Gesünder & ökologischer

Die Zukunft unserer Ernährung

07.08.2015

Utopie oder Dystopie? Larven aus kücheneigenen Zuchtstätten, Nährstoffpulver statt Gemüse, Fleisch und Eier aus dem Labor. Essenstechnisch kommen wir gerade in der Zukunft an. Expertinnen über die Trends und Zukunftshoffnungen.

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In Gelb oder Schwarz und in Nussgröße räkeln sich die Larven in der weißen Lade, die aus dem futuristischen Küchengerät gezogen wird. 500 Gramm sind in der vergangenen Woche gereift. Nun wird geerntet. Was eine Soldatenfliege hätte werden sollen, landet im Larvenstadium bei Katharina Unger (25) auf dem Teller – und zwar in Form von Quiche oder Kartoffelpuffern. Als durchaus schmackhaften Speckersatz beschreibt die Burgenländerin, Absolventin der Angewandten im Bereich Produktdesign, die Larven, die für einen „humanen“ Tod zuerst schockgefroren und dann gebraten oder gekocht werden. Katharina Unger revolutioniert derzeit mit Geschäftspartnerin Julia Kaisinger von China aus unsere Ernährung. Seit eineinhalb Jahren arbeiten die jungen Österreicherinnen an ihrer Farm 432 – ein Larvenbrutkasten, einzig gespeist mit Bioabfällen und Larveneiern, dessen Output 70 Prozent des empfohlenen Eiweißbedarfs eines Erwachsenen deckt. In Kürze laufen die ersten Exemplare der automatisierten Farm für den Hausgebrauch vom Band (einige Hundert Vorbestellungen gibt es bereits). Larven – auch Micro Food genannt – sind also nicht mehr das Fleisch von morgen, sondern von heute. Willkommen in der Zukunft.

Gesünder und ökologischer
Im Fokus des Farm-432-Projekts steht nicht nur unsere Gesundheit, sondern vor allem der Schutz der Erde und ihrer Ressourcen. Die Welternährungsorganisation geht davon aus, dass sich der Fleischbedarf bis zum Jahr 2050 verdoppeln wird. Fleisch jedoch, vor allem Rindfleisch, verschlingt Unmengen an Ressourcen, die sich dem Ende zuneigen könnten. Im Vergleich: Die Produktion von einem Kilo Rindfleisch verbraucht bis zu 20.000 Liter Wasser, bei Insekten ist der Verbrauch beinahe null. Bei der Rinderhaltung entstehen für ein Kilogramm Fleisch Gase mit einer Treibhauswirkung, die der von etwa 36 kg Kohlendioxid entspricht (bei Insekten ist es beinahe null). Damit es vorstellbar wird: Ein durchschnittliches europäisches Auto stößt so viel Kohlendioxid bei einer 230 Kilometer Fahrt aus.
Auch bei den gesundheitlichen Aspekten haben Insekten die Nase vorn: Larven enthalten pro 100 Gramm sechs Prozent Fett, Fleisch etwa 18. Larven enthalten 35 mg Calcium, Fleisch nur 13. Lediglich beim Proteingehalt (Fleisch 26 Prozent, Larven 20) gewinnen die Rinder. Ob dieser Fakten ist sich Erfinderin Unger sicher, wird in der westlichen Welt ein Umdenkprozess stattfinden.   



Megatrend Neo-Ökologie

Dass sich Ungers Erfindung durchsetzen könnte, daran glaubt auch die Österreicherin Hanni Rützler, Future-Food-Forscherin und Autorin des „Food Reports“. „Der Megatrend lautet Neo-Ökologie – ein neues, vertieftes Verständnis von Natur“, so Rützler. „Wir wollen wieder mehr begreifen, was wir essen. Das Schlagwort heißt Selbermachen. Nahrungsmittel werden selbst gezogen.“ Weitere Erkenntnisse: „Das Wichtigste ist und bleibt das Thema gut UND gesund essen. Die Kombination markiert einen deutlichen Wandel in unserer Esskultur. Es ist noch nicht lange her, dass ‚gesund‘ im kulinarischen Kontext eher als Gegenteil von ‚gut‘ wahrgenommen wurde. Gefragt sind natürliche Ausgangsprodukte, wenig verarbeitet, frisch zubereitet, gepaart mit Genuss.“

Essen aus dem Labor
Was Fleisch angeht, sagt Hanni Rützler, haben wir „Peak-Meat“ erreicht, sprich: „Wir haben den höchsten Konsumstand überschritten. Fleisch wird vor allem von Jüngeren weniger gegessen werden. Das Lebensmittel wird jedoch noch heiß diskutiert werden – vor allem politisch.“ Heißes Thema ist bereits das In-vitro-Fleisch – das Stammzellenfleisch aus dem Labor. Den ersten Retortenburger von Mark Post aus Muskelzellen gezüchtet – Wert 250.000 Euro – durfte Rützler als allererste 2013 in London testen. Geschmacklich gut. Aber ist Essen aus dem Labor auch langfristig gut für unsere Gesundheit? Die Prognosen sind durchaus positiv. Das Laborfleisch entsteht schließlich ohne Einsatz von Gentechnik, also ohne Eingriff in die DNA-Sequenzen von Zellen. Vom Tier stammen nur wenige Ausgangszellen (die schmerzfrei entnommen werden können), danach wachsen und vermehren sich diese Zellen in Nährlösungen und könnten theoretisch den Weltfleischverbrauch abdecken. In derartige Technologien investiert auch US-Multi-Milliardär und Veganer Bill Gates. Er glaubt an eine Essensproduktion, die ohne Zucht und Verschwendung von Ressourcen auskommen soll. „Unternehmen wie Beyond Meat und Hampton Creek Foods“, schreibt er auf seinem Blog gatesnotes.com, „experimentieren mit neuen Methoden, Pflanzen in Essen zu verwandeln, das aussieht und schmeckt wie Fleisch und Eier.“ Er selbst habe das pflanzliche Huhn bereits probiert. „Ich konnte keinen Unterschied schmecken.“ Die Bio-Hacker im Silicon Valley arbeiten weiters fieberhaft an der Erzeugung veganer Milch. Das Unternehmen Muufri will seine Entdeckung bereits heuer zum Patent anmelden und die Daten frei zugänglich machen. Fazit: human, ökologisch, nicht genmanipuliert. Ein weiterer Vorteil wäre, dass die Nährstoffe im Laboressen variiert werden könnten.   

Pulver statt Nahrung
Eine andere Richtung schlägt US-Software-Entwickler Rob Rhinehart ein. Ihm geht es um Funktion, nicht um Genuss. Er entwickelte ein Pulver namens Soylent (nach dem Scifi-Thriller), das alle lebenswichtigen Nährstoffe beinhaltet (zu einem wöchentlichen Preis von etwa 65 Euro). Mit Wasser anrühren – fertig.

Lauter spannende, innovative Projekte. Ob sie auch unser Leben verändern werden? Darauf hat Larven-Züchterin Unger nur eine Antwort: „Wer hätte vor einigen Jahrzehnten gedacht, dass in Österreich roher Fisch am Speiseplan stehen würde. Heute gibt es Sushi an jeder Ecke.“

Katharina Unger

 
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