Anna Veith über ihr hartes Comeback und ihr sehr intimes Buch über ihr Leben - Der Talk.
Anna Veith (27) nennt ihre mittlerweile ein Jahr andauernde Verletzungspause die prägendste Zeit ihres Lebens – ohne Wehmut, ohne Ressentiments. Denn diese Zeit, betont sie immer wieder, habe sie und ihr Leben zum Positiven verändert. Sie habe das irre Tempo rausgenommen. Die Zeit für sich und ihren Ehemann, Hotelier und Ex-Snowboardprofi Manuel Veith (sie gaben sich im April das Jawort), die im Weltcuptrubel so oft auf der Strecke bleibt, tat gut. „Ich konnte viel aufarbeiten.“ So viel, dass sie es unbedingt aufschreiben wollte, um den Prozess zu erleichtern. „Manuel drückte mir irgendwann ein Buch mit leeren weißen Seiten in die Hand.“ Daraus wurde schließlich die sehr persönliche Autobiografie „Zwischenzeit“, die Anna letzte Woche in Wien präsentierte. Die Scheidung ihrer Eltern, Rivalitäten im Weltcupzirkus und sogar die Streitigkeit mit dem ÖSV – Veith nimmt sich kein Blatt vor den Mund.
Schmerzgrenze erreicht
„So ungefähr stelle ich mir das vor, wenn man stirbt. Ein Kribbeln, das in deinen Fingern beginnt, sich über den Oberkörper ausbreitet, schließlich den Kopf erreicht und dann dein Bewusstsein ausknipst.“ Gleich zu Beginn des Buches beschreibt die Salzburgerin die bangen Stunden kurz nach ihrer alles verändernden Knieverletzung (ein Ausrutscher am Innenskischuh am 21. Oktober 2015 bei einem normalen Schneetraining), „eigentlich ein banaler Sturz“. Die Diagnose lautete: Kreuz- und Seitenband gerissen, Patellasehne ab – ein Kapitalschaden, der für die meisten Profisportler das Karriereende bedeutet hätte. Doch nach einer gelungenen OP war es für die mehrfache Gesamtweltcup-Siegerin sofort klar: Sie will es nochmal versuchen.
Das angepeilte Comeback zu Saisonstart musste sie zwar verschieben, doch hofft sie mit Jahreswechsel – wie sie im oe24-TV-Interview sagte –, wieder im Starthaus stehen zu können und spätestens zur Ski-WM 2017 im Februar in St. Moritz zu alter Form zu finden. Wo sie derzeit steht, was die Frau, die bereits alles im Skisport erreichte, noch antreibt und wer respektive was ihr Kraft verleiht, verriet sie im Gespräch mit gesund&fit.
Die geplante Rückkehr in den Ski-Weltcup mit Saisonstart in Sölden, spätestens mit den Überseerennen in Nordamerika, musste verschoben werden. Wie lauten die aktuellen Comebackpläne?
Anna Veith: Einen richtigen Plan gibt es derzeit nicht. Der Plan ist, dass ich auf meinen Körper höre. Nicht nach Amerika zu fliegen, das war meine Entscheidung – und es war eine sehr richtige. Ich brauche jetzt unbedingt eine richtige körperliche Basis, bevor ich wieder auf Schnee bin, damit das Knie die Belastungen langfristig verkraftet, das ist das Wichtigste.
Sind Sie eigentlich schmerzfrei?
Veith: Nein. Aber ich spüre große Fortschritte, und das ist das Positive.
Wie sieht derzeit Ihr Arbeitstag aus?
Veith: Ich arbeite sehr intensiv an Kraft und Kondition. Ich absolviere sehr spezifische Übungen angepasst an meine Verletzung, versuche muskuläre Dysbalancen auszugleichen. Es ist viel vorangegangen und ich werde dann wieder ein wenig frei fahren. Ich hoffe, so bald wie möglich wieder zurückkehren zu können.
Welche Parameter müssen dafür erfüllt sein?
Veith: Die körperliche Verfassung muss stimmen, ich muss ganz viel auf Schnee gearbeitet haben, aus Sicherheitsgründen muss das Material abgestimmt werden und ich muss vom Kopf her bereits sein.
Sie deuten im Buch an, dass Sie oft ungeduldig waren, dass in der Rehabilitation vielleicht auch einiges zu schnell gegangen sein könnte. Was würden Sie heute anders machen?
