Europäischer Drogenbericht: Markt wird komplexer

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Zwischen Heroin und scheinbar "harmlosen", oft zuvor gar nicht bekannten und zunächst legalen Substanzen: Europa sieht sich mit einem zunehmend komplexen und instabilen Markt für synthetische Suchtgifte konfrontiert, hieß es in Brüssel aus Anlass der Präsentation des Europäischen Drogenberichts 2009 der in Lissabon ansässigen Europäischen Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA).

Die "zunehmende Raffinesse" bei der Vermarktung "legaler Alternativen" (sogenannte "Legal Highs") sei beunruhigend. So wurden der EMCDDA im Jahr 2008 von den EU-Mitgliedstaaten 13 neue psychoaktive Substanzen gemeldet. Es handelte sich um elf synthetische Drogen und zwei Pflanzen (Kratom und Kava).

Eine völlig neue Entwicklung: Erstmals befand sich unter den gemeldeten Drogen auch ein synthetisches Cannabinoid (JWH-018). Diese Substanz ruft beim Rauchen Cannabis-ähnliche Wirkungen hervor. Sie wurde auch in "Spice" gefunden. "Das Auftreten synthetischer Cannabinoide kennzeichnet die jüngste Phase in der Entwicklung der 'Designerdrogen", heißt es in dem Report, in den Daten vor allem aus den Jahren 2007 und 2008 einflossen.

Das Internet ist mittlerweile zu einem wichtigen Umschlagplatz für psychoaktive Substanzen geworden. Zusammen mit - oft nur vorübergehend - "legalen Alternativen" zu herkömmlichen Drogen werde der Suchtgiftmarkt immer komplexer. Im Jahr 2009 beobachtete die EMCDDA insgesamt 115 Online-Shops in 17 europäischen Ländern. Die meisten erfassten Online-Händler hatten ihren Sitz in Großbritannien (37 Prozent), in Deutschland (15 Prozent), den Niederlanden (14 Prozent) und Rumänien (7 Prozent). Die enorme Vielfalt der online angebotenen Substanzen reicht von Drogen, wie sie traditionell in bestimmten Teilen der Welt konsumiert werden, bis zu synthetisch hergestellten Stoffen, die an Menschen völlig unerprobt und deshalb gefährlich sind.

Ein mittlerweile wichtiges Drogenprodukt ist "Spice". Nach den Angaben auf den Verpackungen soll es sich dabei zumeist um Mischungen aus pflanzlichen Stoffen oder Kräutern handeln, doch erst vor kurzem durchgeführte Tests haben nachgewiesen, dass manche Mischungen auch synthetische Cannabinoide enthalten. Bis Oktober dieses Jahres wurden in "Spice"-Produkten in Europa die Substanz JWH-018 und acht weitere synthetische Cannabinoide nachgewiesen.

Fast die Hälfte (48 Prozent) aller 115 beobachteten Onlinehändler in Europa boten "Spice" an. Darüber hinaus wird die Droge auch über sogenannte "Head-Shops" oder "Smart-Shops" für "Legals Highs" vertrieben. Auch in Österreich agieren derartige Händler. Deutschland, Estland, Frankreich, Litauen, Luxemburg, Österreich, Polen und Schweden haben diese Droge bereits unter gesetzliche Kontrolle gestellt.

Populäres Kokain

Weitgehend stabil - so der aktuelle Europäische Drogenbericht - ist die Situation bei den traditionell in der "Szene" häufig verwendeten Suchtgiften. Unter den Stimulanzien ist nach wie vor Kokain am populärsten. Etwa 13 Millionen europäische Erwachsene (15 bis 64 Jahre) haben im Laufe ihres Lebens diese Drogen probiert, darunter 7,5 Millionen junge Erwachsene (15 bis 34 Jahre), von denen drei Millionen Kokain im vergangenen Jahr konsumiert haben.

Der Kokainkonsum in der EU konzentriert sich wie bisher auf die westlichen EU-Länder. Im Jahr 2007 stieg die Zahl der Kokainsicherstellungen in Europa auf etwa 92.000 (im Vergleich zu 84.000 im Jahr 2006), obwohl die insgesamt beschlagnahmte Menge in dem Zeitraum von 121 auf 77 Tonnen sank. Die EMCDDA schätzt darüber hinaus, dass es in der EU und Norwegen zwischen 1,2 und 1,5 Millionen problematische Opioidkonsumenten gibt, die meisten davon Heroinkonsumenten. Nach einigen Jahren, in denen in Europa ein Rückgang des Heroinkonsums registriert wurde, hat die Entwicklung nun offenbar ein Plateau erreicht.

Cannabis wird weiterhin am häufigsten verwendet. Etwa 74 Millionen Europäer (15 bis 64 Jahre) haben in ihrem Leben Cannabis ausprobiert, etwa 22,5 Millionen gaben an, diese Droge in den vorangegangenen zwölf Monaten konsumiert zu haben. Während der Cannabiskonsum im Laufe der 90er Jahre und in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende deutlich gestiegen ist, bestätigen die aktuellen europäischen Daten jedoch eine rückläufige Popularität der Droge, vor allem unter Jugendlichen. Diese Tendenz ist insbesondere unter Schülern (15 bis 16 Jahre) zu beobachten. Allerdings konsumieren bis zu 2,5 Prozent aller jungen Europäer Cannabis täglich.

