hier die Versorgung besser organisieren. Sie könnten auch Sozialarbeiter oder andere Berufsgruppen anstellen." In Zukunft werde es nämlich deutlich mehr um die Rundum-Betreuung einer zunehmenden Zahl alter und chronisch Kranker Personen gehen.