Veith: Meine Verletzung hat mich geduldiger
gemacht. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mich verletzt habe, war alles sehr schnelllebig. Alles musste sofort passieren. Und dann war auf einmal so viel Zeit da. Sechs Wochen nach der Verletzung wurde mir gesagt, ich könne die Krücken weglegen. Ich habe nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, ob eine siebente oder achte sinnvoll sein könnte. Ich wollte das alles einfach so schnell wie möglich erledigen,
alles nach Plan machen. Mit der Zeit habe ich dann erst gelernt, dass nicht das zählt, was andere sagen, sondern nur das, was mir mein Körper sagt. Das war eine sehr wichtige Lektion.
Was haben Sie sonst noch aus dieser Zeit mitgenommen? War es besonders, einen sozusagen stinknormalen Alltag zu haben?
Veith: Ich habe begonnen, endlich zu wohnen. Als Skifahrer nutzt man sein Zuhause ein Drittel vom Jahr. Und auch dann: Man trainiert den ganzen Tag und abends geht es nur mehr ab ins Bett. Am Anfang meiner Verletzung habe ich dann eigentlich 24 Stunden in meiner Wohnung verbracht. Diese Zeit zu Hause, die Zeit mit der Familie habe ich sehr genossen.
Bald werden Sie jedoch wieder eine Fernbeziehung führen ...
Veith: Manuel und ich kennen es gar nicht anders. Er hat ja auch einen Job (Anm.: Hotelier in Schladming).
Also auch wenn ich daheim bin, heißt das nicht, dass er ständig daheim ist (lacht). Es ist so wie bei jedem anderen Paar. Man fährt eben in die Arbeit und sieht sich in dieser Zeit nicht.
Sie betonen immer wieder, dass Ihr Mann Ihre große Stütze ist. Er hat Sie auch ermutigt, Ihr Buch „Zwischenzeit“ zu verfassen. Mit welcher Intention haben Sie es geschrieben?
Veith: Es war schon vor meinen Sturz der Gedanke da, alles Erlebte niederzuschreiben, um es besser verarbeiten zu können. Ich habe z. B. bei meinem ersten Gesamtweltcupsieg (Anm.: 2013/ 14) ein Jahr gebraucht, bis ich kapiert hab, dass ich gewonnen habe. Nach dem Sturz hat mir Manuel ein Buch mit leeren Seiten geschenkt und gesagt: ‚Schreib mal alles auf, was du erlebt hast.‘ Ich habe versucht, mich in alles hinein zu versetzen, was ich erleben durfte. Dadurch habe ich auch die Stärke für das Comeback gefunden. Ich habe ein Leben, das ist unbeschreiblich. Aus dieser Emotion heraus habe ich geschrieben. Zudem wollte ich den Menschen, den Fans, mehr von mir zeigen, erklären, warum ich gewisse Entscheidungen treffe.
Sie haben so gut wie alles im Skisport erreicht. Was konkret treibt Sie noch an?
Veith: Die Leidenschaft zu dem, was ich tue. Ich habe das Glück gehabt, das alles schon erlebt haben zu dürfen. Ich habe genau gespürt, was es bedeutet, wenn man Träume hat und diese Träume erreichen darf. Und die Verletzung hat mir die Chance gegeben, wieder träumen zu dürfen. Ich habe auf mein Gefühl gehört und ich habe das Gefühl, dass da noch was kommt.
Was macht Anna Veith, falls es doch nicht mit dem Comeback klappt?
Veith: Wenn mir irgendwann mein Körper sagt, dass es nicht mehr geht, muss ich es akzeptieren. Aber ich habe im Moment nicht das Gefühl, dass es so ist.
Sie schreiben sinngemäß: Erwartet nicht zu viel ...
Veith: Das kann ich mir, glaube ich, nicht aussuchen. Aber ich habe versucht zu erklären, was so eine schwere Verletzung bedeutet. Dass ich mich langsam herantasten muss, das ist mir wohl gelungen.
Wenn Sie nächstes Jahr um diese Zeit eine Zeitung aufschlagen, was würden Sie gerne lesen?
Veith: Mein größter Wunsch ist, dass ich wieder
zurückfinde, dorthin, wo ich gewesen bin. Ich möchte einfach wieder Skifahren. Ob es jetzt so wird, wie es war, weiß ich nicht. Aber ich möchte die Herausforderung spüren. Ich möchte das alles wieder leben. Ich hoffe, dass ich nächstes Jahr um diese Zeit in Amerika bin und dort ein Rennen fahre.