Besonders gefährlich ist der Dogen-Mischkonsum. Hier werden legale und illegale Suchtgifte kombiniert. Die gesundheitlichen Risiken potenzieren sich. Am gefährlichsten ist der gleichzeitige Konsum von Opiaten, Tranquilizern und Alkohol. Von den in 22 Ländern befragten Schülern (15 bis 16 Jahre) gaben 20 Prozent an, im vorangegangenen Monat Alkohol zusammen mit Zigaretten konsumiert zu haben, sechs Prozent konsumierten gleichzeitig Cannabis und Alkohol und/oder Zigaretten, ein Prozent benutzte Cannabis zusammen mit Alkohol und/oder Zigaretten sowie einer weiteren Droge (Ecstasy, Kokain, Amphetamine, LSD oder Heroin).

Einer aktuellen Untersuchung auf der Grundlage von Daten aus 14 Ländern zufolge gab mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Drogenpatienten an, dass sie neben der Primärsubstanz, wegen der sie sich in Behandlung begaben, Probleme mit mindestens einer weiteren Droge haben. Mischkonsum - speziell mit Opiaten - steckt auch häufig hinter Todesfällen im Zusammenhang mit Suchtgiften.

Aus dem Bericht geht weiters hervor, dass der gleichzeitige Konsum von Alkohol ein entscheidender Faktor in der Drogenproblematik in Europa ist. Die aktuelle europäische Umfrage unter Jugendlichen (ESPAD 2007)) ergab, dass 43 Prozent der Schüler "Komasaufen"" (fünf Drinks oder mehr pro Gelegenheit) in den vorangegangenen 30 Tagen angaben. Eine Zunahme dieses Verhaltens zwischen der 2003 und der 2007 durchgeführten Umfrage ließ sich insbesondere unter Mädchen beobachten.

Bewegliche Ziele

Millionen Menschen verwenden in Europa illegale Drogen. Der Markt dafür verändert sich immer schneller. Internet als omnipräsente Verkaufsschiene und findige Chemiker mit immer neuen synthetischen Substanzen prägen den Markt. Dies erklärte aus Anlass der Präsentation des Europäischen Drogenberichts Wolfgang Götz, Leiter der EMCDDA in Brüssel.

"Wir sehen heute, dass wir die Politik eines gut funktionierenden Monitoring-Systems zunehmend brauchen, weil die Herausforderungen im Drogenbereich immer komplexer werden. Ein Grundgedanke, der sich durch den gesamten Jahresbericht zieht, ist, dass unsere Sicht mit einer sich ständig verändernden Drogenproblematik Schritt halten muss", sagte der Experte.

Wie der aktuelle Bericht zeige, seien in Europa zwar weiterhin hohe Konsumraten zu verzeichnen, doch befinde man sich in einer relativ stabilen Phase, was die eher traditionell konsumierten Drogen angehe. Bei den meisten Konsumformen sei insgesamt keine wesentliche Zunahme zu beobachten, in einigen Bereichen zeichneten sich sogar rückläufige Tendenzen ab. So deuteten die Indikatoren für den Amphetamin- und Ecstasykonsum beispielsweise weiter auf eine insgesamt stabile oder rückläufige Situation hin. Neue Daten bestätigten insbesondere bei Jugendlichen auch einen weiteren Rückgang des Cannabiskonsums.

Doch es gibt zunehmend andere Herausforderungen. Götz: "Zu den Themen, denen in diesem Jahresbericht besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde, gehört der zunehmend komplexe europäische Markt für synthetische Drogen, auf dem erfinderische Drogenlieferanten die Drogenbekämpfung aushebeln, indem sie Ersatzstoffe anbieten, die keiner rechtlichen Regelung unterliegen. Dieses Vorgehen ist an sich zwar nicht neu, neu sind hingegen die große Bandbreite an Substanzen, die neuerdings angeboten werden, die zunehmende Nutzung des Internet, die aggressive und anspruchsvolle Werbung für diese Erzeugnisse - die in einigen Fällen bewusst falsch etikettiert werden - und die hohe Geschwindigkeit, mit der der Markt auf Kontrollen reagiert." Gerade deshalb sei es so wichtig, dass man den Suchtgiftmarkt ständig unter Beobachtung habe, die Staaten müssten im Anlassfall aber auch schnell reagieren.

Ganz wichtig wäre es, den Mischkonsum von Suchtmitteln zu bekämpfen. Der Chef der EU-Behörde, die in Lissabon ihren Sitz hat: "Da die Bandbreite erhältlicher Substanzen zunimmt und das Drogenrepertoire immer komplexer wird, gehört der Mischkonsum zu den Themen, denen wir größere Aufmerksamkeit einräumen. Diese Drogenkonsummuster sind gegenwärtig in Europa weit verbreitet. Die kombinierte Einnahme verschiedener Substanzen ist für die meisten Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, verantwortlich."

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